For Those I Love
„For Those I Love“
(September Recordings)
Die meisten von uns neigen mit zunehmendem Alter dazu, die Zeit ihrer Jugend zu verklären und unangenehme Dinge möglichst auszublenden. Natürliche Sache, das. Macht das Leben leichter. David Balfe wird das nicht gelingen. Nicht nur, weil er im Dubliner Vorort Coolock aufgewachsen ist, einem ziemlich rauen Pflaster, einer harten Schule. Einem Viertel also, in welchem man die Versäumnisse von Politik, die Verwerfungen der Gesellschaft deutlicher als anderswo zu spüren bekommt. Zum anderen, weil sich vor drei Jahren sein engster Freund Paul Curran ebendort das Leben genommen hat. Balfe und Curran waren best buddies, sie spielten zusammen in diversen Punkbands, hingen rum, machten Unsinn, es ließ sich so halbwegs ertragen, das Leben der Vorstadt. Der Schock, als dies mit einem Mal zu Ende war, hat Balfe kurzfristig in die Isolation getrieben, hat ihn nachdenken und hadern lassen. Er ist damit noch lange nicht durch, aber er hat sich entschlossen, seine Musik als Möglichkeit zu begreifen, mit dem Unfassbaren fertig zu werden, es halbwegs zu verarbeiten. Und so ist das Debütalbum des jungen Mannes eine Liebeserklärung an den verlorenen Freund und an die eigene Jugend geworden, ohne diese glorifizieren oder schönreden zu wollen.
Schön daran war nur die Gemeinschaft und genau deshalb heißt diese Platte „For Those I Love“, eine Zeile, die die Zuhörer über alle Songs begleitet wie eine trotzige Erinnerung daran, wofür es sich zu leben lohnt. Balfe schildert in den neun Tracks die schwierigen Verhältnisse, in denen jener Freundeskreis zusammenwuchs, er erzählt von ersten Gewalterfahrungen, die einen Geburtstag zum Albtraum werden ließen („Birthday/The Pain“), von einer Gesellschaft, die Schwäche und Verletzlichkeit nicht verzeiht und besser ausblenden will („Top Scheme“), von Schlaflosigkeit, Armut, aber auch Trost und Zusammengehörigkeit. Die Lyrics pendeln zwischen Anklage und Hoffnung: „We don't know what it is to sleep, when each night your eyes bleed, cause there's not a lot of steps between peace and utter misery, when you're 17 and all you have is love and dreams“ heißt es beispielsweise in „To Have You“, später bei „The Shape Of You“ dann: „Patient and free will heal the pain that's left in me, and that's the truth, the fear in my bones is the only growth I know - we had our youth.“
Sein Vater war es, der ihm den Punk-Poeten John Cooper Clarke nahebrachte, er selbst benennt in Mike Skinner alias The Streets sein erstes und wohl größtes Vorbild und natürlich hört man dessen Sound und Stil, den schwer verständlichen Dialekt, die stolpernden Beats, auf dem Album wie eine Blaupause wieder. Aber eben auch die schönen Synthpop-Melodien der Pet Shop Boys, die klugen Basteleffekte von Jamie XX und die Düsternis des Dubsteppers Burial. Sehr ernsthaft das alles, sehr traurig, aber auch sehr schön – wie Balfe in allen Tracks Gesprächsfetzen aus WhatsApp-Chats seiner Freunde, auch von Curran selbst, einspielt, wie er alle großen Themen stets auf die persönlichen Erfahrungen herunterbricht. „You Live/No One Like You“ ist eine wunderbare Aufzählung der Dinge, die immer schon geholfen haben – die Pogues, Joy Division, der Fußballklub, aber eben auch Wes, Ross, Gilly, Rob und Sam. In jedem und jeder von ihnen lebt das Andenken an den schmerzlich Vermissten weiter, im Hintergrund wummern die Technobeats. Ganz zum Schluß doch noch mal die verzweifelte Frage: „What happened to my best mate? I have a love - and it's full of pain“, Balfe wird noch länger brauchen, wenn er denn überhaupt jemals eine Antwort bekommt …