Montag, 1. März 2021

Smerz: Radikaler Verschnitt

Smerz
"Believer"

(XL Recordings)

Es wären wohl kaum Beschwerden gekommen, hätte sich das norwegische Duo Smerz für ihr erstes Album ein weiteres Mal auf ihr Erfolgsrezept Minimal-Electro verlassen. Nice to have, sagt man in solchen Fällen, vom Formatpop für Menschen, die nur Musik hören, weil sie nicht hinhören wollen, sind die Tracks von Catharina Stoltenberg und Henriette Motzfeldt ohnehin Lichtjahre entfernt. Soll heißen, experimentell waren die beiden schon immer, angefangen bei ihrer ersten EP "Okey" (2016), stärker noch auf "Have Fun" zwei Jahre später. Disruptive, verschränkte Technoklänge, weißes Rauschen, Noise plus Beats, dazu die zarten Stimmen - das hätte man auch jetzt wieder dankend genommen. Wollten sie aber nicht, war ihnen zu wenig. Der Anspruch von Smerz, so erzählten sie es gerade der Seite Kulturnews, bleibt unbedingte Radikalität, Genregrenzen halten sie für hinderlich. Und so kamen sowohl aktuelle Vorlieben als auch Erfahrungen ihrer musikalischen Sozialisation in den kreativen Mixer - herausgekommen ist ein Album, dass es so tatsächlich selten zu hören gibt. 

Denn wer traut sich schon, klassische Choräle und barocke Kammermusik mit kühler Synthetik, HipHop, RnB und traditioneller, skandinavischer Liedkunst zu verschneiden? Dass daraus eine ganz eigene, wunderbare Klangästhetik entstehen kann, beweisen Stoltenberg und Motzfeldt hier ein ums andere Mal. Auf den hitverdächtigen Großspur-Pop des Titelsongs "Believer" folgt die erste klassische Miniatur "Versace Strings" aus Piano, Cello und Violine, begleitet von einem glockenhellen Sopran. Gleich darauf herrlich träge Trapp-Rhymes, wieder mit Streichern kombiniert ("Rain"). Weiter mit verzerrt fiebrigen Prodigy-Beats ("Hester"), den anmutigen Tranceklängen von "Flashing", stampfende Drums auf schwermütigen Bratschentönen bei "Glassbord" und dem sagenhaften Technobeast "I Don't Talk About That Much". Dem sie dann auch sofort den Schlussakkord "Hva Hvis" entgegenstellen, der ohne verfremdende Effekte, ohne Hast auskommt und einmal mehr jede Erwartung bricht. Diese bewußt gewählten Gegensätze, dieses Spiel mit den Kontrasten und die andauernde Grenzüberschreitung, das macht Smerz so schnell niemand nach, für diesen Mut haben sie sich in der Endabrechnung des Jahres jetzt schon einen Ehrenplatz gesichert.



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