Sleaford Mods
„Eton Alive“
(Extreme Eating)
Wie lange das schon so geht? Keine Ahnung. Gefühlt arbeiten sich orientierungslose Politiker am zweifelhaften Votum ihres Volkes seit Jahrzehnten ab. 2012 hat wohl der erste Brite „Raus!“ geschrien, wenig später waren es dann so viele, dass man es nicht mehr ignorieren konnte und nun plagen sich Regierende und Regierte gleichermaßen mit der folgenschweren Entscheidung trotzköpfiger Separatisten. Ob schwarze Sturmhaube, rote Fahne oder gelbe Weste – die Angst ist diffus, die Wut auch, der Druck steigt. Und die Sleaford Mods sind immer noch zur Stelle. Doch ebensowenig, wie der Brexit nur ein britisches Problem ist, sind die Sleaford Mods eine Brexit-Band. Die Frustration und Aggressivität der Lyrics von Jason Williamson speisen sich vielmehr aus den Erlebnissen eines wohl beschleunigten, aber andauernden Niedergangs unserer westeuropäischen Gesellschaft der vergangenen Dekaden, der Brexit ist also nicht mehr als ein Ausschnitt aus dem Storyboard zur Krise.
Man tut gut daran, sich die Geschichte dieser beiden zornigen Endvierziger in dem immer noch grandiosen Biopic „Bunch Of Kunst“ von Christine Franz anzuschauen, um zu verstehen, dass sich so viel nicht verändert hat, nicht für Andrew Fearn, nicht für Williamson und leider auch nicht für ihr Heimatland im speziellen und Europa im Allgemeinen. Gut, der Blickwinkel ist ein anderer, aber der Weg vom shithole-job in der Hühnerfabrik auf die Bühne ist, so betrachtet, kein allzu großer Schritt und Williamson (man möchte es ihm dennoch nicht wünschen) macht nicht den Eindruck, als ob er damit heute so gar nichts mehr anzufangen wüsste. Vater jetzt, reflektierter vielleicht, aber: Die Kids sind nicht allright – und deren Mütter und Väter sind es eben auch nicht.
Und deshalb eben Eton. Für Williamson, selbst wegen einer Nichtigkeit ohne Abschluss von der Schule geflogen, gibt das Elitecollege in Windsor noch immer ein prima Feindbild ab und der Umstand, dass neben einer ganzen Reihe zweifellos honoriger Persönlichkeiten auch Leute wie David Cameron und Boris Johnson dort ausgebildet wurden, macht ihn nicht eben milder. Über die Gründe dafür hat er kürzlich in der Financial Times mit einem Eton-Absolventen geplaudert. Für ihn stehe der Ort symbolhaft für einige falsche Prinzipien, die Menschen dort anerzogen würden und das Land in den Ruin trieben, es mache ihn traurig, zu sehen, in welch schöner Umgebung dieser Ungeist noch immer gepflegt würde. Er ist bei seinem letzten Besuch im Übrigen vom Gelände geflogen – auf die Frage, ob er seinen Sohn nach Eton schicken würde, kommt wenig überraschend ein klares „nein“.
Kein Glaubwürdigkeitsproblem also zu erkennen. Die Texte still in rage, der Sound gewohnt griffig und mit ein paar kleinen Änderungen versehen. Dass Williamson neben seinen bissigen Tiraden durchaus auch Gefallen am – nun ja: Gesang gefunden hat, konnte man schon auf der letzten EP hören, auf diesem Album nun pusht Andrew Fearn die Beats noch ein wenig mehr in Richtung Groove. Was sich gut und für Gleichaltrige zudem tröstlich anfühlt, weil es zeigt, dass der last exit nicht zwangsläufig in einer sorgsam gepflegten Zeitschleife aus Retromanie und/oder Schweinerock enden muß. Der Beweis, dass man auch jenseits der mutmaßlichen Lebensmitte fern jeder Peinlichkeit fluchen und federn kann, ist eines der größten Verdienste der Sleaford Mods (siehe „Kebab Spider“).
Gleichzeitig wirken die Stücke noch reduzierter, essenzieller, aufgeräumter, haben die einen den alten Punch („Flipside“, „Subtraction“, „O.B.C.T.“), die anderen den Funk („Policy Cream“, „Discourse“) und können doch nicht anstinken gegen dieses eine Highlight der neuen Platte: Auf die Frage, wann denn Schluß sei mit den Mods (etwas, dass auch und gerade Williamson natürlich sehr umtreibt), reagiert auch der Fan etwas ängstlich, unsicher. Vielleicht dann, so denkt man sich, wenn die beiden ihren ersten Lovesong schreiben würden? Nun, „When You Come Up To Me“ ist von dieser Art Liebe noch sehr weit entfernt, aber er ist so ehrlich, fast zerbrechlich, Williamson wirkt hier auf einmal seltsam zurückhaltend und nachdenklich, dazu Fearns gemäßigte Synthloops, wohl der ungewöhnlichste Track der letzten Jahre, und eben auch das: ein Song. Es mache ihnen noch Spaß, auch wenn sie jetzt gewiss glatter, weniger dreckig klingen würden, so hat der Sänger in einem Webchat mit dem Guardian gesagt, er selbst mache das nur, wenn er das Gefühl habe, wahrhaftig sein zu können. Gut so, wir sind dabei und ergänzen: Wer so überraschen kann, für den ist, verdammt noch mal, noch lange nicht Schluss.
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