Rammstein
„Rammstein“
(Sony)
Fast so viel Spaß wie die Platte selbst macht dieser Tage die Presseschau. Denn zu lesen, wie manche/r sich windet, ziert und sträubt, das hat schon eine sehr amüsante Note. Normalerweise möchten die Feuilletons, etablierten Netzportale und Trendblogger hierzulande eine Band wie Rammstein ja nicht mal mit der Kneifzange anfassen, besser kümmert man sich um angesagte Hipstermucke, damit die junge Leserschaft nicht ganz so schnell flötengeht. Doch so zu tun, als sei dieses Album nicht erschienen, geht nun auch wieder nicht, schließlich war die mutmaßlich letzte Tour in Nullkommanix ausverkauft, versammelten sich des Nachts Tausende von Wegebiertrinkern, um auf Häuserwände projizierte Videoclips anzuschauen – man ging ihnen also wieder auf den Leim, man mußte. Entsprechend liest sich der Streifzug durch die Kritiken – wobei nicht jede davon so angenehm differenziert und pointiert formuliert ist wie des des Autors eines Vice-Eintrages mit dem Titel: „Warum die Volltrottel-Band Rammstein dringend untergehen muß“.
Die ehrwürdige FAZ beispielsweise grummelt sich recht unentschieden durch die Zeilen auf der Suche nach dem kleinsten, gemeinsamen Nenner und verweist schließlich auf den Keyboarder Flake als einzig zumutbaren Sympathieträger (schreibt ja schließlich Bücher, wirkt reflektiert und sieht sogar halbwegs sympathisch aus). Beim Lesen der SZ kann man den Würgereiz der Autorin (Subtext: Ich muß das hier machen) sogar körperlich nachempfinden, es wird an teutonischen R’s aneinandergereiht, was die Tastatur so hergibt. Richtig schlau wird man daraus trotzdem nicht, denn die gutgemeinte, sonst aber ziemlich überstrapazierte Frage – Wie verhält sich die Band im Kontext zu wiedererstarkendem Populismus und Nationalismus? – verfolgt sie dann doch nicht weiter. Noch hübscher Die Zeit, wo der Schreiber sich einen beachtlichen Spagat erlaubt, hangelt er sich doch einerseits über Prokrastination, Oxymoron, Hendiadyoin, Anakoluth und Paronomasie durch schwindelerregende Dialektik, bleibt aber am Ende doch beim weißen, deutschen Mann als „ungefickte Mangelexistenz“ kleben. An welcher Stelle da wohl der Studienrat ausgestiegen ist?
Am besten macht es da noch der Spiegel und konzentriert sich auf den karnevalistischen Ansatz der Band, Rammstein sind also weltreisende Zirkustour, mobiles Kunstblutbad und Horrorshow, die sich selbst nicht sonderlich ernst nehmen und als „sympathische Selbstkarikaturen“ ihr Unwesen treiben. Und eben da kommt man dann auch zu der Frage, wer eigentlich befohlen hat, diese sechs Männer so unglaublich ernst und wichtig zu nehmen? Nur weil es einem der brachiale Sound und die bisweilen schwer verdaulichen Bilder eingeben? Ach Gottchen. Gut vorstellbar, dass sich das gesamte Berliner Rammelkommando einen Riesenspaß daraus macht, die Reaktionen der Redaktionen, die Beissreflexe der offiziellen Pressestellen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern diese auch herauszufordern. Ebenso gut möglich, dass manche/r, die/der mit der Meinung blitzschnell hervorgeprescht ist, diese in Kenntnis des kompletten Bildes besser für sich behalten hätte. Wir sind „Deutschland“, nun gut.
Zu erwarten, dass sich nach fast zehn Jahren Sendepause an Form und Inhalt bei Rammstein Umwälzendes tut, ist eine ebenso trügerische Hoffnung – für wen, bitteschön, sollten sie das denn tun? Die einen stellen die neue Platte ohnehin angewidert in den Giftschrank mit der Aufschrift „Stumpf und böse“, andere (und nicht wenige) sind damit zufrieden, wenn ihnen in der knappen Stunde der Schädel weichgeprügelt wird. Dabei gäbe es tatsächlich Erfreuliches zu berichten: Dass nämlich besagtes „Deutschland“ als Bastard aus „Our Darkness“ und „Thunderstruck“ zum Einstand bestens funktioniert und „Radio“ gleich danach neben den üblichem Riffgehämmer meets Billigsynthies auch wegen der feinen Querverweise auf Kraftwerk durchaus überraschen kann. Neben viel Durchschnitt – und machen wir uns nichts vor, den gab es auch auf „Rosenrot“ und „LIFAD“ schon reichlich – bleiben eben die kleineren Ideen besser im Gedächtnis, die schlierigen Loops und die mordsmäßig überdrehten, sakralen Chöre beispielsweise.
Richtig freuen darf man sich auf die beiden Stücke „Puppe“ und „Weit weg“. Bei ersterem bricht sich die Wut über das Schicksal der Schwester auf derart krachende Weise Bahn, dass selbst sturmerprobte Lindemann-Fans kurz zusammenzucken werden. Im zweiten Titel muß man unweigerlich an eine ältere Doku über das ostdeutsche Plattenlabel AMIGA denken, in welchem sich Flake zu einer unverholenen Respektbekundung an die Musik der frühen Puhdys hinreisen ließ – für den Urpunk eigentlich ein Sakrileg. Doch genau daran, an den herrlich verschwurbelten, oftmals recht naiven Psychrock der DDR, erinnert dieser Song – und gefällt. Alles in allem ein lohnenswertes Schauspiel – wenn man es nicht mit allzuviel Bedeutung auflädt. Vielleicht lassen sich Rammstein ja am besten mit der Sendung „Der Schwarze Kanal“ im DDR-Fernsehen vergleichen: Niemand, der über klaren Verstand und die richtige Antenne verfügte, nahm das grimmige Gehechel von Moderator Schnitzler zu den kurzen Bildsequenzen damals für voll – und dennoch starrten alle mit einer Mischung aus Faszination, leichtem Grusel und diebischer Freude weiter auf die Mattscheibe. https://www.rammstein.de/de/
Update: Einen schönen Text zum Tourauftakt in Gelsenkirchen gibt es übrigens von Peter Richter in der Süddeutschen Zeitung zu lesen.
Neue Termine für 2020:
25.05. Klagenfurt, Wörtherseestadion
29.05. Leipzig, Red Bull Arena
02.06. Stuttgart, Mercedes Benz Arena
06.06. Zürich, Letzigrund
07.06. Zürich, Letzigrund
27.06. Düsseldorf, Merkur-Spiel Arena
01.07. Hamburg, Volksparkstadion
04.07. Berlin, Olympiastadion
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