Rufus Wainwright
„Unfollow The Rules“
(BMG)
Er wird es uns hoffentlich verzeihen, dass wir ihm gerade bei dieser Frage mit einer der fürchterlichsten Business-Phrasen der Neuzeit kommen: Warum nur, so lautet das Rätsel, bekommt er uns nur immer wieder an den Haken, mit jeder neuen Platte, mit jedem neuen Stück? Nun, Rufus Wainwright schafft stets aufs Neue, was anderen Musiker*innen selten und oft nur ansatzweise gelingt – er holt uns dort ab, wo wir uns gerade mit unseren Gedanken und Stimmungen befinden. Dabei ist es schlicht egal, ob die launische Seele gerade Berg oder Tal bewandert, ob wir in grenzenloser Euphorie alles und jeden umarmen wollen oder ob uns die Traurigkeit wie ein dumpfer, grauer Nebel niederdrückt (selbst das Vokabular, kitschig oder nicht, gibt er einem ein) – Wainwright hat dazu immer den passenden Song parat. Wie jeder geniale Liedermacher, nehmen wir nur mal Randy Newman, gibt er einem das Gefühl, unseren emotionalen Wirrwarr zu kennen, selbst genau solche Situationen schon durchlebt zu haben – und nimmt ihnen im gleichen Moment schon die Spitze, den Ernst.
Empathie, Humor, Selbstironie, Lust, Warmherzigkeit, Lebensklugheit, seit Jahren nun schon macht der Mann mit diesen Eigenschaften zauberhafte Platten, schüttelt sie aus dem Ärmel, als würde es keine große Mühe kosten. Es ist dabei sicher von Vorteil, dass Wainwright unverbesserlicher Optimist geblieben ist (schließlich glaubt er an das politische Ende von Trump nach schon einer Amtszeit), in glücklicher Beziehung, verheiratet, Vater einer Tochter. Und er hat sich, zu unserem Glück, von der fast schon sakralen Dramatik seiner frühen Solowerke zugunsten einer noch höheren Kunst verabschiedet – dem perfekten Songwriting. Denn überhöhen, ästhetisieren, aufladen können viele, mit einfachen Mitteln aber zu Herzen zu gehen ist schwerer als gedacht. Ein Crooner ist Wainwright geblieben, seine Stimme, egal ob Oper, Popsong, Musical oder Chanson, ist sein wichtigstes Stilmittel. Mit ihr findet er den Zugang, sie lässt die Zuhörer*innen bereitwillig kapitulieren. Und tut dies auf großartige Weise natürlich auch auf diesem, seinem achten Studioalbum, begleitet von einem nicht weniger großartigen Ensemble.
Drei Akte, zwölf Songs, als Konzept die alltägliche Achterbahnfahrt zwischen Zweifel, Hochgefühl, Einsamkeit, Zuversicht, Ängsten, Sehnsüchten und schlussendlich dem erhofften Frieden mit sich selbst. Da sind die Erwartungen, die uns verunsichern, die ewige Kontrolle, die uns einengt – „Don’t give me what I want, just give me what I’m needing, unfollow the rules, unfollow the path to the seeding“ besingt er im Titelsong den inneren Kampf und schließt mit „I will never know, but perhaps I have a feeling.“ Da sind die romantischen Anwandlungen und das herzergreifende Lied für den Partner („Peaceful Afternoon“), wo künftiger Verlust und Schmerz mit zärtlichen Trostworten gebrochen werden: „Cause it’s all a part of the game, ya, it‘s all a part of the symphony, and I pray that your face is the last I see, on a peacefull afternoon“. Wainwright preist die Liebe, die Frauen im Allgemeinen und seine Tochter ganz speziell. Und ja, selbst der morgendliche Wahnsinn, zu dem uns schlechte Träume und die Furcht, den Aufgaben des Lebens nicht zu genügen, treiben, selbst dieses Gefühl bekommt bei ihm seinen Platz und verliert sogleich etwas von der bedrohlichen Düsternis. Rufus Wainwright ist ein Mann, der über seine Gefühle nicht nur reden, sondern auf unnachahmliche Art singen kann. Wer sich diesem Angebot zu öffnen vermag, für den ist diese Musik im besten Sinne eine Art von Lebenshilfe.
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