Samstag, 8. September 2018

Idles: Mit Wut und Liebe

Idles
„Joy As An Act Of Resistance“
(Partisan Records)

Es ist nicht ganz so einfach zu sagen, was die Idles besser machen als andere. Wütende Bands gibt es hier und heute viele, die Zeiten, ob im Provinzkaff nebenan, weit drüben in Amerika oder im einst so stolzen Königreich, sie sind danach. Aber Wut braucht nicht nur Lautstärke. Sie braucht auch Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Auswege, sonst bleibt sie blind und zerstörerisch, sonst nutzt sie niemandem. Joe Talbot, Sänger des Quintetts aus Bristol, hat aus seinem gerechten Zorn nie ein Hehl gemacht. Schon auf dem fulminanten Debüt „Brutalism“ hat er gegen verstockte Traditionen, Denkmuster und Vorurteile angebrüllt, hat Porzellan zerschlagen. Und tut es wieder, so roh, pur und ungekünstelt, dass man ihn dafür lieben muss. Selbst für seinen Hass: „You will never forgiven for what you’ve done. Seriously. I fucking I hate you. Tabloid cancer fuckpigs“, etwa heißt es in den Linernotes des Schlußstücks „Rottweiler“, keine Kompromisse, nicht zu bändigen, Talbot teilt aus, wie er früher eingesteckt hat.

Denn das zweite Album hat wie auch der Vorgänger eine sehr starke autobiographische Komponente. Das Verständnis von Männlichkeit, mit dem unsere Gesellschaft jungen Burschen den Weg vorgibt und das oft so verlogen und falsch ist, daß es Talbot den Schaum vor den Mund treibt. Schon bei „Colossus“ erscheint ihm der Schatten des geliebten Vaters so tonnenschwer, wie der Song sich im ersten Teil dem Hörer nähert. „Samaritans“ bleibt beim Thema, ironischer jetzt, etwas weniger böse, aber immer klar: „The mask of maskunality is a mask that’s wearing me“, und danach mit einem Gruß an Kate Perry in der Pop-Blase „I kissed a boy and I liked it“. Stück um Stück kämpft sich Talbot durch Kindheit und Jugend, gemobbt, beiseite geschoben, Dreck der Straße. Der Schmerz, der ihn noch heute zornig werden läßt, hat sich eingebrannt, macht ihn empfindsam als Vater, der er jetzt ist. Mit all der Verantwortung und auch der Ohnmacht, einfache Botschaften deshalb wie in „Television“: Love yourself, liebe dich selbst, weil es sonst keiner tut, und vor allem: Liebe dich so, wie du bist.



Auch die großen politischen Themen bleiben natürlich nicht außen vor. Talbot ist ein Krieger, der Brexit trifft in ihm einen erbitterten Widersacher. Kleingeist und Engstirnigkeit sind ihm fremd, auch dazu eine Notiz: "I am a human first and a briton last. Long live the open minded.“ Dem sozial gebeutelten, vom Mitmenschen entfremdeten Heimatland gibt er mal um mal kräftig eine mit. In „Danny Nedelko“, wo er dem in der Ukraine geborenen Freund und Sänger der Kapelle Heavy Lungs ein kleines Denkmal setzt: „My blood brother is an immigrant, a beautiful immigrant, my blood brother's Freddie Mercury, a Nigerian mother of three“. In „Great“ wiederum liest er dem Neid, der Selbstsucht und dem überzogenen Misstrauen seiner Landleute mit scharfer Zunge die Leviten: „Islam didn’t eat your hamster, change isn’t a crime, so won't you take my hand sir and sing with me in time“. In einer Zeile – der Spiegel vorm Gesicht, die Liebe als Ausweg.



Alles Punk: Talbots Tiraden, mit ungebremster Härte bis zum letzten Akkord, Devonshires ultrafetter Powerbass, Bowens verteufeltes Gitarrengefetze, Mitgrölhymnen galore, herrlich! Und dann noch, als wäre es nicht schon genug des Besten, zwei Songs mit besonderer Strahlkraft: In „June“ singt Talbot über sein Kind, das tot zur Welt gekommen ist – so bitter und traurig, daß man ihm glaubt, wenn er sagt, er könne das wohl auf einer Bühne kaum schaffen: „A stillborn is still born, I am a father … babyshoes for sale, never worn.“ Und später dann die ungewöhnliche, doch sehr gelungene Coverversion des Solomon-Burke-Klassikers „Cry To Me“. Der Song habe ihn verdammt berührt, sagte Talbot dem Netzportal NPR, wer wie er ab und an Grinderman höre und „Dirty Dancing“ liebe, werde das verstehen. Das perfekte Album übrigens packt einen im Moment genauso wie zehn, zwanzig Jahre später – letzteres können wir jetzt nicht nachprüfen, für den Moment aber ist „Joy As An Act Of Resistance“ zweifellos das Ding der Stunde. https://www.idlesband.com/

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