070 Shake
„Modus Vivendi“
(GOOD/Island Def Jam)
Die Story ist tatsächlich fast so spannend wie die Musik selbst: Danielle Balbuena, 23, aufgewachsen in North Bergen, New Jersey, in einem Township am Hudson River. Die Mutter selbst jung aus der Dominikanischen Republik in die Staaten gekommen, das Kind kämpft früh mit ADHD und in der Folge mit den Nebenwirkungen der verabreichten Medikamente, Drogen kommen ins Spiel. Die Erfahrung, dass homosexuelles Leben gegen die Erwartungen der Familie, gegen die Konventionen steht und nicht nur Erfüllung und Glück, sondern auch Einsamkeit und Verzweiflung bedeuten kann – einziger Ausweg: Sie schreibt. Gedichte, Texte, erst nur die Worte, später mit Musik. Dann der Durchbruch – Kanye West entdeckt sie für das Team von „Ye“, in seinem Gefolge Kid Cudi, Nas. Und Pusha T., im Track „Santeria“ vom Album „Daytona“ ist sie eine einzige Offenbarung. Danach: Mixtape, Kontakt zu David Hamelin (The Stills), Debütalbum. Ihr „Modus Vivendi“, ihr way of life also scheinbar eine Traumkarriere? Vom Problemkind zum neuen Star der Hip-Hop-Szene, das androide Tech-Tank-Girl mit Wut und Baseball-Schläger, da muß man schon aufpassen, dass einem im Überschwang nicht die Metaphern ausgehen. Besser, man hält sich an die Musik, denn die spricht eine ganz eigene Sprache.
Und ist gar nicht so leicht einzuordnen. Afropop-Rhythmen, Dancehall, Ambientklänge, Rap, Trap, Grime. Der eigentliche Start erst mit Track drei „Morrow“, dann aber wunderbar tief und dunkel, die ganz dicken Synths, die Stimme durch den Vocoder geschickt, herrlich. Im Netz findet sich der schöne Satz von ihr, dass ihr die Platte in einem frühen Stadium „too Barbie“ klang, ergo: „I don’t want to make it better, I want to make it worse.” Was nicht schlechter, sondern wohl eher authentischer, rougher, disruptiver meint. Und das ist ihr wunderbar gelungen. Die Tracks, die viel von gebrochenen Herzen, Enttäuschungen und von Selbstbehauptung handeln („Divorce“, „Guilty Conscience“), sind zwar textlich unmißverständlich und hart, der Sound aber setzt den warmen, den geschmeidigen Kontrapunkt. Selten, dass die Beats und Rhymes so schnell und stakkatoartig kommen wie in „Daydreamin“, einem Track, dem man die Verehrung für Missy Elliott deutlich anhört. Mittendrin übrigens noch eine kleine Überraschung – „The Pines“ entpuppt sich als Rework des frühen Klassikers „Where Did You Sleep Last Night“ aus dem Jahr 1870, den auch Nirvana schon (in anderer Form, versteht sich) im Programm hatten. Alles in allem ein Debüt, das mit Kraft und Kreativität, mit Tiefe und reichlich Emotion aufwarten kann und jetzt schon ein Ausrufezeichen für 2020 setzt.
22.01. Köln, Yuca
27.01. Berlin, Bi Nuu
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