Dienstag, 31. März 2020

Pearl Jam: Die Wut von damals

Pearl Jam 
„Gigaton“
(Republic)

Ist das etwa undankbar? Oder anders: Was haben wir wohl erwartet, wenn Pearl Jam als die einzigen Überlebenden des Grunge der frühen 90er nach sieben Jahren noch einmal zum vermeintlich großen Wurf ansetzen? Nun, der Status dieser Band ist von einer Vitalität, dass man es fast mit der Angst zu tun bekommt – jedes ihrer bislang zehn Studioalben erreichte mindestens die Top Five der US-Charts, die Hälfte sprang sogar an die Spitze (was jetzt nicht zwingend etwas über deren Qualität aussagt, wohl aber über Erwartungshaltung und Treue der Anhängerschaft). Man darf wohl behaupten, dass Pearl Jam sowohl den Aufstieg als auch den Triumph des besagten Genres vorangetrieben haben, nicht wenige behaupten allerdings, als maßgebliche Galionsfiguren wären sie auch für die Kommerzialisierung und den Niedergang desselben verantwortlich. Zwei Schlagworte, die einem da sofort in den Sinn kommen: Cameron Crowe und Citizen Dick. Ersterer hat als Regisseur den damaligen Kinoerfolg des Grunge-Films „Singles“ zu verantworten, letzteres ist der Name der Band, in welcher Eddie Vedder, Jeff Ament und Stone Gossard, die drei maßgeblichen Pearl-Jam-Mitglieder, für den Streifen die Vorzeige-Slacker mimten. Einen Gefallen haben sie sich damit, zumindest in der Rückschau, nicht getan, die Behauptung, im Vergleich zu den ungleich kompromissloseren Nirvana wären Vedder und Kollegen nur Poser, wurde dadurch nicht wirklich entkräftet.



Vorurteile, größtenteils – sicher. Politisch integer waren Pearl Jam seit jeher, fehlende Leidenschaft konnte man ihnen (bis dato) ebenfalls kaum vorwerfen und dass eine unnachgiebige Haltung zwingend mit Selbstzerstörung – siehe Kurt Cobain – einhergehen muß, will nun auch niemand ernsthaft behaupten. Und trotzdem ist die neue Platte nicht weniger als eine Enttäuschung. Kein großer Wurf, giga sind an ihr nur die zu erwartenden Umsätze der nachfolgenden Stadiontour – was ist schiefgelaufen? Augen-(oder besser: ohren-)fällig gehen dem sonst so kraftstrotzdenden Quintett schon nach drei Songs die Wucht und die Ideen aus – „Who Ever Said“, „Superblood Wolfmoon“ und vor allem das (zugegebenermaßen) großartige „Dance Of The Clairvoyants“ starten mit viel Energie, markigen Riffs und eingeflochtenen Synth-Melodien, doch schon das folgende „Quick Escape“, ein recht konventioneller Rockfetzen, vermag dann aber das feine elektrische Gitarrensolo nicht mehr retten. Was folgt, ist müdes, nicht sonderlich inspiriertes Midtempo, mittelmäßige Americana, oldschool Bluesrock, Psychedelic, Balladen. Hier tritt einen nichts mehr in den Arsch (was doch in Zeiten wie diesen und in einem Heimatland wie dem ihren so bitter nötig gewesen wäre), Pearl Jam erscheinen vielmehr ideenlos und ob des großen Echos im Vorfeld vielleicht auch etwas selbstgefällig.



Und die Texte? Nun, auch da werden sie einerseits ihrer Rolle als Mahner, Proklamierer und politische Aktivisten gerecht. Erwartungsgemäß drehen sich die meisten Stücke um den besorgniserregenden Zustand des Planeten und die dürftige, weil verkümmerte Willensbildung daheim. Trump bekommt sein Fett weg (wenn auch in überschaubarem Maße), es wird viel gehofft und gebangt, in Frage gestellt und bezweifelt: „Focus on your focusness, don't allow for hopelessness, I've been hoping that our hope dies last. I don't know anything, I question everything, this life I love is going way too fast“ heißt es noch am Anfang, spätestens jedoch mit dem Doppel „Alright/Seven O’Clock“ kippt das Ganze in eine Art erbaulich-beschauliche Trostlosigkeit, die nur noch selten gebrochen wird, von der Wut früher Tage – Anlass genug gäbe es ja – ist nicht mehr viel zu hören. Ganz am Schluß wie zum Beweis ein paar dramatische Chöre, die sehnsüchtige Tagträumerei von „River Cross“ ergeht sich in düsteren Bildern. Gut gemeint das alles, gut gemacht ist es nicht, gefälliger Mainstream mit allzu vorhersehbaren Botschaften. Den Kampf gegen das etablierte System werden andere, jüngere ausfechten müssen, dieses Album holt niemanden von der Couch.

23.06.  Frankfurt, Festhalle
25.06.  Berlin, Waldbühne
07.07.  Wien, Stadthalle
17.07.  Zürich, Hallenstadion

GLOWS: Parallelen und Überraschungen

Die Musik dieser Tage wird ja, noch mehr als sonst, in Schlaf- und Wohnzimmern, in Hobbykellern und Privatstudios aufgenommen, Quarantäne, Isolation, solche Dinge. Da passt es ganz gut, dass dieser junge Mann hier namens GLOWS oder auch GG Skips gerade mit "Easy" einen neuen Track geteilt hat, der eben aus diesem Arbeitsumfeld kommen muß (wohl auch zu normalen Zeiten). Die Netzplattform DIY kürte den jungen Londoner dann auch gleich zum aufstrebenden Star und nicht nur uns fallen bei diesen Klängen wahrscheinlich The XX ein und ihr Mastermind Jamie "XX" Smith ein. Denn auch GLOWS ist neben seiner Solorolle Teil einer Band, nämlich der Post-Punk-Kapelle Sorry, ebenfalls aus der englischen Hauptstadt. Mit etwas Ausdauer findet man von ihm im Netz eine größere Anzahl an Songs, Remixen und Compilationen, wir geben hier neben dem recht aktuellen "Turn Fast" noch die Debüt-EP "J.L. Hooker Love Pleasure Forever" (2019) dazu. Sehr unterhaltsam im Übrigen ein Interview, das er mit Fred Perry geführt hat, dort outet er sich überraschenderweise als leidenschaftlicher Anhänger von Jerry Garcia ergo Dead Head.





Spector: Kein Grund zur Beschwerde

Ein neuen, letzten Song haben die überaus verehrten Spector aus London gerade von ihrer EP "Extended Play" veröffentlicht. Schon im vergangenen Jahr haben wir an gleicher Stelle die Stücke "Simplicity", "Half Life" und "I Won't Wait" vorgestellt, nun also abschließend noch "When Did We Get So Normal?". Der Song ist, nicht ganz so überraschend, schon einige Zeit im Kasten und Sänger Fred Macpherson hat deshalb ein paar erläuternde Sätze dazu ergänzt: "In diesen ungewöhnlichen Zeiten fühlt es sich merkwürdig an, einen Song namens 'When Did We Get So Normal?' zu bringen. Wir haben ihn geschrieben, als sich vieles in unserem Leben ein wenig zu oft wiederholte und zu routinemäßig ablief, was jetzt schon wieder sehr lange her ist. Wir haben viel zu viel Zeit mit den gleichen Menschen verbracht, langweilten uns, waren genervt davon, immer die gleichen Dinge wie alle anderen zu sehen, zu hören und zu essen, in den Spiegel zu schauen und zu erkennen, dass das eigene Leben nicht mehr das Abenteuer ist, nach dem es sich einst anfühlte", sagt er einem Musikmagazin, "Aber ich schätze, wir sitzen jetzt alle im selben Boot. Sogar die sexy und interessanten Menschen bleiben zu Hause, schauen fern und warten auf Pakete, also ist es vielleicht ein guter Soundtrack für die neue Normalität. Ich werde mich nie wieder über Cornwall beschweren."

Sonntag, 29. März 2020

Egyptian Blue: Erneute Signale

Da sind sie also wieder: Die Post-Punk-Band Egyptian Blue aus Brighton haben wir hier im vergangenen Jahr mit ihrer Debüt-EP "Collateral Damage" schon präsentieren dürfen, nun schicken sie sich an, den Nachfolger, ebenfalls eine 12", ins Rennen zu schicken. "Body Of Itch", so der Name, wird am 10. April wieder bei Yala! Records erscheinen, darauf enthalten neben dem im Februar veröffentlichten Stück "Never" auch der aktuell geteilte Song "Nylon Wire".



Dua Lipa: Kontext, Baby!

Drei fixe Gedanken zum allgemeinen Gemecker über den Erfolg des neuen Albums "Future Nostalgia" von Dua Lipa: Was, wenn uns die Biografie der gebürtigen Londonerin, deren Eltern aus Priština im Kosovo stammen, als Schulbeispiel europäischer Integration dienen würde, noch dazu in einer Zeit, da sich ihr jetziges Heimatland gerade alle Mühe gibt, dieses Europa mitsamt seiner zwiegespaltenen Bevölkerung auf schnellstem Wege zu verlassen? Was, wenn ihr offensiver Umgang mit der eigenen Sexualität (frivol sagt man je heute wohl nicht mehr) ihre Art von feministischem Ansatz ist? Meint: Wenn du das nicht erträgst, Junge, was sich männliche Kollegen wie Bieber oder Timberlake unreflektiert und unkritisiert nehmen dürfen, dann läuft da ganz gewaltig etwas schief! Klar ist das alles sehr Spears, sehr Aguilera, sehr Lopez - aber: Kontext, Baby! Und überhaupt: Wenn die halbwüchsigen Töchter bei den ersten Tönen von „Physical“ wie auf Knopfdruck jubelnd zum coronabedingten Hausaufgaben-Workout das Arbeitszimmer stürmen, dann ahnt man, warum dieser Song, warum die ganze Platte, obschon ein recht simpel gestrickter Gegenentwurf zur Hl. Billie, so gut funktioniert. Deshalb hier noch mal im Schnelldurchlauf ...





Torres: Seltener Fund

Den allgemeinen Umständen geschuldet, gibt es derzeit ja eine Unmenge an Veröffentlichungen, die Künstler in der selbstverordneten Quaratäne mit dem Equipment fabrizieren, dass ihnen in den eigenen vier Wänden zur Verfügung steht - die Vielzahl an Musikpodcasts, Isolation-Sessions und Badezimmerkonzerten ist so unübersichtlich wie qualitativ oftmals höchst fragwürdig. Wie wohltuend deshalb, wenn man aus der Flut an Material ab und an mal eine kleine Perle herausfischen kann. Dass Geoff Barrow, streitlustiges Mitglied von Portishead, kaum etwas auf der Welt so sehr hasst wie den seiner Band zugeschriebenen Begriff Trip-Hop, weiß, wer ihm in den sozialen Netzwerken folgt. Wie er dagegen die Interpretation von "Wandering Star", einem der bekanntesten Tracks vom Debütalbum "Dummy" aus dem Jahr 1994, eingespielt von der amerikanischen Songwriterin Mackenzie Scott alias Torres, findet, ist noch nicht bekannt. Die Künstlerin aus Orlando/Florida, gerade mit ihrem Album "Silver Tongue" erfolgreich und tourtechnisch durch das Virus ausgebremst, hat ihre Version des Stückes gerade geteilt - wir finden: durchaus gelungen.

Samstag, 28. März 2020

Danube: Schwierige Umstände

Von Stella Lindner aka. Danube gab es hier ja im Januar mit "Touch Mahal" schon etwas zu hören - ein paar Tage her also und unter den gegebenen Umständen gefühlt eine komplett andere Zeit. Davon abgesehen aber (insofern das geht) präsentiert sich die Künstlerin auf ihrer neuen Single "Sense Is Where You Find It" deutlich introspektiver, dunkler. Lindner selbst sagt, es wäre das, was man einen Herzbruch-Song nennt, sechs Minuten mit sanften Percussions und sphärischer Elektronik und auch die erinnern wieder an eines ihrer Lieblingsreiseziele Indien. Unterstützt hat sie erneut Tobias Siebert, aufgenommen wurde im Studio von Radio Buellebrueck in Berlin. Wie man bei Facebook lesen kann, sind die Zeiten für sie und ihre Familie auch persönlich keine einfachen - sobald es die Umstände erlauben, wird es in diesem Jahr dann auch mehr von Danube zu hören geben.

Home Counties: Ansichten zur Stadtentwicklung

Zur Abwechslung mal wieder ganz was Frisches - diese fünf jungen Herren kommen aus Bristol und hören auf den Namen Home Counties. Und haben gerade mit "Redevelopment" einen ersten Song online gestellt, der mit seinen knapp drei Minuten in bester englischer Post-Punk-Tradition drauf los poltert. Zur Band zählen neben Sänger und Gitarrist Will Harrison noch Conor Kearney (auch Gitarre), Barn Peiser Pepin an den Keys, Bassist Sam Woodroffe und Drummer Dan Hearn. Der Song selbst ist ein Statement zur allgegenwärtigen Gentrifizierung, Harrison meint dazu: "Die erste Hälfte des Songs spiegelt die Sichtweise der Sanierer aus den 60er Jahren wieder, während die zweite den Umstand betrachtet, dass überall modernistische Gebäude abgerissen und durch mondänere Luxuswohnungen ersetzt werden. Wir wollen zeigen, dass diese Ideen von Nostalgie, städtischem Verfall und Fortschritt in Zyklen auftreten, es soll auch eine Empfehlung sein, mit den Argumenten gegen die Sanierung ebenso vorsichtig umzugehen wie mit denen für sie."

Freitag, 27. März 2020

Silk Mob: Elegant im Nebel

Und auch hier die Wahl, zwischen der Neuen von Haftbefehl und der etwas entspannteren Variante: Das deutsch-österreichische Joint Venture (rockistisch: Supergroup) mit dem Namen Silk Mob hat heute sein gleichnamiges Album veröffentlicht und weil das so unglaublich smoothe Mucke ist, die da aus dem Nebel (Trockeneis? Haha!) federt, gibt es hier zumindest mal einen kurzen Überblick über die bislang erschienenen Tracks von Donvtello, Opti Mane, Jamin, Lex Lugner und Fid Mella. Als da wären "Fenster auf", "Heute Ned", der sagenhafte "Bademantel" und die aktuelle Single "Belvedere". Quarantäne-Tunes, sagen sie. Könnte stimmen.







Kalipo vs. Local Suicide: Tanzbefehl

Tja, wo anfangen heute? Beim ollen Bob Dylan? Och nö, auch schön, Sensation, na klar, aber so richtig zum Ausschütteln ist das jetzt nix. Und eigentlich ist der Freitag ja ein Tanztag und da passt es ganz gut, dass unsere Freunde von Audiolith just heute über ihr Sublabel Hold Your Ground einen richtigen Banger an den Start bringen: Jakob Häglsperger, besser bekannt unter seinem Pseudonym Kalipo und an den Reglern für die Frittenbude, Ira Atari und Fuck Art, Let's Dance äußerst kompetent zu Gange, hat sich wiederholt mit dem griechischen/deutschen Duo Local Suicide zusammengetan und eine EP mit dem Namen "Wunderbar/Zig Zag" aufgenommen, die reichlich Remixmaterial dieser beiden Tracks enthält - einen Vorgeschmack davon gibt es hier schon mal zu hören, der Rest dann am 9. April beim Dealer des Vertrauens. Wer auf den Geschmack gekommen ist, darf sich bei Soundcloud übrigens auch noch die letzte 12" der drei "Dominator" anhören.





Donnerstag, 26. März 2020

Glass Animals: Hören und warten

Sie machen es wirklich spannend: Die Glass Animals aus dem britischen Oxford stehen für innovative Tanzmusik, derzeit zieren sie sich aber ein wenig mit der Bekanntgabe für ihr neues, drittes Album. Hatten wir im Dezember vergangenen Jahres mit "Tokyo Drifting" ihre erste Singleveröffentlichung seit "Pork Soda" aus 2017 gefeiert, an der ja auch Denzel Curry mitwirkte, gibt es jetzt den nächsten Dancetrack, diesmal ganz im Stile der 2000er (The Neptunes, Timbaland, Timberlake, etc.) - "Your Love (Déjà Vu)" macht noch mehr Appetit, aber weiterführende Informationen sind rare Ware. Auch in puncto Liveauftritte wird noch geknausert, ein paar Festivals, doch in Deutschland ist vorerst noch nichts geplant. Heißt: Hören und weiterwarten.

Mittwoch, 25. März 2020

Baxter Dury: Blood, Sweat and Tears

Baxter Dury
„The Night Chancers“
(PIAS/Rough Trade)

Über die charmante Tatsache, dass sich Baxter Dury trotz seiner unleugbar britischen Herkunft mit seiner Musik eher der Zugehörigkeit zur französischen Bohéme verdächtig macht und ihm mit Serge Gainsbourg auch gleich das passende Role Model parat steht, wurde (auch hier) schon viel geschrieben. Anlass dazu gab spätestens die Veröffentlichung seines letzten Albums „Prince Of Tears“ im Herbst 2017 – ändern tut sich daran auch mit der neuen Platte nichts. Ganz im Gegenteil, Dury geht den eingeschlagenen Weg mit der lässigen Eleganz eines gefallenen Dandys entschlossen und konsequent weiter. Er, dem nach eigener Aussage die glattpolierten, oberflächlichen Lebensläufe vieler seiner Mitmenschen ein langweiliger Graus sind („I can only really talk about the confusion and the fog“/CLASH), lässt in seinen Liedern gern auf die Abgründe und seelischen Verwerfungen blicken, die unsere ach so moderne und aufgeklärte Gesellschaft hervorbringt – an den Rändern, in den Graubereichen, mit all den Verlockungen, die Anonymität, grenzenlose Selbstverwirklichung und sexuelle Promiskuität mit sich bringen. Seine Protagonisten sind auch auf „The Night Chancers“ nicht selten Gestrandete, Zweifelnde, Suchende, süchtig nach Anerkennung, Liebe und bereit, Grenzen zu überschreiten, wenn es gilt, die Neugier zu befriedigen und die innere Leere zu verdrängen.



Üble Gestalten auch, Stalker, „Slumlords“, gemeines Lachen, böse Gedanken, dreckige Fantasien, all das ist ihm nicht fremd und uns Zuhörern wäre es das auch nicht, wenn wir den dunklen Teil unseres Egos nicht so häufig verleugnen würden. Dury braucht diese verkrachten Existenzen, sie sind für seine Arbeit als Künstler unabdingbar: „All der versteckte Schmerz, der Schweiß, die Tränen - was auch immer. Man assoziiert etwas damit, man riecht es, man kann es fühlen. Es steckt eine echte Emotion hinter all dem“, meint er in besagtem Interview, trotzdem: „Ich bin ziemlich emotional. Aber ich bin kein Arschloch." Die Musik dazu gibt den spannenden Gegenpart, die schwelgerischen Chöre, die Streicher, die jazzigen Arrangements, der gebremste Funk, alles sehr warm, gefühlvoll, geschmeidig. Neben dem großen Franzosen kommen einem wieder und wieder Cave und Ferry in den Sinn, allerdings wird aus Dury im Vergleich zu diesen im Leben kein Sänger mehr, er beschränkt sich eher auf schnoddrige Rezitative oder verkappte Raps, was ohnehin besser zu seinem leicht demolierten Äußeren passt. Eine Nachtplatte, eine von der Schattenseite des Lebens. Und deshalb nicht gering zu schätzen.

04.05.  Hamburg, Mojo Club
05.05.  Berlin, Kesselhaus Kulturbrauerei
06.05.  Köln, Gebäude 9

Working Men's Club: Work in Progress

Man kann solche Musik gerade nicht hören, ohne an den gestrigen Tag und dessen bestimmende Nachricht zu denken - den viel zu frühen Tod von Gabi Delgado. Was DAF Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre angeschoben haben, gilt ja nicht zu Unrecht als die Urform des Techno und darüberhinaus als Mater für nachfolgende EBM-, Post-Punk- und Synthpop-Formationen. So auch den Working Men's Club, eine vierköpfige Band aus dem englischen Königreich. Der Tip für deren neuen Song "A.A.A.A." stammt von den Perlentauchern des Netzradios BYTE FM, wir hatten Sydney Minsky-Sargeant, Giulia Bonometti, Jake Bogacki und Liam Ogburn allerdings auch schon im vergangenen Jahr wegen ihrer Single "Teeth" kurz gestreift - schon damals waren sie das, was man jugendliche Agitatoren nennt. Die Lyrics erinnern in ihrer plakativen Kürze etwas an die Kolleg*innen von Chumbawamba, der Sound eher an Liasons Dangereuses oder eben DAF. Eine ältere Single legen wir noch dazu, im Februar schon erschien "White Rooms And People" - am 6. Juni soll bei Heavenly Recordings das selbstbetitelte Debüt erscheinen.



Rosalía: Dunkle Zeilen, dunkle Zeiten

Planbar ist momentan ja fast nichts, da hilft auch der tägliche, sehnsüchtige Blick bei Songkick nicht weiter. Eine Tour von Rosalía jedenfalls wird nicht nur hierzulande dringend erwartet und herbeigewünscht, wenigstens gibt es heute mit "Dolerme" mal wieder einen neuen Song, nachdem schon die letzten, also "Juro Que" und "A Palé" auf Dauerrotation liefen. Das Stück handelt vom Schmerz, den Liebe und vor allem die Zurückweisung auslösen können, von den Verwünschungen, Rachegelüsten und inneren Kämpfen. Düstere Zeilen für düstere Zeiten, die Hinweise auf der Zeichnung des Covers tun ein übriges dazu.





Nadine Shah: Alles, was sie nicht will [Update]

Wenn diese Frau ein neues Album ankündigt, darf sich mancher schon mal warm anziehen. Ein Satz, bei dem man ohne Gender-Sternchen auskommt, denn Nadine Shah ist eine ausgewiesene Feministin und es ist damit zu rechnen, dass gerade die Männer auch auf "Kitchen Sink", ihrer vierten Studioplatte nach "Holiday Destination", ihr verdientes Fett wegbekommen. Und eigentlich passiert das gleich vom Start weg, denn die erste Single "Ladies For Babies" geht sogleich zur Sache - in den Linernotes gibt sie zu Protokoll:

"Mein Bruder hat, als er jünger war, mal eine Bemerkung über Sexismus gemacht, er malte ein Bild von einem Mann, der eine Ziege umarmt, und dazu den Satz: 'Frauen für die Babys, Ziegen für die Liebe...'. Das blieb immer bei mir haften, wohl, weil es sich so dumm anhörte, aber vor allem, weil ich schon damals genau wußte, was damit gemeint war und welche Absicht dahintersteckte" und weiter: "Ich dachte auch an viele der Lieder, die ich damals gehört hätte, Lieder, die ich ohne Nachzudenken mitsang, ohne deren Bedeutung zu hinterfragen. 'Ladies for Babies' ist eine direkte Antwort auf 'All That She Wants' von Ace of Base. Ich habe einfach das Geschlecht vertauscht und mache mich über einen Ehemann lustig, der von mir als Ehefrau nichts anderes erwartet, als sein Kind auszutragen und die Rolle der gehorsamen, unterwürfigen Trophäenfrau zu spielen."

08.05.  Berlin, Pitchfork Festival

Update: Auch zur neuen Single "Trad" von Nadine Shah gibt es Erhellendes und Interessantes zu hören, nicht nur den Song selbst, sonder auch ein paar Einlassungen (gefunden bei DIY) zu diesem Stück und der Entstehungsgeschichte des Albums im Allgemeinen:

"Mein gesamter Freundeskreis, also die Frauen, mit denen ich aufgewachsen bin, hat jetzt Kinder. Ich habe miterlebt, wie einige der größten Idioten (nur als Scherz!) zu den erstaunlichsten Müttern wurden. Ich freue mich, bin richtig glücklich für sie. Ich mache mir Sorgen um sie, wenn sie an sich selbst zweifeln, und bin für sie da, um sie zu unterstützen, wenn sie mich brauchen. Ich bin stolz auf sie. Aber du kommst nicht umhin, ihre Situation mit der deiner zu vergleichen, und das ist es, was viele mich und viele meiner Freundinnen in unseren jetzt Jahren empfinden. Diesen Druck. Für das Album habe ich mit so vielen Frauen gesprochen. Frauen, die Kinder haben wollen und körperlich nicht können, Frauen, die körperlich können, aber sich dagegen entscheiden, ganz verschiedene Szenarien also. Meine gute Freundin, eine Frau in den späten 50er Jahren, hat sich entschieden, keine Kinder zu bekommen, und sie ist nach wie vor eine meiner Lieblingsmusikerinnen und die jugendlichste, lebendigste Person, die ich kenne. Ihre Geschichte ist auch auf diesem Album enthalten. Im Wesentlichen schreibe ich über Frauen, die ich einfach liebe. Die neuen Mütter, die Rockstars, die, die an sich selbst zweifeln und unsere Unterstützung brauchen, die, die krank sind, aber eine unbeschreibliche Stärke zeigen. Es gibt Muster und Traditionen, die vor Jahren festgelegt wurden, wie unser Leben als Frau sein sollte, und genau das hat sich jetzt völlig verändert, und ich bin so stolz darauf, eine Frau zu sein und von noch größeren umgeben zu sein".





Dienstag, 24. März 2020

Squid: Schräg und funky

Kann sich noch wer an die Topfpflanzen und Tennisschläger aus dem letzten Jahr erinnern? Nö? Schon zu lang her wohl. Jetzt, da alles zur Ruhe kommt, wäre es mal wieder an der Zeit, in den alten Posts zu kramen, dann nämlich kommen auch Squid zum Vorschein. 2019 haben die fünf Herren aus London nämlich ihre EP "Town Centre" veröffentlicht, Erstkontakt hatten sie hier mit dem Song "Houseplants" und einem schönen Sportfoto. Mittlerweile ist das Quintett zum Label Warp Records gewechselt und hat dort einen neuen Track mit dem Titel "Sludge" veröffentlicht - schön schräg, aber trotzdem funky und lässig. Wird sicher bald mehr zu hören sein, wir packen als Zugabe noch "Match Bet" aus dem vergangenen Sommer dazu. War ja auch ne schöne Zeit damals...





Montag, 23. März 2020

Less Win: Spezialitäten

In manche Meldungen verirren sich Dinge, die man dort nie vermutet hätte,. Und diese unverhofften Nebensächlichkeiten sorgen dann dafür, dass man doch etwas genauer hinschaut. Oder hört. Post-Punk aus Kopenhagen, Dänemark ist jetzt per se mal keine Sensation. Das Trio Less Win darf sich aber trotzdem der Aufmerksamkeit sicher sein. Denn im Waschzettel zu ihrem gerade angekündigten dritten Album "Given Light" (VÖ 17. April bei The Big Oil Recording Company) steht unter anderem, dass sich die Band darauf neben dem Art-Rock auch dem Flamenco widmet. Flamenco!? Nicht ganz das übliche, möchte man meinen. Gitarrist Casper Morilla, der seiner Profession auch noch bei der etwas bekannteren Kapelle Iceage, ebenfalls Kopenhagen, nachgeht, hat sich einige Jahre mit dem traditionellen andalusischen Tanz beschäftigt und sieht in dieser speziellen Ausrichtung eine Möglichkeit, Gefühle und Geschichten besser vermitteln zu können. Der Bezug zu Spanien äußert sich übrigens auch im Namen des Albums, denn der dient dort als Umschreibung für die Geburt. Wie sich das alles dann anhört, wissen wir bislang noch nicht so ganz, auf den beiden ersten Platten ("GREAT" 2011 und "TRUST" 2016) ist dieser spezielle Bezug noch nicht zu hören und auch bei den Vorabsingles "Root And Branch" und "The Hanging" sucht man danach noch vergebens. Zu den dazugehörigen Videos von Kasper Troels Norregaard gibt es nebenbei auch noch eine Besonderheit - sie zeigen ausschließlich die Gesichter der Bandmitglieder, Vorbild sollen hierfür die sogenannten Screen Tests von Andy Warhol gewesen sein.





Samstag, 21. März 2020

Warm Digits: Bunte Mischung

Okay, an Zeit, sich um neue Töne zu kümmern, mangelt es momentan nicht. Auch wenn sie gar nicht so neu sind, sondern einfach nur in den letzten Jahren an einem vorbeigesendet wurden. Andere Umlaufbahn also, doch in Zeiten der allgemeinen Entschleunigung findet eben vieles zueinander. So auch die Warm Digits, ein Krautrockduo, das je zur Hälfte aus Manchester und Newcastle-Upon-Tyne stammt und zwar in Person der beiden Soundtüftler Andrew Hodson und Steve Jefferis. Retro-futuristisch wird ihre Musik auch an verschiedener Stelle genannt, ein wenig Jazz, ein wenig Post-Punk, es gibt Gitarren, es gibt Discorhythmen und allerlei synthetisch Gelooptes. Klingt spannend, ist es auch. 2011 haben die beiden Herren ihr Debüt "Keep Warm ... With The Warm Digits" veröffentlicht, es folgten mit "Interchange" (2013) und "Wireless World" (2017) zwei weitere Alben - nun haben sie für den 3. April via Memphis Industries Studioplatte Nummer vier mit dem Titel "Flight Of Ideas" angekündigt. Und darauf findet sich eine erstaunlich große Schar an Gästen, neben Emma Pollock, The Lovely Eggs, Rozi Plain und The Orielles auch Paul Smith, Sänger der sattsam bekannten Indietruppe Maximo Park. Und weil wir etwas spät dran sind mit unserer Vorstellung, stehen es an dieser Stelle gleich vier Songs zur Vorstellung an - "The View From Nowhere Feat. Emma Pollock", "Feel The Panic Feat. The Lovely Eggs", "Fools Tomorrow" mit besagtem Paul Smith und das ganz aktuelle "Everyone Nervous Feat. Rozi Plain".









Billy Nomates: Gesamtkonzept [Update]

Es ist immer schön, einer Sache beim Werden zu zusehen. Natürlich nur, wenn es eine gute ist. Diese hier ist es definitiv: Die englische DIY-Künstlerin Billy Nomates hat sich im vergangenen Jahr einiges an Respekt verdient, weil sie sich in einem gemeinhin ziemlich roughen Ellebogen-Business mit ihrer Debütplatte "No" frech (und mit aller Berechtigung) nach vorn gedrängelt hat. Sie war sich nicht zu schade, über alle zur Verfügung stehenden Kanäle ihre Songs persönlich zu puschen - mittlerweile verfügt sie mit dem Label Invada Records von Geoff Barrow und Bands wie Beak und den Sleaford Mods über eine Reihe gewichtiger Fürsprecher und so dürfte die Veröffentlichung des ersten offiziellen Videoclips zum Titeltrack "No" eigentlich ein Selbstläufer werden. Okay, Selbstläufer sind solche Sachen nie und es wäre ja auch zu schade, schließlich sind genau diese, ihre Bemühungen ja Teil der sympathischen Attitüde, von den wütenden Texten und trockenen Beats einmal ganz zu schweigen.

Update: Aus der Menge an Quarantäne-Sessions und Isolation-Shows ragt diese hier definitiv heraus. Warum? Nun, weil es Billy Nomates ist. Und die stellt auf engstem Raum drei Songs ihres zukünftigen Albums vor, als da wären "Call In Sick", "No" und "Mudslinger". Aufstellen und mitmachen - besser als jede Aerobicsause, wird man klar im Kopf von.



Freitag, 20. März 2020

The Radio Dept.: Neues wagen [Update]

Auf ein neues Album zu hoffen wäre an dieser Stelle noch etwas übertrieben: Die schwedischen The Radio Dept. haben gerade einen neuen Song veröffentlicht - "The Absence Of Birds" ist ein verträumtes Stück - es geht, nicht schwer zu erraten, um Verlust, aber auch ums Neuanfagen, Wagen. Laut einem Statement von Johan Duncanson und Martin Carlberg ist im Laufe des Jahres mit weiterem Material zu rechnen, unklar ist allerdings, in welchem Format die Stücke in den Verkauf gehen werden, eine ganze Studioplatte wie die letzte "Running Out Of Love" (2016) ist nur eine Option unter vielen.

Update: Noch einmal neues Material aus Schweden - The Radio Dept. schicken der ersten Single mit "You Fear The Wrong Thing Baby" eine weitere hinterher. In der Pressmitteilung dazu heißt es: "When we recorded the song we had no idea what was coming. The text is against conservatism and a tribute to youth as a progressive force." Wie schnell sich doch die Zeiten ändern ...





Mittwoch, 18. März 2020

My Ugly Clementine: Gegenstücke

My Ugly Clementine
"Vitamin C"

(Ink Music)

Es gibt tatsächlich immer noch Menschen (fast ausschließlich männlichen Geschlechts), die behaupten, die weibliche Physis würde einer Qualifikation zur klassischen Rockmusikerin, also an Drums, Bass oder Gitarre, im Wege stehen. Klingt absurd bis doof, ist aber traurige Realität. Ganz so, als hätten es Künstlerinnen oder Bands wie Hole, The Breeders oder Liz Phair nicht schon vor Zeiten zu beachtlichem Ruhm geschafft. Drei Namen nur als kleinstmögliche Schnittmenge, doch auch diese stehen hier nicht ohne Grund, gehören sie doch zu den möglichen Vorbildern der Wiener All-Girl-Kapelle My Ugly Clementine. Als Sophie Lindinger, Mira Lu Kovacs, Kathrin Kolleritsch und Nastasja Ronck 2019 mit der Single "Never Be Yours" ihre Zusammenarbeit ankündigten, war die Resonanz nicht weniger als euphorisch, schließlich waren und sind die vier bis dato in höchst unterschiedlichen Projekten erfolgreich und die Chance, dass dem doch recht maskulin geprägten Austro-Rock-Revival endlich ein feminines Gegenstück erwachsen könnte, schien nur allzu verlockend. Spätestens heute und in Kenntnis dieser ersten Platte wissen wir, dass die Erwartungen keineswegs zu hoch gesteckt waren. Denn "Vitamin C" klingt als Debüt erfreulich frisch und lässig (wie man es eben aus Österreich derzeit erwarten kann) und hat dabei zu gleichen Teilen Witz und Kampfgeist zu bieten.



Schon der Opener "Playground" kommt als humorvolle bis sarkastische Nummer daher, zu grungigen Gitarren gibt's allerlei Seitenhiebe in Richtung überkommener Vorurteile und blöder Gemeinheiten, unter denen die Sache mit den kleinen Händen leider nur eine von vielen ist. Der Song gibt, wen wundert's bei der Besetzung, thematisch die Richtung vor - Empowerment, Gleichberechtigung, weibliches Selbstverständnis, Schlagworte, die auf jeden der zehn Songs verweisen, selbst wenn sie von scheinbar so banalen Dingen wie Freundschaft, überzogenen Erwartungen oder enttäuschter Liebe handeln. Der Sound dazu ist angenehm wandelbar, vom geschmeidigen Popsong über Blues- und Alternative-Rock bis hin zu Post-Punk-Anklängen ist eigentlich alles dabei, da werden mal schnell die Sugababes zitiert und an anderer Stellen fallen einem die wunderbaren Shangri-La's ein - weiß Gott nicht die schlechtesten Referenzen. Wer sich jetzt immer noch zu solch unsäglichen Behauptungen (siehe oben) versteigt, verwandle sich bitte umgehend in eine ausgetrocknete Clementine und friste sein kümmerliches Dasein zukünftig auf dem stinkenden Misthaufen der eigenen Beschränktheit.

23.09.  Krems, Kino im Kesselhaus
24.09.  St. Pölten, Cinema Paradiso
25.09.  Vöcklabruck, OKH
27.09.  Berlin, Prachtwerk
28.09.  Hamburg, Uwe im Klubhaus St. Pauli
30.09.  Innsbruck, Die Bäckerei
01.10.  Dornbirn, Spielboden
02.10.  Salzburg, ARGEkultur
03.10.  Passau, Zeughaus
04.10.  Wien, Arena
02.12.  Nürnberg, MUZClub
03.12.  München, Milla
05.12.  Dramstadt, HoffArt
06.12.  Stuttgart, ClubCANN
10.12.  Graz, Orpheum extra
12.12.  Weyer, Bertholdsaal





The Pretenders: Grund zur Freude

Kürzlich hatten wir an dieser Stelle ja über das Misstrauen geschrieben, welches die Veröffentlichungen gealterter Ikon*innen (ha, sieht auch nicht schlecht aus) mehr oder weniger unterschwellig begleitet. Und auch wenn sonst dringend Vorsicht geboten ist, hier dürfen wir uns doch mal vorfristig freuen, denn Chrissie Hynde zählt zweifellos zu den anständigsten und unverstelltesten Frauen im Rockbusiness. Wenn sie und ihre Band The Pretenders also ein neues Album (nach "Alone" aus dem Jahr 2016) ankündigen, dann ist das schon eine sehr gute Nachricht - und daran herrscht ja momentan nicht gerade ein Überfluß. "Hate For Sale", so der Titel der Platte, soll am 1. Mai bei BMG erscheinen und "The Buzz" begleitet die Meldung als erste Single. Tourdaten gibt es momentan nur für die Staaten selbst (und ob die so stattfinden, wird sich erst noch zeigen), wer mag, kann stattdessen noch einmal das Interview mit Hynde lesen, das sie der Süddeutschen Zeitung 2019 zu ihrem Soloalbum "Valve Bone Woe" gegeben hat.

Dienstag, 17. März 2020

Burna Boy: Gigantisch lässig

Von Damini Ebunoluwa Ogulu aka. Burna Boy war hier bislang unverzeihlicherweise nur als Partner in Crime, also Kollaborateur die Rede, dabei hat der Mann aus Nigeria sich in den letzten Jahren unbestritten große Verdienste um die Verbreitung moderner afrikanischer Musik, also auch Reggaeton, Fusion, Dancehall, Afropop, erworben (und das wiederum ist eine ungenügende, weil verboten akademische Umschreibung für richtig geile Mucke). Erst 2019 erschien sein viertes Album "African Giant" und der Titel ist nicht ohne Grund sehr selbstbewusst gefasst, sind doch die (auch in Teilen hier aufgelisteten) Singles ziemlich feine Tunes. Nicht auf der Platte enthalten, also neu, ist dagegen das hier präsentierte "Odogwu", ausgestattet mit einem beneidenswert lässigen Flow.









Sonntag, 15. März 2020

Moaning: In Bewegung bleiben

Moaning
"Uneasy Laughter"
(Sub Pop)

Schon als sie im Frühjahr 2018 mit ihrem selbstbetitelten Major-Debüt aufmachten, zählten Moaning aus Los Angeles zu den erfrischendsten, weil wandlungsfähigen Vertretern des Post-Punk. Daran hat sich zum Glück auch mit dieser Platte nichts geändert. Denn erneut bleiben Sänger, Gitarrist und Songschreiber Sean Solomon, Pascal Stevenson an Bass und Keyboard und Drummer Andrew MacKelvie nicht bei Bewährtem stehen, sondern wagen sich an Neues. So ersetzen sie den zuvor bestimmenden Gitarrensound in Teilen durch wackelige, flächige Synth-Texturen, mal angelegt an die düstere Ästhetik der frühen 80er wie im Opener "Ego", dann wieder als nervöser Taktgeber wie beim wunderbaren Stück "Running". Natürlich spielen sie weiterhin die analogen, klassischen Instrumente, nur eben nicht mehr so bestimmend und nicht mehr so hart, zentrale Elemente des Moaning-Sounds waren und sind ohnehin die geschmeidigen Melodien und vor allem Solomons trauriger Gesang, der ihn als einen mutmaßlich so wachen wie sensiblen Künstler ausweist.



„Ich habe auf den Konzertreisen viel gelesen - Autoren wie Bell Hooks, Mark Fisher und Alain de Botton haben mich wirklich inspiriert. Ich möchte niemand sein, der junge Menschen dazu bringt, hoch hinauszukommen und als tragische Klischeekünstler zu enden “, sagt er beispielsweise in den Linernotes zum Album. "Was ich den Zuhörern lieber vermitteln möchte, ist, dass sie nicht allein sind mit dem, was sie denken und wie sie sich fühlen. 'Ego' und das gesamte Album handeln von diesen Themen - sich von unwichtigen Dingen zu trennen, damit man anderen Menschen helfen und präsent sein kann." Neben den erwähnten Tracks erweisen sich vor allem "Fall In Love" mit seinen dunkel wummernden Beats und das an Interpol erinnernde "Keep Out" als bestechende Kompositionen. Moaning haben, das wird schnell klar, einen weiteren, wichtigen Schritt vorwärts gemacht.

Donnerstag, 12. März 2020

Beastie Boys vs. Spike Jonze: Sure Shots [Update]

Wieder mal Musik zum Lesen - oder besser zum Anschauen: Spike Jonze, weltbekannter Regisseur und Drehbuchautor, begann bekanntlich seine Karriere als Freund und künstlerischer Begleiter dreier junger und ziemlich durchgeknallter weißer Typen aus New York City, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Hardcore mit weißem Hip-Hop abzumischen. Die Beastie Boys waren schon eine größere Nummer, als er mit ihnen in den Ring stieg und trotzdem gab es kaum einen, der ihnen so nah kam und ihre Karriere über so lange Zeit begleitete, "Time For Livin'", "Sabotage" und "Sure Shot" waren nur einige ihrer gemeinsamen Arbeiten. Nun also haben Jonze, Adam Horovitz und Mike Diamond die Veröffentlichung eines Fotobuches mit dem schlichten Titel "Beastie Boys" bekanntgegeben - der Band mit gut 250 Seiten soll am 17. März bei Rizzoli erscheinen und folgt damit der reich illustrierten Biographie von 2018.

Update: Seit längerem schon klar, es kommt nicht nur das Buch, sondern auch der Film von Spike Jonze als Live-Doku. Hier ein erster Trailer...








DIIV: Dem Virus den Finger

DIIV
Support: Chastity
Strom, München, 11. März 2020

Man tritt wohl niemandem zu nahe, wenn man vermutet, dass unsereiner als Arbeitnehmer Normalverbraucher über ein paar Tage Zwangsurlaub (so called Home Office) nicht allzu böse wäre (zumindest, wenn sie gesundheitlich unbegründet sind und nur der allgemeinen Sicherheit dienen, puh). Künstler, besonders solche, deren Leben zu gleichen Teilen im Tonstudio und auf der Bühne stattfindet, sehen das naturgemäß etwas anders, die Klagen über die zunehmende Einschränkung der Bewegungsfreiheit, verbunden mit Auftrittsverboten bzw. Konzertabsagen hört man immer lauter und kann sie sehr wohl verstehen. Insofern dürfen wir Zachary Cole Smith und Colin Caulfield, beide gerade sehr mit dem Comeback ihrer Band DIIV beschäftigt, schon beim Wort nehmen, wenn sie mehrmals betonen, für Auftritte wie den im Münchner Strom überaus dankbar zu sein. Schließlich ist das nicht weniger als ihr Leben. Am Abend zuvor waren sie in Wien beschäftigungslos in den Seilen gehangen, Zürich ist fraglich und über Lyon und Nimes steht schon in großen Lettern „ANNULÈ“ – eine mittlere Katastrophe.



Was um so ärgerlicher ist, als dass die vier Herren aus New York City, die als verwegene Jungs vor knapp zehn Jahren reihenweise Köpfe verdrehten, mit „Deceiver“ ein richtig gutes Album am Start haben, das es wert ist, vor Ort gehört zu werden. Apropos vor Ort: Wenn wer gedacht hatte, dies sei der richtige Abend, um die Angst des sonst ja eher zurückhaltenden Münchner Publikums vor dem bösen C in Augenschein zu nehmen, dann ging das massiv in die Hose. Zweihundert Meter Kassenschlange, der Laden rappelvoll und nach einer halben Stunde derart am moshen, dass selbst ein multresistentes Virus Angst um seine Unversehrtheit haben mußte. Was ja dann irgendwie auch schön ist, denn es gibt kaum etwas Tröstlicheres – jetzt müssen wir mal kurz etwas kitschig werden – als die Unbekümmertheit der Jugend, die dem Alltagsfrust den Finger zeigt und einfach weiterfeiert.



DIIV also. Dass dieses Quartett ursprünglich vom Dreampop kommt, ist live allenfalls eine hübsche Erinnerung. Der Einlauf erfolgt schon mal zu den Klängen von „Heavy Rain“ der japanischen Doom-Rock-Kapelle Boris und auch in der Folge gab sich die Band alle erdenkliche Mühe, maximal hart und laut rüberzukommen. Was problemlos gelang. Der Bass von Caulfield war von ordentlicher Power, der verrückte Andrew Bailey quälte seine Gitarre zu angestrengtem Grinsen nach allen Regeln der Folterkunst und von hinten gab Drummer Ben Newman Saures. Allein die Stimme des Sängers ging etwas unter in all dem wunderbaren Lärm, wobei das bei Shoegazern und Soundmauerbauern ja fast zum Gesamtkonzept gehört. Viele schöne Songs jedenfalls, das alte „Doused“ vom Debüt war ebenso dabei wie die feine Single „Blankenship“ von der aktuellen Platte – alles sehr schön grungey. Ob DIIV noch als Pulsbeschleuniger, Mädchenschwärme und Kopfverdreher durchgehen, ist schwer zu sagen (dem ersten Anschein nach: ja, aber…), ihre Musik hat mit Sicherheit nichts von ihrem Reiz eingebüßt.



Mittwoch, 11. März 2020

Lankum: Mit aller Gewalt

Lankum
„The Livelong Day“

(Rough Trade)

Wir haben da dringend etwas nachzuholen aus dem vergangenen Jahr: Wer sich daranmacht, irische Folkmusik zu beschreiben, läuft Gefahr, alle Vorsicht fahren zu lassen, schnell landet dann ein Schwall blumig-gefühliger Sehnsuchtsworte auf dem Papier resp. Display – Dinge wie Naturgewalten, unberührte Schönheit oder rauher Charme – und in nullkommanix hat man den Salat bzw. eine riesige Reisebloggerei. Nun, das wird einem mit Lankum aller Voraussicht nach nicht so schnell passieren, was vor allem damit zu tun hat, dass sich die Musik des Dubliner Quartetts jeder allzu schnellen Vereinnahmung verweigert – zu sperrig, zu wenig lieblich, mit volksmusikalischen Maßstäben nicht zu fassen. Gut so. Was Lankum auf ihrem dritten Album (das erste „Cold Old Fire“ entstand noch unter dem Namen Lynched nach den Gründern Ian und Daragh Lynch) bieten, läßt sich tatsächlich schwer in Worte fassen, irgendwo zwischen den Doom- und Noisepionieren Swans und Sunn O))) auf der einen Seite und der frühen Mystik von Dead Can Dance auf der anderen. Und das alles größtenteils mit den Mitteln des traditionellen Folk, tief verwurzelt in der irischen Geschichte.



Acht Stücke finden sich auf „The Livelong Day“ und kaum eines gleicht dem anderen. Der Opener „The Wild Rover“ baut sich über zehn Minuten zu einem gewaltigen, dramatischen Dröhnen auf und beruht in Teilen tatsächlich auf einer Musik, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht, es darf allerdings bezweifelt werden, dass es zuvor jemals mit solch einem Furor gespielt wurde. Das folgende „The Young People“ ist schottischen Ursprungs und etwas heller gehalten, eine fast träumerische Beobachtung jugendlichen Überschwangs: „When the young people dance, they do not dance forever, it is written in sand with the softest of feathers. It is not writen in stone, like the walls of the chapel and soon it is gone like the soft winters apple.” Es folgen mit “Ode To Lullaby” und “Bear Creak” zwei spannende Instrumentals, bei ersterem kommt zum experimentellen Drone noch eine Portion Jazz hinzu, in letzteres schleicht sich (sehr zur Freude aller unverbesserlichen Traditionalisten) sogar so etwas wie beschwingt fidelnde Tanzstimmung ein.



Die folgende Ballade „Katie Cruel“ gehört sicher zu den stärksten Stücken, sie geht, so liest man in den Linernotes, auf den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zurück und war dort ursprünglich als Marschlied gedacht. Radie Peat gibt hier die unnahbare Einzelkämpferin auf der Suche nach einem Ort zum Bleiben und wohl auch ein Stück weit nach sich selbst, die Lyrics dazu von schroffem, sarkastischem Charme: „Well when I first came to town, they called me the roving jewel, now they've changed their tune, they call me Katie Cruel. And when I first came to town, they bought me drinks a'plenty, now they've changed their tune, hand me the bottles empty.” Kurz vor Schluß (nach einer weiteren Ballade) dann noch mit “The Pride Of Petravore” ein weiteres instrumentales Stück und zwar eines von ungestümer Wucht, hier vibriert und donnert das komplette Instrumentarium in einer Lautstärke, gegen die sich die Trompeten von Jericho wie eine westfälische Schützenkapelle ausnehmen. Fraglich, ob die zerklüfteten Ruinen des Landes diesem Getöse standhalten können. Bleibt zu hoffen, dass Lankum zukünftig nicht mit Liveterminen geizen, man möchte diesen ungewöhlichen Sound nur zu gern unmittelbar und ungefiltert erleben.

21.04. CH, Stans, Stanser Musiktage



Dienstag, 10. März 2020

Anna Burch: Harmonie und Chaos [Update]

In der Erinnerung ist sie immer noch die Frau mit der Gitarre. Mitverantwortlich dafür war ihr beachtliches Debüt "Quit The Curse" aus dem Jahr 2018. Anna Burch aus Detroit trat auf diesem nicht immer laut, sondern eher eindringlich auf, die Songs spiegelten sehr persönliche Erfahrungen, Beziehungsarbeit, solche Dinge. Hört man sich nun ihre beiden neuen Singles "Not So Bad" und das aktuelle "Party's Over" an, fällt zu allererst die verspielte Melodik auf, mit der diese arrangiert sind, weiche Harmonien, 60ies Pop, Singalongs. Das eine, wie sie sagt, ein "optimistic love song", das andere als teils verträumtes, teils wildes Hochzeitschaos visualisiert. Es sieht ganz so aus, als hätte sie Spaß aus Ausprobieren gefunden, als sei sie bereit für den zweiten, großen Schritt. Und der erfolgt ganz offiziell am 4. März, dann nämlich erscheint bei Heavenly Recordings die zweite Studioplatte "If You're Dreaming".

20.05.  Hamburg, Uebel und Gefährlich
21.05.  Berlin, Privatclub
22.05.  München, Heppel und Ettlich

Update: Und hier kommt mit "Tell Me What's True" der dritte Song samt Video vom neuen Album.







Girls In Synthesis: Urgewalt

Einer der spannendsten und zugleich lautesten Newcomer dieses Jahres hört auf den Kurznamen GIS, was ausgeschrieben Girls In Synthesis bedeutet. Zur der Londoner Punk-Kapelle gehören Sänger und Bassist John Linger, Drummerin Nicole Pinto und Gitarrist James Cubitt. Das Trio hat über die Zeit seit 2016 zahlreiche Singles und 12" veröffentlicht, nun schicken sie sich an, via Harbinger Sound ihren ersten Longplayer mit dem Titel "Now Here's An Echo From Your Future" ins Rennen zu schicken. Dass die drei vor allem live einen exzellenten Ruf zu verteidigen haben, kann man auch im Video zur aktuellen Vorabsingle "Pressure" (VÖ November 2019) sehen, die dem Track "Arterial Movements" vom Oktober vergangenen Jahres folgt.



Montag, 9. März 2020

Eminem feat. Juice WRLD: Durchgeknallte Widmung

Okay, das ist ein ziemlich krasser Clip. Naja, eigentlich ist das Album "Music To Be Murdered By" von Eminem ebenso krass, weil's aber so gut wie vorhersehbar daherkam, hielt sich die Überraschung noch in Grenzen. "Godzilla" jedenfalls hat ein abgedrehtes Filmchens von Cole Bennett bekommen, mit dabei Dr. Dre, Mike Tyson und Eminem selbst als multiple Persönlichkeit, mal Lego kotzend, in der Schlachterei beim Blow Job und was sonst noch alles für krudes Zeug. Dazu die berüchtigten Highspeed-Rhymes, zu denen sich auch Juice WRLD gesellt, der im Dezember 2019 nach offiziellen Angaben an einer Überdosis Schmerzmitteln verstarb - ihm ist das Video gewidmet. Der Vollständigkeit halber gibt's hier auch gleich noch "Darkness" zu sehen/hören, Eminems aktueller Sample-Song zu Simon And Garfunkels traurigem All-Time-Classic "The Sound Of Silence".



Jenny Lee Lindberg: Zwei Klassiker zu Plattenfest

Der 18. April wird wieder ein Feiertag werden, soviel ist mal sicher. Der Heiland ist auferstanden, das böse C hoffentlich mittels konzertierter Klopapier- und Nudelkäufe endgültig besiegt und alle klammen Ballsportverbände haben endlich wieder Planungssicherheit, was den bevorstehenden Transfermarkt angeht - Gott sei's gedankt! Nun, wenn auch Letzteres noch nicht ganz so sicher ist, der Record Store Day 2020 ist jedenfalls fix terminiert und alle Vinylfreund*innen können schon mal Kassensturz machen, denn es gibt wie immer viel zu besorgen: Eine babyblaue 12" von Britneys "Oops! (I Did It Again)" beispielsweise, die Wiederauflage der beiden ersten Kraftwerk-Alben (die mit dem Pylonen-Cover) oder eine sehr rare Shape-Disc des Motörhead-Überhits "Ace Of Spades". Auch im Angebot wird sich die Neueinspielung des Fugazi-Knallers "I'm So Tired" durch die Warpaint-Bassistin Jenny Lee Lindberg befinden, eine erste Rückmeldung der Künstlerin also seit ihrem Soloalbum "Right On!" aus dem Jahr 2015. Auf der B-Seite soll, wenn die Nachrichten stimmen, im Übrigen noch ein Cover des Daniel-Johnston-Songs "Some Things Last A Long Time" drehen, wir sind ab sofort wieder hellwach!

Samstag, 7. März 2020

Banoffee: Einen großen Schritt weiter

Banoffee
„Look At Us Now Dad“
(Cascine Records)

Wie war das noch mal mit den Gewissheiten? Es gibt sie nicht mehr. Nirgendwo. Das ist nicht immer angenehm, in diesem speziellen Falle ist es eine gute Nachricht. Denn früher, also vor ein paar Jahren noch, waren die meisten Alben weiblicher Popstars noch erwartbar simpel gestrickt (die der männlichen Kollegen nicht weniger), auf ein für den täglichen Hausgebrauch erträgliches Maß mit kulturellem, vielleicht sogar politischem Anspruch versehen – nicht zu glatt, aber keinesfalls verstörend, ambitioniert zwar, aber bitte immer im gesamtgesellschaftlich vorgegebenen Rahmen. Nun, seit #MeToo hat sich dies gewaltig geändert, gibt es sehr wohl auch Platten, auf denen Pop steht und die dennoch voller Widerhaken, Unbequemlichkeiten, Zumutungen stecken, die man nicht einfach so nebenbei wegzuhören vermag. Liest man im Guardian etwas über die Familiengeschichte von Martha Brown aus Melbourne – der Albumtitel fordert das ja geradezu heraus – dann begreift man schnell, warum dieses Debüt keines der früheren Sorte werden konnte: Die Urgroßeltern multiethnisch verwurzelt (Indien, Iran) und als Flüchtlinge über England nach Australien gelangt, die Großeltern wiederum am zweiten Weltkrieg verzweifelt und zerbrochen, der Vater deshalb früh im Heim gelandet, die schlimmen Lebensumstände legten die Grundlage für Alkoholismus und Depression, Dinge, die ihn heute noch (man hört es in einem der Interludes) noch verfolgen.



Brown selbst hat sich irgendwann auf die Suche nach ihrer Vergangenheit gemacht, erkrankte ernsthaft, geriet zu früh an falsche Männer mit schlechten Absichten, erlitt psychische und physische Gewalt. Parallel dazu die musikalische Karriere, erste Singles seit 2012, Auftritte mit Charlie XCX vor Tausenden, Kollaborationen, Achtungserfolge, aber auch Pausen, Zusammenbrüche. Mittlerweile lebt sie in Los Angeles, weil ein Neuanfang dringend notwendig war. Wie sollte daraus wohl Oberflächliches werden? Erstaunlich genug, dass die Stücke auf dem Studiodebüt dennoch nach ausgelassenem, erstklassigem Alternativ-Pop klingen – wohl durchdachte, clever arrangierte Nummern, nicht wenige mit Hit-Potential. Und trotzdem transportieren sie die bewegenden Geschichten einer jungen Frau auf der Suche nach Halt, Bestätigung, Anerkennung. Schon das Cover irritiert – man sieht eine Art mumifizierte Barbie, die Hände mit Stacheldraht gebunden, das will so gar nicht in das Bild eines erfolgreichen Stars passen und erinnert etwas an Sky Ferreiras „Night Time, My Time“, dort war es offene Verzweiflung, Brown blickt uns eher herausfordernd an.



Die Songs, allein oder gemeinsam mit Empress Of, Sophie oder CupcakKe, durchmessen in Folge das gesamte Gefühlsspektrum zwischen seelischem und körperlichem Schmerz, Wut, Selbstfindung und Liebe, sie thematisiert die Sehnsucht nach Geborgenheit und Verlässlichkeit in Freundeskreis und Familie. Und ist letztlich stark und stolz genug, ihrem Vater die folgenden Zeilen im Titelstück zu widmen: „Look at me now, Dad, do you see we got out, Dad? Was sick and I’m well, Dad, what a wonderful life we have. You were a sad boy, Dad, drinking too many tins, Dad, you read all the things and found love, Dad, you found love, Dad.“ In besagtem Artikel des Guardian bezeichnet sich Banoffee als Überlebende, die mithilfe ihrer Musik einen Weg gefunden habe, sich selbst zu ordnen, wieder in die Spur zu kommen. Gut möglich, dass ihre Songs anderen Frauen in ähnlicher Situation den gleichen Dienst erweisen – wenn Pop das heute vermag, dann ist er einen ganz großen Schritt weiter.

Freitag, 6. März 2020

The Whitest Boy Alive: Weiterfrickeln?

Okay, der Preis für den Titel des Tages ist nun schon weg, dann vergeben wir wenigstens den Spitzenplatz für Überraschungen an The Whitest Boy Alive. Laut gleichlautenden Meldungen verschiedener Auskennerportale haben sich die Herren - eigentlich seit 2014 getrennt - während eines Besuches in Buenos Aires für einen Studioaufenthalt zusammengefunden und zwar ausdrücklich mit Erlend Oye, dem Kopf der funkigen Frickeltruppe. Herausgekommen ist ein Song namens "Serious" und ein Foto aus dem Proberaum, der die Hoffnungen auf ein baldiges neues Album beflügelt. Vorerst wollen sie aber erst einmal ein paar Sommerkonzerte spielen, so hört man.



Viagra Boys: First Aid Kit

Viagra Boys
"Common Sense"

(Year 0001/Rough Trade)

Nein, davon kann man nicht genug bekommen. In Zeiten der Übercorrectness, wo man sich jeden Pups dreimal überlegen muß (bitte nicht zu verwechseln mit "das wird man ja wohl noch sagen dürfen!") ist eine Truppe wie die herrlich verstörenden Viagra Boys aus Schweden eine Art Überlebenselixier. Das war schon im vergangenen Frühjahr so, als ihr Debüt "Street Worms" erschien und für reichlich skeptische Blicke hier und deshalb berechtigte Furore dort sorgte. Und ändert sich nicht mit dem heutigen Tag, da in Vorbereitung ihrer anstehenden Tour eine neue EP erscheint. Die enthält zwar nur vier Stücke - aber was für welche! Das geht gleich los mit dem erstaunlich eingängigen Titelsong, der sich eines dieser Tage berechtigten Themas annimmt: Des gesunden Menschenverstandes. Dass dieser in Zeiten um sich greifender Panik vor messerbewährten, marodierenden Flüchtlingshorden, vor todbringenden Seuchen biblischen Ausmaßes und vielem mehr zusehends abhanden kommt, ist mehr als auffällig. Die Schuld bei der eigenen Beschränktheit suchen die Beschränkten selten bei sich selbst, Dummheit scheint plötzlich erblich zu sein, es ist zum Verzweifeln.



Da hilft ein wenig von dem Humor, den die Viagra Boys auch in den Videos zu ihren Songs transportieren (vom Album Teaser gar nicht zu reden), machen ein paar Minuten das Leben erträglicher. Das trifft natürlich auch auf die anderen drei Stücke zu, "Lick The Bag" haut mächtig in die Saiten und glänzt wie der Rest mit fabelhaft wilden Saxophon-Passagen, bei "Sentinel Island" taumelt und leiert des Sängers Stimme (Sebastian Murphy) auf ganz und gar wunderbare Weise, bevor er dann abschließend bei "Blue" versoffen und selbstmitleidig das Blaue vom Himmel verspricht. Irgendwann bricht der Song unvermittelt ab, so daß man glaubt, Murphy wäre entweder dem Rausch erlegen oder würde sich anderen Dingen widmen, er bringt es aber doch noch halbwegs ordentlich zu Ende. Wie so oft bei solcherlei Kurzformaten: Mit dem Allernötigsten auf den Punkt, gelingt den Herren hier ein kleines Meisterwerk. Wen es jetzt reut, keine Karten für die (größtenteils ausverkauften) Konzerte im Frühjahr gekauft zu haben, den tröstet die Band mit ein paar Nachholterminen im Spätherbst, ein bisschen Warterei muss zur Strafe dann aber schon sein.

26.03.  Wien, Flex Cafe
27.03.  München, Feierwerk
28.03.  Zürich, Mascotte
02.04.  Köln, Gebäude 9 (ausverkauft)
03.04.  Hamburg, Molotow (ausverkauft)
04.04.  Berlin, Lido (ausverkauft)
Neu:
28.11.  Köln, Kantine
30.11.  Hamburg, Uebel und Gefährlich
01.12.  Berlin, Festsaal Kreuzberg
02.12.  Leipzig, Conne Island 







CupcakKe: Feuer frei!

Wenn nicht noch mehr passiert, dann räumt der Titel mit Sicherheit die Tageswertung ab: Elizabeth Eden Harris, besser bekannt unter ihrem Pseudonym CupcakKe, hat ihr letztes offizielles Album "Eden" im November 2018 veröffentlicht, danach gab es einige Single-Releases und eine längere Arbeitspause wegen des vielen Rummels. Nun scheint die toughe Rapperin aus Chicago wieder da zu sein, gerade kam ihr neuester Track "Lawd Jesus" um die Ecke - ein gut zweimonütiges Wort- und Wutgewitter über schwarzes Selbstverständnis, männlichen Übermut und jede Menge Money plus Bitches. Mehr dazu wenn vorhanden, jetzt erst mal Feuer frei.