Samstag, 25. Juli 2020

The Strokes: Die alte Magie [Update]

The Strokes
„The New Abnormal“
(RCA)

Es gibt wohl kaum ein Volk auf der Erde, welches unsere Vorurteile so treu begleiten wie das der US-Amerikaner. Und wohl auch keines, das sie so oft und gern bestätigt. Und das sagt nicht nur viel über die Menschen dort, sondern eben auch einiges über die Menschen hier, über uns. Wie schön läßt sich gerade jetzt über den steindummen Präsidenten und seine offensichtlich fehlgeleitete, unbelehrbare Gefolgschaft lästern, über den, der Tag für Tag den allergrößten Mist verzapfen kann und jene, die aus dem ganzen Bullshit noch immer eine Heilsbotschaft herauszulesen vermögen. Jeder Herde ihren Hirten, mitgehangen, mitgefangen, was soll’s. Auch wenn es nicht immer derart extrem war, was sich da drüben abspielte, suspekt waren sie uns schon immer, diese Amis. Nun sind die New Yorker so wenig ungebildete, kulturlose Amerikaner wie die Münchner als grobklotzige und schiefmäulige Lederhosenbayern durchgehen (beides sind im Übrigen allergröbste Übertreibungen, versteht sich), aber im Jahr 2001 haben wir diese Amis für einen Moment mal richtig beneidet – und zwar trotz George W. Bush jr., der uns heute fast wie eine harmlose Weichzeichnung staatsmännischen Dummbeuteltums erscheint. 2001 nämlich erschienen mit Julian Casablancas, Nick Valensi, Albert Hammond jr., Nikolai Fraiture und Fabrizio Moretti fünf Typen auf der Bildfläche, die auf Vorurteile einen feuchten Dreck gaben, sich The Strokes nannten und mit ihrem Debüt „Is This It“ die Popwelt wahrlich im Handstreich nahmen – arrogant, lässig, herausfordernd und ungemein talentiert.



Wir müssen jetzt nicht die komplette Saga dieser „The“-Band und der von ihr begründeten Ära wieder aufrollen, machen wir es kurz: Sie haben das irrsinnige Überrumpelungstempo nicht durchhalten können, die beiden Folgeplatten „Room On Fire“ und „First Impressions On Earth“ waren noch von annähernd bestechender Qualität, dann ging’s dahin, es wurde beliebig, es wurde anstregend, es fehlte an vielem und selbst Casablancas investierte seine Begabung lieber in Soloarbeiten und Kollaborationen, anstatt sich auf die Suche nach einem Ausweg zu machen. Das hat er, und damit kommen wir zum überaus erfreulichen Teil der Geschichte, einem Mann überlassen, der sich auskennt mit verschenktem Potential und traurigen Durchhängern. Genie Graubart Rick Rubin nahm sich also der lust- und erfolglosen Truppe an und wer die Strokes nach wie vor und weiterhin für ein gnadenlos überschätztes, überhebliches Marketingprodukt hält, den dürfen wir an dieser Stelle der Lektüre verabschieden. Denn es folgt nicht weniger als die schamlose Lobeshymne auf eine Platte, die so nicht zu erwarten war und genau deshalb unseren ganzen Respekt verdient hat.



Schon die ersten Takte der Vorabsingle „At The Door“ ließen ahnen, dass die Herren das wiedergefunden hatten, was die Amerikaner wie keine andere Musiknation als magisch verehren (obwohl es doch aus Afrika stammt): Das Mojo. Wie kaum eine andere Rockband der Neuzeit nämlich besaßen The Strokes ein untrügliches Gespür für griffige Melodien, Akkordfolgen und Tempi, sie wußten in ihren Erfolgstagen stets, wann etwas härter, wann sanfter angefasst werden, wann die Stimme hoch und wann runter muss, wie es eben klingen soll, um cool zu sein. Jeweils aus einem einzigen Riff bastelten sie so wieder und wieder Stücke, die im Radio mühelos alle anderen überstrahlten. Und tun es wieder: „The Adults Are Talking“ hat diese Chords, dazu ein paar synthetische Drumsets und Casablancas erstaunlich weichen Gesang. Ebenso „Selfless“ und die locker rausgeschüttelten Singles „Brooklyn Bridge And Chorus“ und „Bad Decisions“, die Stimme weiter erfreulich wandelbar, mal im Falsett, mal als Geschrei, doch immer passend. Im Gegensatz zu den bemüht experimentellen Versuchen von „Ankles“ und „Comedown Machine“ finden sie hier die Balance aus vertrauter Stärke und vorsichtiger Auffrischung.



Als weiterer Höhepunkt dann „Eternal Summer“ – was haben sie da nicht alles reingepackt: Soul und Funk zucken und flirren durch den Song, ein bisschen Softrock von Toto, auch Prince und Bowie dürfen nicht fehlen, dazu ein paar ungewohnt schiefe Töne aus der Gitarre und, ebenso überraschend, der Grant von Casablancas. Schon über die Hälfte und noch kein Zeichen von Schwäche? Es bleibt dabei. „Why Are Sundays So Depressing?“ könnte aus der Hochzeit der Band stammen, der Song pflegt einmal mehr die egale Attitüde des einstigen Studentenbundes: „I sing a song, I paint a picture, my baby's gone, but I don't miss her, like a swan, I don't miss swimming, all my friends left, and they don't miss me“ heißt es da zu schräg-psychedelischen Klängen – miese Stimmung, toller Song. Ganz am Ende gelingt ihnen dann sogar noch eine versöhnliche, nostalgische Liebeserklärung an ihre Heimatstadt. Was Interpol mit „NYC“ noch angemessen düster zeichneten, färben sie für „Ode To The Mets“ in dämmrigen Vintagetönen, Großstadtschlendern, erste Gitarrengriffe, Baseball natürlich, und viel Wehmut (die man heute beim bangen Blick in die Nachrichten noch mehr verstehen kann): „Gone now are the old times, forgotten, time to hold on the railing, the Rubik’s Cube isn’t solving for us, old friends, long forgotten … The only thing that's left is us, so pardon the silence that you're hearing, is turnin' into a deafening, painful, shameful roar.“ Sie sind erwachsen geworden, die fünf. Und, wenigstens für dieses eine Mal, ganz gewiss nicht schlechter.

Update: Knappe sieben Minuten als Geschichtsstunde und Nostalgie-Clip - das Filmchen zu "Ode To The Mets" von Warren Fu.

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