„The Unseen In Between“
(Matador)
Schon eigenartig, wie und wann wir immer wieder auf Künstler stoßen, die eine ziemlich lange Zeit einfach an einem vorbeimusiziert haben, ohne dass man Notiz von ihnen genommen hätte – und plötzlich sind sie da und man fragt sich, wie um alles in der Welt das hat passieren können. Die Selbstvorwürfe halten sich zwar in Grenzen, es war ja keine böswillige Ignoranz, nur Unwissenheit gepaart mit passender Gelegenheit, der Zufall hatte wohl auch seine Finger im Spiel. So auch jetzt: Wer den No-Wave und Noise-Rock von Sonic Youth verehrt, der wird deren Auflösung vor acht Jahren mit großem Schmerz in Erinnerung behalten haben und weil man sich naturgemäß an vieles klammert, was einem die Erinnerung wachhält, bleiben natürlich auch die aktuellen Arbeiten von Lee Ranaldo, Thurston Moore und vor allem Kim Gordon stets im Fokus. Letztere hat nun gerade für das Netzportal Stereogum ein Interview mit eben jenem Steve Gunn geführt, was auf den ersten Blick etwas verwunderlich ist, vermutet man doch zwischen beiden nicht allzugroße musikalische Schnittmengen.
Natürlich weit gefehlt, denn Gordon kennt den Mann mit der Gitarre im Vergleich zu vielen von uns sogar ziemlich gut. Schließlich wohnt er in der Stadt, in welcher sie ihr musikalisches coming out erlebt hat (also New York), noch dazu trat Gunn zu früheren Zeiten auch schon mal im Vorprogramm von Sonic Youth auf. Meistenteils infernalischen Krach spielen und daheim geschmeidigen Twang anhören muss darüberhinaus auch kein Widerspruch sein, Gordon dazu: „Ich neige dazu, Noise eher live zu sehen als ihn über Kopfhörer zu hören. Ich rette meine Ohren quasi für meine eigene Musik, die wirklich laut ist. Schließlich können sie diesen Lärm nicht ständig ertragen.“ Und da ist sie bei Gunn an der richtigen Adresse, „The Unseen In Between“ hält neun wunderbare Stücke bereit, klassisches Songwriting, ab und an mit psychedelischen Ausflügen und harscheren Tönen verschnitten. Gunn zählt Größen wie Sandy Bull, Neil Young und John Fahey zu seinen Vorbildern, in den bedächtigeren Momenten wie bei „New Moon“ fällt einem noch Nick Drake ein, nicht die schlechteste Ahnengalerie also.
Interessant ist, dass Gunn bis zu seinem 2013er Album „Time Off“ ausschließlich instrumentale Musik aufgenommen hat (nebenher gab es ein kurzes Intermezzo in der Kapelle von Kurt Vile), erst auf Zureden seiner Freunde entschloss er sich, das Ganze mit Text und Stimme zu wagen. Was kein Fehler war, wie wir jetzt wissen. So dürfen wir beispielsweise in „Stonehurst Cowboy“ der Geschichte seines Vaters nachspüren, der einen Bruder und viele Freunde in Vietnam verlor und deshalb versuchte, dem Wahnsinn zu entkommen. Gunns Sprache ist bildhaft, zuweilen rauh und stets sehr poetisch, der Gesang warm und etwas brüchig – beim „Vagabond“ läßt er sich zudem von Meg Braid begleiten. Ankerpunkt des Albums aber bleibt sein Gitarrenspiel, hart und bluesig für das Herzstück „New Familiar“, geschmeidig schimmernd oder wieder an anderer Stelle mit dem Beat und Swing der 60er unterlegt. Man hört ihm einfach gern zu, selbst wenn es sich um die Liebeserklärung an eine zugelaufene Katze namens „Luciano“ handelt. Das Leben ist schließlich sonst schon laut genug. http://www.steve-gunn.com/
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