Donnerstag, 15. Juli 2021

Snapped Ankles: Keine Angst vor lauten Bäumen

Snapped Ankles
„The Forest Of Your Problems“

(The Leaf Label)

Die Sache mit den Masken hat ja, sieht man einmal von der klassischen Musik ab, auch im Rock und Pop der Neuzeit eine längere Tradition. Anfang der Siebziger beispielsweise traten The Residents auf den Plan und versteckten ihre Köpfe in riesigen Augäpfeln, kurze Zeit später gaben Paul Stanley und Gene Simmons unter dem Namen KISS ihre ersten Konzerte mit comichaft bemalten Gesichtern und wollten fortan nicht mehr ohne Schminke. Slipknot, Lordi, GWAR und Ghost hier, Daft Punk und Marshmellow dort, irgendwo zwischen den Stühlen die Blue Man Group und über allem lange Zeit das größte aller Chamäleons David Bowie. Die Gründe für die Verkleidungen so vielfältig wie die Kostüme selbst und immer und zu allen Zeiten sorgten und sorgen sie – denken wir nur an die ersten Konzerte der Gorillaz hinter überdimensionalen Bettlaken – für reichlich Gesprächsstoff. So wie letztere mit durchaus ernsthafter Absicht die Beliebigkeit der Popkultur anprangern wollten, hat auch die Londoner Post-Punk-Kapelle Snapped Ankles Gründe für den Griff zum Tarnanzug. Einerseits beeinflusst von der Mythologie und dem Kult um Monster, Wahrsager und Propheten, scheuen sie gleichzeitig nicht eine gewisse Lächerlichkeit, wenn sie mit Grashaufen und Baumrinden bewährt über die Bühne springen.



Auf der Website der Band findet sich noch immer ein sehr lesenswertes Interview mit dem Netzportal The Quietus aus dem Jahr 2017, das wenig Erhellendes, dafür aber viel Unterhaltsames über 'Die Gebrochenen Gelenke' bereithält. Manche Wahrheiten sind so treffend und schön, dass man sie nur zitieren und nicht neu erfinden muss: "There is rebellion in the daftness and obscurity, and The Snapped Ankles are but a celebration of the necessity of the weird", steht da beispielsweise geschrieben und weiter: "They're dressing up as trees but not being dicks about it." Musikalisch bewegt sich das Quartett, dessen Wurzeln in die Zeit der Londoner Warehouse-Parties zurückreichen, auch mit dem dritten offiziellen Studioalbum noch immer auf sehr holprigem, bunt gemusterten Parkett. Neben Post-Punk, Big Beat, Techno und Elektro finden sich hier auch wieder Bezüge zu Jazz und Krautrock.



"The Forest Of Your Problems" ist dann ihre wohl "hörbarste" Platte geworden und dennoch immer noch herrlich verschroben – getrieben von funkigem Beatgewitter und äußerst perkussiv hetzen die zehn Tracks in verschiedenen Beschleunigungsstufen durch das Programm. Allen voran exemplarisch "Rhythm Is Our Business": "I‘m not a politician, I’m a businessman. And it’s time to get down to the business!" Das Geschäftsmodell wird in besagtem Interview auch noch einmal erläutert: "Now that my nephew can make orchestral techno on his iPhone or whatever and a guitar isn't a 'dangerous' instrument anymore we were just trying to explore how we can make our own sounds and what could be our weapons to make things more interesting." Auch inhaltlich ist die Marschrichtung klar – pro ökologische Nachhaltigkeit und Balance, contra Kapitalismus und mutwillige Zerstörung. Auf die Spitze getrieben im Track „Xylophobia“, einem sarkastischen Kommentar über die psychotische Angst vor dem Wald und allem, was uns dessen Erhalt an persönlichen Einschränkungen abverlangt. Klar, dass in diesem Licht die irren Kostüme einmal mehr tieferen Sinn ergeben. Es wird mal wieder Zeit, ein paar Bäume umarmen zu gehen.

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