Dienstag, 5. Oktober 2021

Figure Of Speech: Right here, right now

Figure Of Speech 
„Figure Of Speech?“ 
(Bandcamp) 

Eines der wenigen Probleme bei Independent-Produktionen ist der Umstand, dass man sich für Informationen gelegentlich ganz schön strecken muss. Insbesondere, wenn man nicht eben um die Ecke wohnt. Beispiel Figure Of Speech: Die main facts zu diesem spannenden Projekt werden einem selbst im allwissenden Netz nicht gerade auf dem Silbertablett serviert. Dass sich als treibende Kraft der Grafiker Derek Edwards aus Bristol dahinter verbirgt, ist schnell klar, alles Weitere erschließt sich Stück für Stück wie bei einem Puzzle. Eine zentrale Rolle übernimmt dabei Black Lives Matter – aus Anlass des von dieser Bewegung mitinitiierten, vielbeachteten Sturzes der Edward-Colston-Statue in seiner Heimatstadt schrieb Edwards ein Gedicht, dass wiederum Scott Hendy alias Boca 45, ebenfalls in Bristol wohnhaftem DJ und Labelgründer, zu Ohren kam. Schwer begeistert von der Wirkkraft dieses Textes, so berichtet Hendy, suchte er den Kontakt zu Edwards, wenig später schon arbeiteten die beiden an den ersten Tracks, die nun mit etwas Verzögerung als Verbindung der musikalischen Skills des einen und der Wortgewalt des anderen auf dem vorliegenden Debüt erscheinen. 

Schon mit der ersten, vor einigen Wochen vorausgekoppelten Single „Stand Firm“ kam Edwards unmissverständliche Ansage zum eigentlichen Anliegen des Albums: „This is an anti-racist-album“. Und so reflektieren denn die insgesamt fünfzehn Tracks alltägliche Erfahrungen und Demütigungen mit/durch strukturellen Rassismus, Edwards zieht den Spannungsbogen seiner Betrachtungen aus dem Alltag seiner Heimatstadt bis hin zur generellen Lebenssituation farbiger Menschen weltweit. Kämpferische Töne natürlich, wo Frustration und Wut gleichermaßen durchklingen, aber auch fast szenische Aufbereitungen wie der Vortrag zu schwarzem Selbstverständnis bei „Mistaken Identity“ oder die Aneinanderreihung von Vorurteilen und Beschwichtigungen weißer Meinungsmacher in „Get Over It“. Wieder an anderer Stelle wird die emotionale Rede des Cricket-Stars Michael Holding eingespielt, der in einem Interview anprangerte: „History is written by the people who do the harm, not by the people who are harmed. We need to go back and teach both sides of history. Until we do that and educate the entire human race, this thing will not stop.“

So beeindruckend die Lyrics, so überraschend der Sound: Schon nach wenigen Minuten ist man in der Erinnerung bei den Veröffentlichungen des Kunstkollektivs Sault aus London, die mit Vielseitigkeit und Facettenreichtum schon 2020 quasi die komplette schwarze Musikhistorie auf ihren Alben Revue passieren ließen – Ähnliches gelingt hier auch Edwards und Hendy, allerdings in deutlich kleinerer Besetzung. Flirrender Afropop, Fusion Jazz, Soul, RnB, Hip-Hop. Oldschool-Rap-Einlagen Marke De La Soul wechseln mit klassischem Bristol-Sound á la Massive Attack, Boca 45 hat hier mit seinem Ideenreichtum tatsächlich ganze Arbeit geleistet. Ein Beweis also, dass mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit am richtigen Ort durchaus Erstaunliches gelingen kann. Mit diesem Hinweis schließt sich übrigens auch ein Kreis zu Edwards Aktivitäten. Er gehört nämlich (neben der Arbeit für seine eigene Agentur Patwa) zu den Mitbegründern der Online-Lernplattform Bridging Histories, die es sich zum Ziel gemacht hat, Möglichkeiten und Inhalte unabhängig von Alter, Bildungsstand, Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht zu fördern und zu vernetzen. Ein eindrückliches Beispiel für den Sinn und die Notwendigkeit solcher Anstrengungen hat er mit seinem Debütalbum gerade selbst abgeliefert.

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