Dienstag, 15. Juni 2021

Fritzi Ernst: Das Recht auf Selbstverweigerung

Fritzi Ernst
„Keine Termine“

(Bitte Freimachen Records)

Es gibt durchaus gute Gründe, allein ins Kino, zu Ausstellungen oder eben auf Konzerte zu gehen. Geschmäcker sind ja bekanntlich und sehr zu Recht verschieden, dennoch muss man sich nicht freiwillig mit irritierten Seitenblicken, ungeduldigem Schnaufen oder der Frage: „Echt, das gefällt dir?!“ abplagen, sondern genießt manches besser für sich. Sichere Kandidatinnen für hochgezogene Brauen oder genervtes Augenrollen waren für lange Zeit Daniela Reis und Friederike „Fritzi“ Ernst, die unter dem schönen Namen Schnipo Schranke zwei wunderbare und ziemlich weirde Alben veröffentlichten. Beide einte der Sinn für skurrilen Humor, ein obsessives Verhältnis zu Körperflüssigkeiten aller Art und die Fähigkeit, Dinge, die vielen Mitmenschen sonst die Schamesröte ins Gesicht treibt, auf ungekünstelte und durchaus poetische Weise zu besingen. Lange bevor Blond die Hinterhältigkeiten der Monatsblutung thematisierten („Es könnte grad nicht schöner sein“), standen Sperma, Spucke, Pisse und Eiter bei den Hamburgerinnen bereits auf der Setlist, wurde die Reise des Tampons durch die Kanalisation schon musikalisch begleitet. Klar, dass da nicht jede und jeder ohne weiteres mit klarkam, man kann und will es halt auch nicht allen recht machen.



Schnipo Schranke jedenfalls sind seit 2019 Geschichte, die Umstände der Trennung, nach allem was man so liest, waren nicht die freundlichsten. Daniela Reis und Schlagzeuger Ente firmieren seither unter Ducks On Drugs – und Fritzi Ernst macht ein Solo. Und das ist, trotz aller Wehmut, die immer noch nachklingen mag über das Ende einer einzigartigen Formation, ein Grund zur Freude. Obwohl es ziemlich traurig ist. Thematisch jedenfalls, in großen Teilen. Der Hauptansatz von „Keine Termine“, über die Probleme dieser Welt zu philosophieren, besteht zu allererst in einer sympathisch verschmollten Verweigerungshaltung. Judith Holofernes hat vor knapp zehn Jahren mal gesungen: „Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich gar nichts wollen, ich weiß aber, dass alle etwas wollen sollen“ und dieser Satz gibt auch die Richtung für das Debüt von Fritzi Ernst vor. Sollen alle nur voranmachen, ihre Sache ist das nicht. Zwei Jahre hat Ernst (übrigens Klavierbauerin in Ausbildung) an den Songs geschrieben, vieles weggelegt und später wieder hervorgeholt – „Ich hab‘ keine Lust, mich stressen zu lassen wegen Musik“, hat sie im Podcast von Krachfink gerade erzählt.



Geschadet hat es nichts, der lakonische Humor, die träge Schläfrigkeit zur Tarnung, die blitzgescheiten Beobachtungen und treffsicheren Kommentare, all das findet sich auf’s Schönste konzentriert in den elf Liedern der Platte. Meist in warmen Molltönen gehalten, das Piano als führendes Instrument und Quelle bezaubernder Melodien, ergänzt um ein paar Effekte, Drumloops und eigenartige Geräusche – Produzent Ted Gaier von Die Goldenen Zitronen hat all das gekonnt eingefangen und arrangiert. Nicht zu klein bewerten sollte man Ernsts kräftige Stimme, die im Kontrast zur zelebrierten Antriebslosigkeit sehr klar und entschieden klingt. Subtext: Unterschätzen braucht man diese Frau sicher nicht. Das machen auch die Texte klar: Der „Trauerkloß“ als Absage an aufgesetzte und letztlich leere Fröhlichkeit und zugleich Aufruf, mit all den Schwächen, Ängsten und Schüchternheiten trotzdem und unbedingt willkommen zu sein. „Ich kann deine Mutter sein oder deine Schwester“ als Bild für die Vielschichtigkeit einer jeden Persönlichkeit, die zuzulassen unabdingbar ist für mentales Wohlbefinden unserer Selbst und des Gegenübers.



Eine Traurigkeit ist hier zu hören, die fast immer auf angenehm leichte und doch sehr bestimmte Art gebrochen wird. Lächeln und Lachen machen vergessen, was einen sonst bedrückt und verstimmt, der Witz ist nie platt, sondern stets charmant, Drogen nicht hinderlich und wenn‘s in der „Höhle“ mal komisch riecht, dann kennen wir den Grund. Besonders gelungen neben dem besagten „Trauerkloß“ ist Ernsts beißender Kommentar über männliche Allmachtsfantasien, allzu häufig anzutreffen bei den Exemplaren, die sich selbst für unwiderstehlich halten und meinen, Frau könne gar nicht anders, als mit ihnen in Flirtkontakt zu treten. Auch hier eine Botschaft zwischen den Zeilen: Werdet mal endlich erwachsen! Gar nicht lustig ist einzig „Den Rubin“, ein Song, bei dem es einen kurz fröstelt, weil die Worte hart sind und der Abgrund so tief und unüberbrückbar scheint: „Deine Wut macht mich so wütend, die geht einfach in mich rein, dann kommt sie wieder raus aus mir und kehrt zurück zu dir. Hab ich dich etwa verletzt, tut mir irgendetwas leid? Ich gehe nicht erst jetzt, ich bin schon weg.“ Die Ausnahme und nicht der Schlusspunkt, das zum Trost. Aber es gehört wohl zu ihr. Und somit auch zu diesem bemerkenswerten Album.

15.06.  Hamburg, Molotow
16.06.  Hamburg, Molotow
19.06.  Berlin, Badehaus
25.07.  Wuppertal, Kulturparkplatz
26.07.  Frankfurt, Zoom Sommerwiese
27.07.  Heidelberg, Karlstorbahnhof Sommerbühne
28.07.  Düsseldorf, Zakk Biergarten
29.07.  Oberhausen, Indie Radar Ruhr Openair
18.08.  Leipzig, Garten am Felsenkeller
19.08.  Dresden, Garten an der Chemiefabrik
25.08.  Hannover, Kommraus Sommerbühne

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