Headie One
„Gang“
(Relentless)
Dass der Hip-Hop die Rolle des Punk als Musik der Widerständigen, Widerspenstigen, gern auch mal Widersprüchlichen übernommen hat, kann man schon allein daran erkennen, dass Punk heute nurmehr als Musikrichtung, nicht mehr als Lebenseinstellung wahrgenommen wird – laute Gitarren, Trommelfeuer, wildes Geschrei, mehr ist nicht geblieben. Der Rest ist dann wahlweise für den Style der Modeketten oder die lästigen Hunde-Penner vom Alex. Beim Hip-Hop dagegen ist immern noch mächtig Bewegung drinne, gibt’s endlich die längst überfälligen Debatten über Sexismus und Homophobie, ist der Impetus fast zwangsweise ein politischer und wenn nicht, wird auch darüber gestritten. Die soundtechnischen Facetten, auf die gereimt wird, sind so vielfältig wie nie und auch die Gegensätze halten die Diskussionen am laufen. Beispiel Grime und Kommerz: Die beiden britischen Bannerträger Stormzy und Wiley, einst in respektvoller Freundschaft verbunden, batteln sich jetzt gegenseitig nieder, nur weil der eine meint, er wäre Erfinder und Gralshüter in Personalunion und der andere sich einen Teufel um Konventionen schert und gern auch mal mit Softie Ed Sheeran eine Track aufnimmt und daraufhin selbstbewußt textet: „On a mission, swear they wishin' that I flop, boy, but I'll never stop poppin', I'm the pop boy“.
Dass Rapper*innen meist aus Bevölkerungsschichten, aus Stadtvierteln stammen, die häufiger mit dem Gesetz und dessen langen Armen in Konflikt geraten, ist auch keine Neuigkeit, viele haben eine – milde formuliert – recht bewegte Vita aufzuweisen, bevor sie den neuen Berufsweg einschlagen, manche arbeiten sogar problemlos auf zwei Karrierewegen. Und auch das ist eben manchmal schwer vermittelbar. Irving Adjei beispielsweise, geboren Mitte der Neunziger im Nordlondoner Stadtteil Tottenham, kam über den Fussball zum Rap, genauer zu einer Grime-Variante, dem UK Drill. Zunächst performte er unter dem Moniker Headz zusammen mit seinem Buddie Jordan Townsend aka. RV in einer Truppe namens Star Gang. Er hat eine große Zahl an Mixtapes abgeliefert (das eben, was zu Zeiten das Punk noch die Langspielplatte war), die letzten schon unter seinem neuen Pseudonym Headie One. Das bislang bekannteste Tape erschien vor knapp einem Jahr unter dem Titel „Music x Road“ und enthielt auch die bis dato erfolgreichsten Tracks – die Single „Both“ und „18HUNNA“, eine Kollaboration mit dem Kollegen Dave Santan.
Dass auch Headie One nicht zu den bravsten Musikern der Stadt zählt, ist kein Geheimnis, mehrmals war er wegen Waffenbesitzes und Dealerei im Gefängnis. Doch solche Dinge müssen, wenn man wie er mit herausragendem künstlerischen Talent gesegnet ist, nicht unbedingt abschreckende Wirkung haben, das zeigt die Schar der Mitstreiter, die seine neuste Platte veredeln. Auf „GANG“, dem Geniestreich, finden sich also neben Dauergast Fred Gibson alias Fred Again so honorige Stargäste wie FKA twigs („Judge Me“), Jamie XX („Smoke“) und Sampha („SOLDIERS“), noch dazu hat Legende Brian Eno (wir erwähnten es) gerade erst den Opener „Told“ geremixt, das ist zwar keine Absolution, aber mindestens ein Hinweis auf die Wertschätzung, die man Adjei mittlerweile entgegenbringt. Stilitisch hat der sich inzwischen aus der Drill-Nische verabschiedet, den Grund tat er – ganz ohne falsche Bescheidenheit – schon Ende 2019 in der englischen Presse kund: „I feel like I’m capable of doing whatever I put my mind to. If I just stuck to drill, I’d be holding back my talent.” Der selben Zeitung sagte er zur Wahl zwischen dem einen oder dem anderen Einkommen auch Folgendes: “It’s a thin line. It’s a long road. There’s a lot of people don’t make it across that thin line. But you know when it’s time to make the changeover.” Klingt ganz danach, als hätte er auch das hinter sich.
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