„Die besten Jahre“
(Staatsakt)
Die eigentliche Sensation dieses Jahres, zumindest aus deutscher Sicht, kam in diesmal nicht aus den Metropolen Berlin, Köln oder Hamburg, sondern aus der Provinz und wurde schon im April ausgerufen. Warum sie auf diesem Blog dann erst so spät, quasi kurz vor Toresschluss Gehör fand, wissen wir nicht seriös zu begründen. Vielleicht lag die CD einfach zu lange weit unten im niemals kleiner werdenden Stapel der Neuigkeiten und viele davon haben sich, obschon nicht halb so gut wie diese hier, mit spitzen Ellenbogen und ohne große Bescheidenheit nach vorn gedrängelt. Dicke Hose scheint die Sache von Pedro Goncalves Crescenti (Bass), Peter Rubel (Gitarre, Keyboards, Gesang) und Joel Roters (Drums) jedenfalls nicht zu sein, der Sound ihrer Band International Music frisst sich eher langsam in den Gehörgang, hakt sich fest, macht sich breit ohne großes Aufheben.
Die drei Herren aus Essen, darüber ist im laufenden Jahr schon viel geredet worden, bemühen nur die auserlesensten FFOs und Querverweise, unter Velvet Underground und John Cale läuft da nix und auch die einheimischen Grußadressen (meist in Versalien) bürgen für Qualität aus besseren Tagen: FSK, CAN, Foyer des Arts, TRIO auch und natürlich Tocotronic. Nicht von ungefähr veröffentlichen International Music ihr Debüt auf Staatsakt, dem Feinkostbiotop für alles, was Diskurs, Metaebenen und Assoziationstheater nicht scheut und trotzdem ordentlich rocken kann. Und das tun sie zweifellos, wenn auch auf subtilere, gebremste Art. Psychedelische Klänge mit sparsamen, oft auch dadaistischen Texten hört man hierzulande nicht allzu oft, zuletzt waren es die Friends Of Gas aus München (ebenfalls bei Staatsakt zu Hause), die den Lärm auf ähnliche Weise zu ordnen wussten, auch Messer und Candelilla wählen einen ähnlichen Ansatz.
Untergründig kommen sie daher, aus der düsteren Kulisse, bei der man sich oft an die klischeehafte, dumpfe Ruhrpott-Tristesse der 80er erinnert fühlt, schälen sich bruchstückhafte Texte: „Knie kaputt, Frisur ist Scheiße, Mont St. Michel“ heißt es da – wer könnte die Frustration, die Tragik der verblichenen Jugend nicht mitfühlen. Grauzone überall, die verrauchte Ödnis der Trinkhallen, kaum schönzusaufen, Liebesfrust, fast schon egal, ein Anruf vom Rektor – soll der sich doch verpissen. Gebrochen wird das ganze wunderbar trostlose Spektakel, das ja dann doch erschreckend jetztzeitig ist, von farbigen Lichtfetzen, poppigen Countrymelodien, beschwingten Chorgesängen und herrlich albernen Wortspielereien.
„Es zieht mich dahin, wo der Pfeffer wächst, in die Gebiete, die nur Du entdeckst“ – man muss sich Zeit nehmen für „Die besten Jahre“ (dazu gibt es bei der zwanzigminütigen Variation von "Kopf der Band" am Ende nochmals reichlich Gelegenheit) und wird, das ist versprochen, viel Freude haben an dem Raunen, Knirschen, Rumpeln und sich des Öfteren selbst mit einem breiten Grinsen überraschen. So gut, so zeitlos, das läßt sich locker auch noch ein paar Monate nach Erscheinen loben, weil es länger da sein wird als viele Sachen, die wir vorher begeistert durchgewunken haben. Das Jahr allerdings ohne den unbedingten Verweis auf diese Platte abzuschließen, hätte dem Blog nicht gut zu Gesicht gestanden. Und dem Jahr irgendwie auch nicht.
19.01. St. Gallen, Palace
25.02. Dortmund, FZW
02.05. Hamburg, Molotow
03.05. Berlin, Lido
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