Meret Becker And The Tiny Teeth
“Le Grand Ordinaire Tour”
Volkstheater, München, 24. November 2019
„Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin
bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“
Ganz ehrlich, an Zufall wollte man da kaum glauben. Als um kurz nach acht im Münchner Volkstheater eine freundliche Dame verkündete, der Beginn der Veranstaltung verschöbe sich aufgrund technischer Schwierigkeiten um eine Viertelstunde, war man mit den Gedanken natürlich immer noch bei Meret Becker. Aber eben um 20:15 Uhr dann eben kurz auch bei Nina Rubin – Tatortzeit schließlich. Und auch klar: Wäre das Konzert auf den Sonntag vor zwei Wochen terminiert worden, es hätte wohl einige leere Plätze im Zuschauerraum gegeben. Denn die Rolle dieser Kommissarin, die Becker seit einiger Zeit in der ARD übernommen hat, ist ein solcher Glücksfall, so verletzlich, lebendig, chaotisch und zerrissen, kurz brillant gespielt, dass man sie unter keinen Umständen verpassen möchte. Selbst ihr Partner Mark Waschke alias Robert Karow, zwar als verdammt cooles, aber eben auch ziemlich arrogantes Arschloch gezeichnet, mußte letztens zugeben, sie sei die beste Polizistin, die ihm jemals begegnet sei. D’accord, keine Frage. Und wer jetzt meint, man könne die Folge doch jederzeit in der Mediathek abrufen, der bekommt sofort eine Anklage wegen vorsätzlicher Pointen-Zerstörung an den Hals! Done.
Der Abend begann also etwas später und, siehe oben, mit Thomas Brasch. Was schön war, weil seine Schwester Marion erst kürzlich im Rahmen einer szenischen Lesung mit dem selben, seinem wohl berühmtesten Gedicht im Literaturhaus zugegen war. Hier diente es zur Einführung der Bandmitglieder, den Tiny Teeth, einer Gruppe hochmusikalischer älterer Herren mit so viel komödiantischem Talent wie Fachkenntnis. Obwohl Band, das durfte man schnell erfahren, vielleicht nicht gerade die geeignete Bezeichnung für diese illustre Versammlung ist, denn das Programm beschränkte sich ja nicht auf die ordnungsgemäße Aneinanderreihung einzelner Lieder. Vielmehr handelte es sich um eine überaus unterhaltsame, bis ins kleinste Detail ausgearbeitete und dennoch sehr skurrile Performance aus Gesang, Akrobatik, Cabaret und Clownerie. Und zwar mit den unterschiedlichsten Instrumenten und Requisiten – wir hören und sehen eine Glasharfe, singende Sägen, ein halbes Dutzend Blechtröten, Banjo, Bongo und Ähnliches mehr.
Die Stimmung auf der Bühne pendelt dabei zwischen Jahrmarkt und Narrenschiff, Becker flüstert, schreit, kommandiert, schwelgt und flirtet, obendrein schwingt sie sich zu halsbrecherischen Darbietungen auf einen mehrere Meter über die Bühne angebrachten Ring und sorgte so für spontanen Szenenapplaus. Der war auch der Schlangenfrau (Lieblingswort: Kontorsionistin) sicher, die sich buchstäblich an den eigenen Haaren herbeizog und, an selbigen hängend, allerlei verrückte Figuren turnte. Die Wandelbarkeit, die Beckers Schauspiel auszeichnet, kann sie stimmlich mühelos auch in ihre Songs bringen, von charmant über Gosse ist alles dabei, besonders die Geschichte vom kaputten, blassen Mädchen („Gläsernes Gesicht“) beeindruckt als Hin und Her zwischen zart und derbe. Und weil ein Zirkus auch lustig ist, hat sie selbstverständlich auch ordentlich Spaß in petto – da wird „La vie en rose“ der Piaf nicht nur gesungen, sondern auch gegurgelt, zur Zugabe trifft sich die Band, auf dem Bretterboden sitzend, als geschrumpfte Version mit verkleinertem Arbeitsgerät. Und bevor der Vorhang fällt, leert Becker – das Trinklied, erdacht von Bruder Ben und Harald Juhnke, ist gerade verklungen – eine Halbe auf Ex. Das sei sie dem Ruf ihrer Familie schuldig, so sagt sie. Unsere Hochachtung jedenfalls hat sie sicher.
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