Dienstag, 30. Oktober 2018

Blushing: Verschworene Gemeinschaft

Etwas kratziger geht es bei Blushing aus Austin/Texas zu. Obwohl auch das nur auf den Klang der Gitarren gemünzt ist, denn das Quartett ist in der Musikszene eine ziemliche Seltenheit: Es musizieren hier nämlich zwei Ehepaare miteinander. Ins Leben gerufen wurde die Shoegazing-Formation 2015 von den beiden Frauen Michelle Soto und Christina Carmona, bald unterstützt von den dazugehörigen Partnern Jake und Noe. Zwei Jahre später erschien die Debüt-EP "Tether", bald darauf das Kurzformat "Weak". Nun hat das Quartett das Doppel "The Truth/Sunshine" bei The Nothing Song Records veröffentlicht, und auch hier vermeldet das Label ein komplettes Album für das nächste Jahr. Wollen wir hoffen, dass die ungewöhnliche Partnerschaft auch weiterhin Bestand hat, bis jetzt können wir uns über den Output jedenfalls nicht beklagen.

Montag, 29. Oktober 2018

Cake: Aus der Versenkung

Ja, und dann waren da noch Cake. Irgendwie bekannt? Doch, doch - mit "The Distance", "Perhaps,..." und "I Will Survive" kann ja nun hoffentlich jeder, der diesen Blog liest, etwas anfangen, denn diese beiden Songs gehören schließlich beide zur unbedingten Partyausstattung gehobenen Alters. Das letzte richtige Studioalbum von John McCrea und Kollegen datiert allerdings auch schon auf das Jahr 2011, hörte auf den Namen "Showroom Of Compassion" und war, bei allem Respekt, keine wirkliche Offenbarung. Vielleicht wird das ja diesmal anders, denn eine neue Platte soll laut CoS in Arbeit sein, die erste Hörprobe vorab heißt "Sinking Ship" und kommt mit einem Animationsvideo von Owen Streeter daher. Erstaunlich übrigens, dass die Herren noch zum Musik machen kommen, denn die meiste Zeit sind sie, besucht man ihre Facebook-Seite, nämlich politisch höchst aktiv - Respekt.

Kagoule: Und immer wieder Lieblingslieder

Kagoule
„Strange Entertainment“
(Alcopop Records)

Das ist sicher keine leichte Entscheidung: Das erste Album draußen, von der Kritik hoch gelobt, die Fanbase ist begeistert, aber der richtige Durchbruch scheint noch nicht gelungen. Frage also: Wie weiter? Auch Kagoule aus Nottingham haben sich um eine Antwort wohl nicht herumdrücken können, nachdem ihr Erstling „Urth“ 2015 das Grunge-Revival befeuert und auch sonst viel Lob geerntet hatte. Gleichwohl steht man als Musiker irgendwie immer vor der Entscheidung, ob man weiter vor allem dem eigenen Anspruch genügen möchte und unbeeindruckt weiterwerkelt oder besser auf ein paar Ecken und Kanten verzichtet und dem Geschmack der Masse und ein paar Ziffern mehr auf dem Kontoauszug so ein paar Meter näher kommen will. Beides zusammen geht selten und gleich, welche Richtung man einschlägt – es erwarten einen garantiert Beifall und Unverständnis zu gleichen Teilen.



Was von dem Trio aus der Mitte der Insel zu erwarten war, ließ sich schon aus einem Interview mit Gitarrist und Songschreiber Cai Burns herauslesen, das dieser einem Netzportal bei Veröffentlichung der Single „Not My Day“ gegeben hatte: „Das wichtigste und lohnendste für mich ist, dass ich einen Song, den ich gemacht habe, wirklich genießen kann. Das mag vielleicht komisch oder sogar egoistisch klingen, aber ich versuche tatsächlich, einfach jedes Mal mein neues Lieblingslied zu schreiben.“ Was zwischen den Zeilen nichts anderes heißen soll, als daß es ihm ziemlich egal ist, wem außer der Band selbst seine Ideen sonst noch gefallen, solange sie für ihn, Bassistin Lucy Hatter und Drummer Lawrence English funktionieren, läuft alles bestens.



Keine Sorgen also für alle, die den Ausverkauf fürchteten, Kagoule klingen weiterhin so rough und eckig wie zu Zeiten des Debüts. Sie haben ein einige, kleinere Stellschrauben gedreht, der Grunge steht nicht mehr ganz so dominant im Vordergrund, ein paar Synthsequenzen und Fuzzgitarren wurden ergänzt. Angepaßt oder gar glanzpoliert wirkt das alles bei weitem nicht. Auffällig oft hat sich Burns auch die Leadvocals geschnappt, Hatter übernimmt in der Regel den Backing-Part und tritt nur selten in die erste Reihe. Richtig durchgerockt wird eigentlich nur beim Dreiklang aus besagtem „It’s Not My Day“, „Superhuman“ und dem vorzüglichen „Mister Automaton“, die restlichen Stücke frönen der Lust am Gegenspiel aus laut und leise, hart und zart und wechseln das Tempo nach Belieben. Sie haben lange gebraucht für diesen zweiten Wurf und liest man ihre aktuellen Tweets richtig, spürt man einige Erleichterung, daß der Kampf nun endlich vorbei ist. Bleibt zu hoffen, dass ihnen der Anhang die Konsequenz danken wird – wir fangen jedenfalls schon mal an und vergeben die maximal erreichbare Punktzahl.

Sonntag, 28. Oktober 2018

Screaming Females: Gegenbeweis [Update]

Screaming Females
"All At Once"

(Don Giovanni Records)

Zuverlässig wie Trumps Tritte ins nächstgelegene Fettnäpfchen kommt immer jemand mit der Behauptung um die Ecke, die Gitarre hätte als Musikinstrument endlich ausgedient und keiner wolle sie mehr hören. Diese nichtsnutzigen Unkenrufe werden zukünftig mit einem Wochenendseminar bei den Screaming Females in New Jersey bestraft und deren Frontfrau Marissa Paternoster wird mit gewohntem Furor schon dafür sorgen, daß derlei unwahre Behauptungen künftig unterbleiben. Das aktuelle Album des Trios ist nämlich pickepackevoll mit lauter Gegenbeweisen, wir hören laut schrammelnden Indierock allererster Güte, der Vergleich mit dem Frühwerk der Smashing Pumpkins, der die Band schon seit ihren Gründertagen und dem Durchbruch "Ugly" (2012) verfolgt, läßt sich auch hier beim besten Willen nicht leugnen.



Gab es auf dem ebenfalls sehr gelungenen "Rose Mountain" einige Anzeichen für eine vorsichtige Diversifizierung hin zu neuen Instrumenten, ungewöhnlichen Arrangements, ist hier der Focus wieder strikt auf die rohe Gewalt polternder Riffs gerichtet, in mehreren Fällen gönnt man sich gar herrlich altmodische Gitarrensoli. Und das macht wirklich nur, wer sich seiner Sache ziemlich sicher ist. Dass Paternoster mit allem Unbill der Welt vor ihrer Haustür einen tagtäglichen Kampf ausfechtet, liegt auf der Hand - medialer Overflow und damit einhergehende Überforderung ("Glass House"), männliche Dominanz und Arroganz ("Black Moon") und vieles mehr treiben sie um und ihre Wut bricht sich in jedem der fünfzehn Songs Bahn. Die Screaming Females bleiben mithin nicht nur die Antithese zur musikalischen Trendhascherei, sondern auch eine wichtige Stimme der resistancehttp://screamingfemales.com/

28.05.  Köln, Buman und Sohn
29.05.  Berlin, Kantine Berghain
30.05.  Hamburg, Hafenklang
Tour-Update:
05.03.  Düdingen, Bad Bonn
06.03.  Zürich, Rote Fabrik
11.03.  Wien, Chelsea
12.03.  München, Unter Deck
16.03.  Berlin, Cassiopeia

Object As Subject: Wilde Bande [Update]

Wenn wir das allgemeine Wohlbefinden einmal kurz stören dürften? Damit es nicht allzu heimelig wird? Zum Beispiel mit diesem Quintett hier: Object As Subject sind eine All-Girl-Punkband aus Los Angeles, die gerade ihre Debütsingle "WEAPONRY" vorgelegt haben, tatsächlich ist das Quartett eine Interessensgemeinschaft von fünf ziemlich lauten Damen - Sängerin Paris Hurley, eigentlich ausgebildete Violinistin, die die Band vor vier Jahren gegründet hat und ursprünglich bei der Kapelle Culture Shock spielte, weiterhin Emilia Richeson, Gina Young (Sorority), Megan Fowler-Hurst (Tales Between Our Legs) und Patty Schemel von den legendären Hole. Das ganze Album folgt der EP "Irons In The Fire" (2016), wird "Permission" heißen und ist für den 17. August bei Lost Future Records gelistet. Schaut man sich Live-Performances wie die folgende, superkurze an, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die fünf durch die berüchtigte Decke gehen.

Update: Bild zum Ton - hier aktuell nachgereicht das Video zu "WEAPONRY" von Regisseurin Megan Fowler-Hurst.





Samstag, 27. Oktober 2018

Sudden Infant: Mega Dada City

Neues auch aus dem Hause Harbinger Sound: Die schweizerischen Dada-Punks von Sudden Infant haben ja kürzlich ihr neues Album "Buddhist Nihilism" veröffentlicht, die aktuelle Single "Hong Kong Nursery" hat nun ein Video unter Regie von Marcel Derek Ramsey bekommen - Straßenszenen aus der Megacity und Aufnamen von einem Konzert in Brüssel. Warum das Trio auf dem gleichen Label wie die Sleaford Mods und Paul Smith erscheint, kann man bei diesem Song exemplarisch hören, auch wenn der Grundstein angeblich, wie das Portal Everything Is Noise kolportiert, von zwei Kids stammen soll, die im Studio während des Soundchecks etwas umeinandergetrommelt haben.



Blonde Redhead: Konsequent anders

Schon ihre letzte Platte "Barragán" hatte einem neuen Sound Platz gemacht - Blonde Redhead waren jetzt eher was für's Jazzcafé, für die dunkle Nachtbar, wo man sich eigenwillige Soundtracks gibt statt lauter Indierocksachen. In die gleiche Richtung ging dann auch die neue EP "3 O'Clock", 2017 erschienen, voll mit sanften Melodien, Streichern, Bläsern, asiatische Zwischentöne sogar. Es überrascht deshalb kaum, dass Kazu Makino und Kollegen auf ihrem ersten neuen Song seit langer Zeit wieder variieren - "We Should Be Holding Hands" kommt fast als Reggae-Tune daher, die Rhythmik dunkel, das Blech soulful, wunderbar. Wir bleiben neugierig.

Sigrid: Nachschlag

Jaja, ist schon klar, über MUNA, Empress Of, Robyn oder Chlöe Howl schreiben, aber diese junge Dame hier unterschlagen - geht ja mal gar nicht. Gibt's jetzt eine linke Gerade für, im übertragenen Sinne. Denn Sigrid, gerade erst zweiundzwanzigjährige Sängerin aus dem norwegischen Städtchen Ålesund, hat ja schon im vergangenen Jahr mit ihrer Single "Don't Kill My Vibe" das Business kräftig aufgemischt, 2018 kam dann "High Five" und nun schlägt sie mit "Sucker Punch" noch einmal nach. Die Single ist Anfang Oktober im Umlauf, nun gibt es ein hübsches Video dazu und wenn einen das nicht für sie einnimmt, dann wissen auch wir nicht mehr weiter.



Laura Jane Grace: Neue Wege

Ganz so solo ist das natürlich nicht: Laura Jane Grace, Frontfrau der Punk-Kapelle Against Me! und dort über die Jahre hauptverantwortlich für den Transgender Disphoria Blues, wagt den Alleingang und wird am 9. November gemeinsam mit den Devouring Mothers ihre erste eigene Platte "Bought To Rot" veröffentlichen. Hinter den gefräßigen Müttern verbergen sich Drummer Atom Willard und Bassist Marc Jacob Hudson, hinter dem neuen Album eine klare Vorstellung: "Ich möchte nicht mehr über dieselben Dinge schreiben ", sagte Grace in den Liner Notes, "Ich brauche neue Inspirationsquellen. Und ich möchte nicht negativ sein. Ich will ein paar positive, fröhliche Lieder schreiben und mich vom positiven, glücklichem Leben inspirieren lassen." Na, wir sind jedenfalls dabei, hier nach "The Airplane Song" und "Apocalypse Now" die dritte Vorauskopplung "Reality Bites".

Freitag, 26. Oktober 2018

Sgrow: Anhaltend unangepaßt

Bleiben wir doch einfach mal elektronisch und teilen gleich noch den neuen Track des norwegischen Duos Sgrow. Schon im vergangenen Jahr hatten wir Vilde Nupen und Kristoffer Lislegaard hier auf dem Schirm, da nämlich erschien ihr Album "Circumstance" und weil das alles so angenehm unangepaßt klang und eine Verwandschaft zur Lieblingsisländerin Björk mehr als auf der Hand lag, gab's viel Lob dafür. Gleiches könnte sich nächstes Jahr wiederholen, dann nämlich erscheint die Folgeplatte "Circumstance II", eine erste Auskopplung geht heute mit dem Track "You" samt Video von Linnea Syversen in die Runde.

Bit Cloudy: Ohne Störgeräusche

Wen ständiges Gerede auch manchmal nervt, für den haben wir hier gerade mal ohne störende Nebengeräusche: Der Londoner Musiker und Produzent Martin Thompson, Eingeweihten unter dem Moniker Bit Cloudy ein Begriff, hat gerade seine neue EP fertiggestellt, "Cut Crescent" wird sie heißen und am 16. November zum Kauf und Download bereitstehen. Die Mischung aus Krautrock und House darf man auch gleich mal im ersten Vorabtrack "Street Orbit" begutachten, die restlichen vier Stücke folgen dann zum genannten Termin.

Donnerstag, 25. Oktober 2018

Eliza Shaddad: Soundtrack der Veränderung

Eliza Shaddad
„Future“
(Beatnik Creative)

Es wird ja viel gelobt, wir nehmen uns da nicht aus, einfach weil es weit mehr Befriedigung verschafft, etwas zu finden, das einem gut gefällt und weil auch mehr dazugehört, als dieses oder jenes in der Öffentlichkeit (und sei es auch nur eine kleine) zu zerreißen. Das nun folgende Lob ist nun aber kein überraschtes, kein vorschnelles, unüberlegtes. Denn die Songs der jungen Britin Eliza Shaddad begleiten uns schon seit Jahren und sie sind, das darf man ohne jeden Zweifel behaupten, bei allen Wandlungen, die sie stilistisch genommen haben, immer von bestechender Qualität gewesen sind. 2012 erschien mit „January – March“ ihre erste EP, eine zurückhaltende, zarte Sammlung von Folksongs. Zwei Jahre danach mit „Waters“ die langsame Hinwendung zum Rock, der noch einmal zwei Jahre darauf („Run“) dem Grunge Platz machte. Und auch dann folgte kaum eine Pause. Shaddad reiste in dieser Zeit, familiär bedingt, über die Kontinente, Australien, Afrika, Asien, Europa, Freundschaften wurden geschlossen, später Beziehungen, Trennungen blieben nicht aus, Liebe und Schmerz, sie erfuhr das alles quasi unterwegs.



Und schrieb weiter Lieder. Wunderschöne Lieder, jetzt poppiger, facettenreicher, dunkel schon, aber nicht düster. Shaddad baute zunehmend Synthesizer in ihre Kompositionen, Effekte, Beats, doch weil die Lieder im Kern so gut waren, verloren sie sich nicht in der neuen Vielfalt, sondern erschienen reifer, erwachsener. „Future“, ihr lang erwartetes Debüt, ist nun nicht etwa die Aneinanderreihung bislang veröffentlichten Materials, wie es viele gern tun, sondern die Summierung der neu entstandenen Stücke unter dem Topic „Veränderung“. Das meint natürlich neben den Reisen den Verlust von Bindungen, Einsamkeitsängste, Furcht vor der eigenen Courage, vor dem nächsten Schritt. Aber vor allem sollen die Songs den Weg aus der Lebenskrise, aus der Traurigkeit weisen, sollen den Kopf nach oben bringen und die Zukunft, die Chance auf einen neuen, wenn auch ungewissen Lebensabschnitt, in den Mittelpunkt rücken.



Musikalisch hat ihr dabei einmal mehr Produzent Chris Bond geholfen, der auch schon mit Talenten wie Ben Howard oder Matthew And Me zusammengearbeitet hat und Shaddad bereist über längere Zeit begleitet. Gemeinsam haben sie einen Sound gefunden, der einerseits sehr geschmeidig, melancholisch daherkommt, mit großen Melodien, die aber jederzeit von harschen Gitarrenakkorden gebrochen oder harten Drums („Your Core“) angetrieben werden können. Die Referenzen hierzu finden sich sowohl im Wave der 80er als auch dem Glamour-Pop der 90er Jahre („Just Goes The Show“) – The Cure tauchen ebenso auf („My Body“) wie Chris Issaks großartiges Thema „Wicked Game“ zu „Wild At Heart“ – letzteres ist beileibe keine Schande, schließlich haben The XX aus diesem Song einen nicht unwesentlichen Teil ihres Fundaments gezimmert. „The Conclusion“, so heißt der Song von Shaddad, glänzt außerdem mit einem herrlichen Riff im Schlußteil, immer wieder gelingt es ihr, die Zuhörer fast im selben Moment zu umgarnen und zu überraschen. Und das ist das Schöne an diesem Album – hier weiß selbst der Laie, daß die Geschichte des weitgereisten Mädchens aus London gerade erst angefangen hat.

10.12.  Hamburg, Nochtwache
11.12.  Berlin, Privatclub



Mittwoch, 24. Oktober 2018

Empress Of: Ein Stück vom Glück

Empress Of
„Us“
(XL Recordings)

Madonna wird es sicher freuen. Zwar ist es nicht sonderlich originell, für jede hoffnungsvolle Musikerin ein jedes Mal Madame Ciccone als Übermutter aufzurufen. Fakt ist jedoch, dass viele Künstlerinnen heute gar nicht auf den umjubelten Siegertreppchen ständen, hätte damals nicht die Tochter eines italienischen Autoschraubers und einer Frankokanadierin solch einen Mut bewiesen, mit Hitsingles Wochentakt das Showbusiness durcheinandergewirbelt und gleichzeitig die Sache mit dem weiblichen Selbstverständnis auf ihre stolzen Schultern gehoben. Und auch wenn sie wiederum bei Frauen wie Aretha Franklin, Martha Graham oder Debbie Harry in die Schule gegangen ist, wirkt ihr Weg, ihr Beispiel zweifellos bis in heutige Generationen fort. Janelle Monae beruft sich wie viele mit Vorliebe auf die Kollegin und sicher haben auch die Mädels von MUNA vor ein paar Tagen mehr als einen Gedanken an die (Groß)Mutter des Pop verschwendet, als sie wie folgt twitterten: „Okay, like hear me out the world is burning and civilization is collapsing, but we habe Robyn, we have Maggie Rogers, we have Empress Of, we have Adrianne Lenker, we have Japanese House, we have Christine And The Queens, we have Miya Folick, we have woman giving us art!“

Man könnte die Reihe natürlich unendlich fortsetzen, besser widmen wir uns aber mal einer Dame in dieser Aufzählung, die dieser Tage mit ihrer neuen Platte von sich reden macht – Lorely Rodriguez alias Empress Of gibt tatsächlich in vielerlei Hinsicht (und mit freier Interpretation) ein erstklassiges Beispiel für die obige These ab. Schaut man sich das Cover ihres Debütalbums „Me“ aus dem Jahr 2015 an, dann sieht man dort ein zartes Mädchen mit zweifelndem Blick und unsicherer Gestik – ganz anders jetzt: Aus „mir“ wird „uns“, Vorsicht und Zurückhaltung sind von gestern, frau ist sich der gemeinschaftlichen Stärke bewußt und zeigt das auch gern. Was bei Männern verpönt (Stichwort: Manspreading), ist für Frauen jetzt Zeichen trotziger Selbstbehauptung, dazu der herausfordernde Blick, den man mit „Du kannst mich mal!“ kaum fehldeutet. Bezeichnenderweise spart sich Rodriguez für ihre zehn Dreiminüter fast durchgängig jedwedes politische Statement (auch da folgt sie dem Beispiel Madonnas aus deren Anfangstagen), das gewachsene Bewußtsein wird im Kontext aus Optik, Sound und Sprachmix so selbstverständlich wie ausreichend transportiert.



Heißt einmal mehr: LoFi-Pop für Feinschmecker! Schon erstaunlich, mit wie wenig Tönen und vermeintlich einfachen Mitteln Empress Of hier operiert und wie glatt die Sache aufgeht. Entspannte Rhythmik, verspielte Synthesizer, hingetupfte, hüpfende Melodien und ihre vielleicht nicht sonderlich große, aber angenehm weiche, einschmeichelnde Stimme ergeben eine perfekte Mischung, irgendwo bei Charli XCX, Lily Allen und „Jenny from the Block“. Auch wenn Leichtigkeit oft die meiste Mühe kostet, das hier klingt so locker dahinkomponiert, dass man an das Gute in dieser Welt wieder glauben mag. Dass sie dabei das Englische mit dem Spanischen, also die beiden Muttersprachen ihrer Vita, ansatzlos miteinander vermengt, macht die Sache noch ein Stück sympathischer. Rodriguez singt von der Liebe und hat genug für alle dabei: „Sometimes we fall and sometimes we fly, thats how life goes, chin up to the sky, let your brown eyes light up, they glow. Don't let you heart consume all the hate they love to feed, I've got something that you need, I've got something“ heißt es in „I’ve Got Love“ und wir wären reichlich beschränkt, würden wir uns nicht etwas davon nehmen. http://www.empressof.com/

20.03.  Berlin, Kantine Berghain
22.03.  Köln, Artheater

Miya Folick: Keine Zweifel [Update]

Dass eine EP nicht ausreichen würde, wenn man so tolle Songs schreiben kann, das war relativ schnell klar: Miya Folick hat im vergangenen Jahr mit ihrer EP "Give It To Me" mehr als eindrücklich bewiesen, was für ein großes Talent in ihr schlummert - in der kommenden Woche nun wird ihr Debüt "Premonitions" erscheinen und endgültig die letzten Zweifel beseitigen. Bislang sind davon die Stücke "Deadbody", "Stock Image" und "Stop Talking" erschienen, nun kommt mit "Thingamajig" eine eindrucksvolle Ballade hinzu. Noch erfreulicher: Folick wird sich bald auch für ein paar wenige Termine auf die Bühnen dieses Landes wagen.

05.12.  Berlin, Musik und Frieden
06.12.  Hamburg, Häkken
09.12.  Haldern, Haldern Pop Bar
10.12.  Köln, Blue Shell

Update: Und noch ein neuer Song vom künftigen Album geht in die Runde - hier kommt "Cost Yor Love", voller dunkler Energie, starkes Stück, schon wieder.



Bob Mould: Weil er es kann

Er gibt nicht Ruhe - warum sollte er auch? Bob Mould hat Zeit seines Lebens wunderbare Musik gemacht, in jungen Jahren haben das viele. Schwierig wird es in gehobenem Alter, da gelingt es nur wenigen, sich nicht der Lächerlichkeit preiszugeben, nicht zu verkrampfen - alteresgerecht rocken, hat sich was! "Silver Age", "Love And Ruin" und zuletzt "Patch The Sky", alles tolle Alben, nichts davon peinlich, nichts langweilig oder egal. Und nun also "Sunshine Rock". Klingt ziemlich optimistisch, soll es auch, sagt der Mann - am 8. Februar erscheint die Platte via Merge Records und den Titelsong gibt's hier schon mal vorab.

Dienstag, 23. Oktober 2018

Mike Krol: Mit 'nem blauen Auge

Der Junge mit der Gitarre hat jetzt ein blaues Auge: War auch zu erwarten, daß Mike Krol Probleme macht - er ist laut, er spuckt gern große Töne und wer sich das Cover seiner letzten Double-A "An Ambulance/Never Know" angesehen hatte, wußte, wo die Sache endet. Vier Platten hat Krol bislang veröffentlicht, nach "I Hate Jazz" und "Trust Fund" kam 2015 "Turkey" - nun soll Anfang des kommenden Jahres "Power Chords" bei Merge Records folgen. Und schon die erste Single "Little Drama" läßt keinen Zweifel daran, daß die Garage sein Spielzimmer geblieben ist, alles kracht und quietscht unvermindert und wir dürfen gespannt sein, wie weit er diesmal geht.



Montag, 22. Oktober 2018

Neurotic Fiction: Folgerichtig

Ganz klar, dass wir von Bristol momentan nicht genug bekommen können. Erst die Idles, dann die Heavy Lungs, The Desert und auch die Jungs von Lice wollen wir nicht vergessen. Und nun kommen eben auch noch Neurotic Fiction daher, die vor kurzem ihre Single "Collateral" veröffentlichten und jetzt mit "Loose End" nachlegen - wer's hört, wird unsere Begeisterung für Stadt im Allgemeinen und die Bandszene im Speziellen verstehen. Am 16. November übrigens wird das Debütalbum "Pulp Music" via Specialist Subject erscheinen, wir bleiben dran.

Babeheaven: Längst erwartet

Wir sind beileibe nicht die einzigen, die die Londoner Band Babeheaven auf dem Zettel hatten und so freuen wir uns mit allen, die sie kennen und mögen über ihre neue Single "Fresh Faced". Im vergangenen Jahr waren die fünf gemeinsam mit Japanese House auch in Deutschland auf Tour, um ihre bislang erschienenen Songs und EP vorzustellen, nun kündigen sie mit der neuen Arbeit ein weiteres Kurzformat an - der erste Appetizer ist gewohnt smooth und rückt Sängerin Nancy Andersen und Kollegen einmal mehr in die Nähe der frühen Massive Attack.



Sonntag, 21. Oktober 2018

Hater: Zu gleichen Teilen

Hater
„Siesta“
(Fire Records)

Man sollte schon genauer hinhören. Klar, das sollte man tunlichst bei jeder Platte. Aber wer das zweite Album der schwedischen Band Hater vorschnell als Bibi-und-Tina-Wohlfühl-Singalong-Platte abtut, wird dem Quartett wohl nicht gerecht. Denn ganz so klar wie beim Namen der Formation treten die Widersprüche hier nicht zutage. Natürlich beißt sich dieser arg mit dem verträumten, hochmelodiösen Dreampop, Hassbotschaften sind hier nicht zu finden und auch mit bösartigen Chatbots oder Trollen haben die vier aus Malmö nichts am Hut. Aber eben auch nicht mit eitel Sonnenschein und aufgesetzter Melancholie. Denn wer der wunderbaren Caroline Landahl gut zuhört, wird entdecken, daß ihre zarte Stimme wie schon auf dem Debüt "You Tried" immer ein bisschen schief und nicht selten auch etwas brüchig klingt, so als könnte sie im nächsten Moment kippen und mit ihr die als so wohltuend empfundene Stimmung der Songs. Und auch die Instrumentierung ist längst nicht so glattpoliert, wie man nach einem Schnelldurchlauf meinen möchte.



Gönnt man „Siesta“ ein paar Extrarunden, entdeckt man in den zweifellos sehr harmonischen Arrangements viele kleine Widerhaken – hier ein paar bluesige Gitarren zu dunkel vibrierendem Bass („Things To Keep Up With“), bei „Your Head Your Mind“ schichten sich im Hintergrund windschiefe Töne zu einer kleinen, aber feinen Wall Of Sound und bei „Why It Works Out Fine“ wird zur Raspelstimme ein bisschen Funk gemischt. Nicht ganz so ernst gemeint war kürzlich wohl die Bemerkung von Drummer Lukas Tomasson, sie hätten stets eine ganze Schublade voller Antidepressiva zur Verfügung. Er schob dann schnell zur Klärung nach, dass man doch sehr dankbar sei, sich mit Hilfe der Musik mit den düsteren Momenten, die sie alle durchaus haben, auseinandersetzen zu können. Bloß keine Schubladen also, nicht zu schön, aber bitte auch nicht trostlos. Hater versuchen, mit ihrem Sound und den Texten den Zwischentönen und Schattierungen des Alltags gerecht zu werden, Mut zu machen und Hoffnung zu geben, das Schöne genauso zuzulassen wie das Traurige. Zu akzeptieren, dass beides seinen gleichberechtigten Platz in unserem Leben hat, macht es manchmal einfacher. Und zwar sowohl für den, der die Songs schreibt und spielt als auch für den, der sie hört.

23.10.  Hamburg, Aalhaus
13.11.  Dresden, Scheune
14.11.  Berlin, Marie Antoinette
15.11.  Jena, Glashaus

Samstag, 20. Oktober 2018

Ganser: Zorniger Nachtrag

Nicht auf dem Album: Die Post-Punk-Band Ganser aus Chicago, in diesem Jahr erst mit ihrem Album "Odd Talk" auf dem Schirm, hat einen neuen Song samt Videoclip veröffentlicht. "Pastel" passt stilistisch zum Debüt des Quartetts - schroffe Gitarrenbreaks, zornige Worte ("Look how I've suffered, like no one before, my blood is thicker and redder than yours"), dazu die Vintage-Bilder, die wir auch schon in früheren Filmen der Formation gesehen haben, mal sehen, was noch folgt.

Freitag, 19. Oktober 2018

Steiner und Madlaina: Mit dem Herz durch die Wand

Steiner und Madlaina
„Cheers“
(Glitterhouse)

Wenn es darum geht, den Schlager mit bösen Kommentaren zu bedenken, sind wir ja immer schnell und mit großem Spaß bei der Sache, denn nichts ist einfacher, als Geringschätzigkeit und Überlegenheit zu zeigen. Dabei steckt hinter den Simplifizierungen, Fantastereien, Schönfärbereien ja immer eine auch eine tiefe, nur allzu menschliche Sehnsucht nach dem einfachen Leben, das gut zu einem sein will und nicht mit Widersprüchen, Ungewissheiten und Niederschlägen anstrengt. Die Sehnsucht, dass sich jemand kümmert, Sorgen teilt und man nicht ständig selbst in die Verantwortung gezogen wird. Allzu menschlich, wie gesagt. Oder anders: Es ist komplizierter, leider. Dennoch lassen sich mit klaren Worten oft erstaunlich zufriedene Momente erleben – der große Udo Jürgens hat das gewusst, viele andere auch. Und der noch nicht ganz so große, dafür aber noch sehr lebendige Jan Delay hat erkannt, dass es manchmal eben auch eine „Skorpions-Ballade“ tut, um der Seele zu schmeicheln.



Nora Steiner und Madlaina Pollina haben ihre Lektion längst gelernt. Nach zwei bemerkenswerten EP legen sie nun ein Debütalbum vor, das sie in kürzester Zeit aus dem Vorprogramm von Madlainas Bruder Faber auf die Main Stage katapultieren wird. Sie haben längst verinnerlicht, dass jenes Sprichwort vom Reden, Schweigen, Silber und Gold ihnen im wahren Leben nicht weiterhilft, wenn damit so vieles unausgesprochen und missverständlich bleibt. Also lieber von den Dingen singen, auch wenn sie von Zweifeln, Ängsten, von Reue oder vorweggenommenen Enttäuschungen handeln. Aber eben auch von Liebe, Hingabe, von Zärtlichkeit, den eigenen Träumen und denen der anderen, mehr mit Herz, weniger mit Verstand. Sie tun dies gemeinsam, mit weicher, sanfter oder spröder, kraftvoller Stimme. Dazu die Schweiz als Land der Vielsprachigkeit, Pollina mit den italienischen, Steiner mit den griechischen Wurzeln, das widerspricht sich nicht, das passt zur Zeit.



Es sind anrührende Songs daraus geworden: Liebeslieder, Trennungslieder, Streitlieder, Lustlieder, der ganze verworrene Kosmos des Mit- und Ohneeinander, der ganze Kampf, das Glück, der Schmerz. Sie handeln von den Gewissheiten, die man kennt, aber besser nicht hören will, von der Angst, allein zu sein und deshalb Fehler zu machen, von denen man weiß, dass sie dumm sind. Davon, dass das Einfache eben nicht unbedingt glücklich macht („Frauen wollen was, Männer auch, ein schönes Haus, ein Kind im Bauch“) oder dass es so schwierig ist, zu wissen, was das Richtige ist und dann auch noch den Mut zu finden, eben dies zu tun. „Doch wer soll sich als erstes traun, Vertrautes mit der Faust zerhaun?“ fragen sie in „Das schöne Leben“, dem zwiespältigen Hoch auf die Unentschlossenheit, wenn also die Hoffnung so groß ist wie die eigene Verzagtheit. Alles Lieder, die denen aus dem Herzen sprechen, die ähnlich empfindsam sind. Klare Worte über Unerklärliches, starke Zeilen für unsere Schwächen – und am Ende reißt die Gitarre alles in Stücke. Zwei mit dem Herz durch die Wand, wunderbar.

10.01.  Karlsruhe, Substage Café
11.01.  Köln, Stereo Wonderland
12.01.  Düsseldorf, The Tube
13.01.  Langenberg, KGB
15.01.  Hannover, Lux
19.01.  Bremen, Zollkantine
20.01.  Hamburg, Nochtwache
22.01.  Mainz, Schon Schön
23.01.  Berlin, Musik und Frieden
24.01.  Lübeck, Riders Café
25.01.  Magdeburg, Moritzhof
26.01.  Osnabrück, Kleine Freiheit
27.01.  Darmstadt, Pädagog Theater
29.01.  Dresden, Ostpol
31.01.  Wien, TBA
01.02.  Vorarlberg, TBA
02.02.  Nürnberg, Club Stereo
03.02.  München, Backstage
04.02.  Reutlingen, Franz K.
05.02.  Ansbach, Kammerspiele
06.02.  Leipzig, Moritzbastei
07.02.  Erfurt, Museumskeller

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Wolfgang Tillmans vs. Powell: Kein Neuling

Die einen jubeln frenetisch, bei anderen schrillen die Alarmglocken: Wenn zeitgenössische Künstler sich am Pop versuchen, dann kann das wunderbare Früchte tragen oder mächtig in die Hose gehen, dazwischen liegt das am meisten Gefürchtetste - totales Desinteresse. Nun, letzteres kann Wolfgang Tillmans, Fotograf und Multimediamann, schon mal nicht passieren, dafür sind Neugier und Bekanntheitsgrad zu groß. Laut Pitchfork hat der gebürtiger Remscheider gerade gemeinsam mit Oscar Powell, selbsternannter Electronic Punk, unter dem Namen Powell Tillmans die EP "Spoken By The Other" aufgenommen, im nächsten Monat soll sie bei XL Recordings erscheinen und einen ersten Vorgeschmack gibt es jetzt schon mit "Feel The Night". Wie das Netzportal korrekt feststellt, ist dies nicht Tillmans erste Berührung mit dem Genre, immerhin war er schon mit einer Kollaboration auf dem Mixtape "Endless" von Frank Ocean vertreten ("Device Control"/"Higgs"), er hat Videoclips u.a. für die Pet Shop Boys gedreht, diverse Technotracks eingespielt (gerade erst die EP "Heute will ich frei sein") und ist selbst als DJ gefragt. Bleibt von den eingangs erwähnten Optionen eigentlich nur eine - wir werden sehen. Das Artwork für die besagte EP stammt im Übrigen von dem Dänen Anders Clausen.




Mittwoch, 17. Oktober 2018

Karies: Eigenart

Karies
„Alice“
(This Charming Man Records)

Wenn in der Stuttgarter Zeitung eine Überschrift wie „Die Könige des Morbiden“ steht und damit Einheimische meint, dann darf man davon ausgehen, dass das Überwindung gekostet hat. Denn dem Schwaben an sich ist das Morbide eigentlich ziemlich fremd. Im bundesrepublikanischen Gesamtvergleich gilt das dazugehörige Bundesland ja eher als die Heimat der trickreichen Selfmade-Kümmerer, stets bester Laune, nie um eine Idee verlegen, Überlebenskünstler, Stehaufmännchen. Ist der Schwabe einmal schlecht gelaunt, dann bruddelt er höchstens, aber Nihilismus, Pessimismus oder Fatalismus liegen etymologisch meilenweit außerhalb der Landesgrenzen. Fanta 4 gehen natürlich klar, die entsprechen dem Selbstverständnis, aber Post-Punk? Wird vermutlich sehr argwöhnisch beäugt und im Zweifelsfalle ungutem, fremdem Einfluss zugeschrieben. Aber auch im Musterländle tun sich sonderbare Dinge, gibt der pragmatische Grüne als politisches Rolemodel mittlerweile den Landesvater und eine Band wie Die Nerven gilt ebenso lange als eine der bekanntesten Noise- und Indierock-Kapellen der Republik. Und weil aus deren Dunstkreis auch Karies stammen (bekanntermaßen werkelt Kevin Kuhn hier im Zweitjob), gehört eben seit 2013 auch der düstere Post-Punk mit zum Repertoire.

Das mittlerweile vierte Album der Formation nach „Fun ist ein Stahlbad“, „Seid umschlungen, Millionen“ und „Es geht sich aus“ ist ihr vielleicht variantenreichstes geworden. Stilistisch maximal vielseitig, textlich gewohnt rätselhaft, so präsentieren sich die vier in den knapp vierzig Minuten – hektisch nervöse Anklänge schönster NDW-Tradition gleich zu Beginn mit „Holly“ und „Pebbo“, später dunkler mit dronigem Gitarrenlärm, Wortspiele als bruchstückhafte Bestandteile der Soundcollagen, mantraartig wiederholt, dadaistisch auf die Spitze getrieben. Gern auch Gegensätze – hier der Pop von „Reden über was“ als Parabel aufs tägliche Worthülsengefecht, dort der „Altar“ fast schon gothy, bleischwarzes Pathos, dunkle Messe, Angst, Bedrohung. Im Vergleich zu den ersten Alben ist dieses hier deutlich inhomogener, wandlungsfähiger, dafür weniger hart. Jetzt fallen einem eher die Schweizer von Grauzone ein, Anfang der 80er haben die gleißend hell gebrannt, sind schnell erloschen und vielen leider nur mit einem abgenudelten „Eisbär“ im Gedächtnis verblieben. Ihr damaliges Debüt ähnelt dem aktuellen „Alice“ in vielen Momenten und das ist ein weiterer, erstaunlicher Aspekt schwäbischer Eigenart. http://kariesband.blogspot.com/

Zum Album gibt es im Übrigen auch eine weitere Ausgabe der Rubrik Familienalbum.

07.11. Wiesbaden, Kreativfabrik
08.11. Köln, Gebäude 9
09.11. Osnabrück, Kleine Freiheit
10.11. Bremen, Lila Eule
11.11. Berlin, Lido
12.11. Dresden, Groovestation
13.11. Leipzig, Ilses Erika
14.11. Chemnitz, Nikola Tesla
15.11. Nürnberg, Künstlerhaus
16.11. Würzburg, Cairo


Chlöe Howl: Restart

Zugegeben, es hat einige Zeit gedauert, bevor Madame wieder die Straße rockt, aber nun ist sie zurück: Chlöe Howl war 2013 mal so etwas wie das heißeste Versprechen des Königreichs, raspelkurzes, feuerrotes Haar, unzählige Sommersprossen und eine angenehm raue, trotzige Stimme. Soll heißen: Hammerfrau. Mittlerweile ist aus dem einst so collen Königreich ein einigermaßen zerrissenes geworden, Chlöe Howl hat im letzten Jahr mit "Magnetic" und "Do It Alone" zwei respektable Songs abgeliefert, die Haare sind länger und länger geworden und nun startet sie mit dem Video zu "Work" erneut durch. Wünschen wir ihr Glück, verdient wäre es allemal.



Dienstag, 16. Oktober 2018

Christine And The Queens: Mitten hinein

Christine And The Queens
Support: Lauren Auder
Columbiahalle, Berlin, 15. Oktober 2018

Bayern zu entfliehen ist dieser Tage nur schlecht möglich: Erst der vom Rest der Republik mit einer Mischung aus Neid und Fremdscham bestaunte Trachtensuff des Oktoberfestes (Disneyland für Dauerdichte, SZ), dann hustet der einst so stolze und jetzt ziemlich irdische Ballsportverein aus München und stürzt das ganze Land samt La Mannschaftnix in eine schlimme Depression – und nun auch noch diese Laptop-Lederhosen-Landtagswahl samt volkstümelnder Politkasper, roter Dystopie und spaßiger, grüner Allmachtsfantasien. Selbst die ehrenwerte FAZ liest sich plötzlich wie eine Lokalausgabe des bedrohlich trudelnden Freistaates – ist da denn kein Entkommen!? Doch, schon. Oder besser: fast. Denn selbst auf dem einzigen Deutschlandkonzert von Frankreichs Musikexport Nummer eins Christine And The Queens in Berlin werden am Eingang ein paar schwammige Brezn gereicht. Tagsüber hatte man schon einen Kreuzberger Hipster mit Weißbier aus der Flasche flanieren sehen (dafür gäb’s in Bayern mit Recht eine strenge, amtliche Abmahnung), aber sonst ist hier alles angenehm unbayerisch – die Hauptdarstellerin ja ohnehin und sowieso.

Héloise Letissier ist nicht ohne Grund dort, wo sie jetzt so frenetisch umarmt und bejubelt wird – niemand bringt das neue Gefühl der sexuellen Selbstbestimmung so locker und bestimmt auf den Punkt wie sie, niemand vermählt klassischen Pop und verschwitzten Tanz auf so beeindruckend perfekte Weise wie diese schmale, trotzige, sympathische Frau aus Nantes. Wer ihre Lieder hört, mitsingt und -schwingt, der kann damit auf gänzlich einfache, weil eingängige Art (wie sie das eben auch tut) eine sehr gegenwärtige Lebenseinstellung verinnerlichen und transportieren. Christine And The Queens schaffen auch an diesem Abend das, was Politik mit dem oft angestrengten Ringen der Worte nicht vermag: Mit einem Fingerschnippen, einem Hüftschwung, einer herausfordernden Geste, einem lauten Lachen hat sie die Halle sofort hinter sich und somit auch in dem Gefühl vereint, dass sich das, was da auf der Bühne passiert, mühelos im sonst so beschwerlichen Alltag zwischen Vorsicht und Vorurteil unterbringen ließe.

Auch wenn es wohl Schwerstarbeit ist, was Letissier da mit ihrem Tanzensemble vor dem Bühnenbild aus Bergkulisse (Bavaria, haha) und schwerer See veranstaltet, auch wenn dahinter eine bis ins letzte Detail verplante Choreografie stecken mag – es wirkt so verteufelt leichtfüßig, so selbstverständlich und locker, wie es wohl nur die Verbindung von Können und Leidenschaft vermitteln kann. Die an Fame oder die Westside-Story erinnernden Tänze, das Auf und Ab mal geschmeidiger, mal wilder Bewegungsabläufe, wie man es schon aus ihren Videos kennt, das Ineinander von Körper, Sound und Gesang ist unglaublich, ist ansteckend. Und makellos – was sicher ein ungewollter Eindruck ist, denn gerade die Akzeptanz des Makels, der Unebenheit, der Anders- und Unartigkeit ist Letissier ja in ihren Liedern ein immerwährendes Anliegen. Jeder ihrer zahlreichen, aktuellen Hits lässt sich von dieser Seite lesen, ob nun „It Doesn’t Matter“, „5 Dols“, „Damn, Dis-Moi“ oder „La Marcheuse“ – sie alle sprechen ein und dieselbe Sprache.

Und sind andererseits natürlich ganz nah bei den Idolen der Zeit verortet, die sie musikalisch offenbar am meisten schätzt: Queen, Michael Jackson, Madonna, sie alle werden mehr oder weniger deutlich zitiert. Sie internationalisieren quasi ein Programm, was ausschließlich in französischer Sprache wohl schwerer möglich wäre (und sicher ein Grund für die konzeptionelle Zweisprachigkeit ihrer Alben ist). Der große Magier (und Vereinnahmer) Pop ist also allgegenwärtig, man nimmt es gern in Kauf, versteht sich prächtig und genießt den Auftritt auf und später auch als szenische Überraschung vor der Bühne. Wenn sich Letissier dann ausgepumpt, mit glücklichen und dankbaren Worten aus dem Publikum von selbigem verabschiedet, dann meint man zu verstehen, was diese Frau so einzigartig macht wie nur wenige vor ihr: Wer die Mühe vorher und die Nähe danach mit solch beseelter Freude auf sich nimmt, kann das nur aus Berufung tun. Und spielt sich so auf direktestem Weg mitten hinein in die Herzen der Zuhörer. Die Brezn gingen am Ende übrigens nicht mal für den halben Preis weg, was als schöne und gerechte Schlusspointe irgendwie auch bestens paßt.


Moderate Rebels: Die letzten Geheimnisse

"Less chords and words; simple and complicated; direct and vague. We have our mottos", so das aktuelle Statement der Post-Punk-Band Moderate Rebels. Klingt ganz nach der Story vom Pudding, dem Nagel und der Wand - nichts genaues weiß man nicht und will's auch gar nicht wissen. Dass es im Leben keine Geheimnisse, keine Mysterien mehr gibt, ist ein oft beklagter Fakt, auch das vielköpfige Ensemble (neun ständige Mitglieder zählt die Kapelle aus London) bedauert das und macht daraus das Thema ihres neuen Songs "Faith And Science", der nach "Beyond Hidden Words" und "I Love Today" dritten Vorauskopplung aus ihrem kommenden Album "Shared Values", das am 30. November via Everyday Life Records erscheinen wird.

Die Nerven: Anhaltende Aufruhr [Update]

Die Nerven
„Fake“
(Glitterhouse)

Manchmal kommt man schon darüber ins Grübeln, warum das denn so sein muß, dass die richtig guten Sachen meistens auch die richtig schwierigen sind. Solche also, die Kopfarbeit einfordern, die anstrengend, unbequem, unnachgiebig sein und einem den letzten Nerv (sic!) rauben können. Das gilt für Bücher, Filme und für die Musik, wo nur nachhaltig bleibt, was Unruhe zu erzeugen vermochte. Eine erschöpfende Antwort ist nicht so schnell zu finden, wohl aber mit dem neuen, vierten Album der Band Die Nerven ein Beispiel zur Untermauerung der These. Einfach zu haben war das Trio noch nie, Max Rieger, Julian Knoth und (später) Kevin Kuhn bewegten sich in ihren Anfangstagen allerdings ein wenig unter dem Wahrnehmungsradar, was vielleicht etwas damit zu tun hatte, daß viele Leute Punk und Stuttgart nicht ganz so einfach übereinander brachten wie beispielsweise Hamburg oder Berlin. So zu tun, als ob die Band gerade einen Überraschungscoup gelandet hat, wäre dennoch ungerecht, denn auch Fluidum, Fun und OUT, ihre bisherigen Platten, waren kleine Meisterwerke. Nur eben weitgehend unentdeckte respektive ignorierte.

Das jedenfalls, soviel ist sicher, wird ihnen nun nicht mehr passieren, denn nachdem sie live seit Jahren schon eine eigene Kategorie definieren (die sie erst kürzlich mit einer phänomenalen Pressung untermauerten), gibt es nun sogar internationale Aufmerksamkeit und Beifall, hierzulande sollte „Fake“ den Durchbruch bringen. Auch oder gerade weil es – siehe oben – wieder ein zorniges, ein aufrührendes Werk geworden ist. Das waren zwar die drei Vorgänger auch schon, doch kommen jetzt zu Wut und Frust noch deutliche Anflüge von Wehmut und Melancholie hinzu. Und eine hörbare stilistische Auffächerung des Sounds, die den musikalischen Nebenschauplätzen von Rieger (All diese Gewalt), Knoth (Peter Muffin) und Kuhn (Karies) Rechnung trägt. Mehr Elektronik also, wenn auch sparsam eingesetzt, mehr Mut zur tragenden Melodie und häufiges Spiel mit Pausen, Rhythmus- und Tempowechseln. Wer unbedingt einen Vergleich braucht, kann in Deutschland möglicherweise bei den Münsteranern von Messer fündig werden.



Leiser wird es deswegen trotzdem nicht. Wenn der Einstieg mit „Neue Wellen“ und „Niemals“ vielleicht etwas gemäßigter geraten ist und eher dem Etikett Post-Punk genügt, wer sich wie Die Nerven entschieden hat, in seiner Arbeit das Gegenwärtige, und sei es auch noch so unangenehm, zu spiegeln (Stichwort: What a time to be alive), der muß wehtun. Und so finden sich natürlich viele beißende Kommentare zum dem, was uns fälschlicherweise als soziales Netzwerk verkauft wird und doch nur eine kalte, künstliche Parallelwelt ist, die gleichwohl die Kraft hat, Leben zu manipulieren und im schlimmsten Falle gar zu zerstören. „Frei“ zeichnet hier ein ebenso düsteres Bild wie der Titelsong „Fake“, es geht um Deutungshoheit und Meinungsmache, um Multiplikatoren und Algorithmen für die Lügen und den Neid, um den ungezügelten Hass auf alles und jeden (und nicht von ungefähr werden beide Stücke von der Band in eine Doppelsingle gepackt). Dagegen nimmt sich der ferngesteuerte Konsumwahn der Jetztzeit („Skandinavisches Design“) fast schon harmlos aus.

Die neuen Töne sind die traurigen, die rat- und auch mal mutlosen. „Wir machen alles falsch, wir machen alles richtig“ heißt es an einer Stelle und natürlich kommt die Frage, ob früher wirklich alles besser, einfacher war. „Kann es nicht gestern sein?“, eines der stärksten Stücke, spinnt den Faden weiter – wo ist sie denn, die Rückrufaktion für diesen Planeten, für diese Gesellschaft, wo jeder meint, alles richtig, alles korrekt machen zu müssen und dann doch nur wegrennt oder eben Amok läuft. Ist das olympische Motto „Dabeisein ist alles“ der einzige Trost, weil wir uns wenigstens als Zeitzeugen für diesen ganzen Irrsinn fühlen dürfen? Doch wem sollen wir berichten, wenn wir staunend inmitten der „Explosionen“ stehen? Diese und andere Fragen provozieren die Songs, es ist ein kluges, schonungsloses, ernüchterndes Werk geworden. Und auch wenn uns die Antworten dazu fehlen – genauer hinzuhören wäre schon mal ein erster Schritt.

Update: Fakenews sozusagen - neues Video zu "Niemals" und Konzertdaten 18/19 en masse.

16.10. Saarbrücken, Sparte 4
17.10. Hamburg, Übel und Gefährlich
21.10. Münster, Gleis 22
23.10. Esslingen, Koma
24.10. Darmstadt, Oettinger Villa
25.10. Düsseldorf, New Fall Festival
01.11. Graz, Orpheum
02.11. Linz, Ahoi Pop Festival
03.11. Wien, Eurovox Festival
17.02. Freiburg, Waldsee
18.02. Karlsruhe, Kohl
19.02. Mainz, Schon Schön
20.02. Essen, Zeche Karl
21.02. Bielefeld, Forum
22.02. Kiel, Schaubühne
23.02. Kopenhagen, Loppen
24.02. Rostock, Mau Club
27.02. Berlin, SO 36
28.02. Nürnberg, Z Bau
01.03. München, Kammerspiele
02.03. Passau, Zauberberg

Sonntag, 14. Oktober 2018

Kristin Hersh: Gute Nachrichten

Kristin Hersh
„Possible Dust Clouds“
(Fire Records)

Man kommt in letzter Zeit (möglicherweise) häufiger zu der Einsicht, daß einem bestimmte Menschen fehlen. Öffentliche Menschen. Menschen, die in den Jahren, die einem noch nicht so dunkel schienen wie die heutigen, wie selbstverständlich da waren, geredet, gesungen, gefilmt, geschrieben haben. Und nun, da man sie bräuchte, fällt auf, daß sie nicht mehr da sind – einfach so. Und zwar nicht, weil sie nicht mehr leben, sondern stumm sind, versteckt, sich zurückgezogen haben. Ihre Wortmeldungen hätten, da ist man sicher, etwas Tröstliches, Vertrautes, etwas, das das Leben in den schwierigen, unsteten Momenten erträglicher machen würde. Michael Stipe ist so ein Mensch. Es gab Zeiten, da erschien in regelmäßigen Abständen ein Album seiner Band R.E.M., nicht jedes ein Meisterwerk, aber immer mit ein paar Songs, die das Zeug dazu hatten, den Alltag aufzuhellen, Gedanken in die richtige Bahn zu lenken, solche Sachen. Die Brücke zu Kristin Hersh ist hier schneller gebaut als man denkt, denn niemand anderes als Stipe hat mit Hersh gemeinsam ihr erstes Soloalbum „Hips And Makers“ aus dem Jahr 1994 eröffnet, „Your Ghost“ heißt der Song und man muß lange suchen, um ein schöneres Duett aus dieser Zeit zu finden.

Kristin Hersh ist im Unterschied zu ihrem damaligen Gesangspartner nie richtig weg gewesen, auch wenn die Pausen zwischen ihren Veröffentlichungen nicht eben klein waren, die ihrer Band Throwing Muses sogar empfindlich groß. Deren letztes gemeinsames Werk datiert immerhin auf 2015, da passt es außerordentlich gut, daß Hersh mit ihrem neuen Solo die wohl beste Muses-Platte seit Jahren abgeliefert hat. Natürlich würde sie das so nie sagen (selbst wenn Drummer Dave Narcizo für einige Stücke im Studio vorbeischaute), aber im Gegensatz zu den vorangegangenen Alleingängen wie zum Beispiel „Wyatt At The Coyote Palace“, einem Opus mit erstaunlichen vierundzwanzig Stücken, ist „Possible Dust Clouds“ erfreulich kurz, knackig und durchgängig rockig geworden. Auch wenn das Covermotiv anderes vermuten läßt – hier ist nicht viel Zeit für behutsame Einleitungen oder besinnliche Momente. Die Gitarren tönen schon ab den ersten Takten von „LAX“ angenehm laut und rau, es scheppert und knirscht wie in den besten Indietagen der 90er. Manchmal kippt der Sound gar etwas ins Psychedelische wie bei „Gin“ oder „Tulum“, das ist etwas ungewöhnlich, aber durchaus reizvoll.

Die wohl wichtigste Komponente aber, die also, die man (siehe oben) auf keinen Fall vermissen möchte, ist sicher Hershs markante Stimme. An Kraft hat sie über die Jahre nichts eingebüßt, so brüchig und verletzlich sie klingt, ist sie dennoch von einer Energie und Intensität, die einem noch immer unter die Haut fährt. Wie sie auf „Possible Dust Clouds“ gegen ihre Dämonen, Ängste ansingt (Hersh litt bis vor kurzem an einer Form Posttraumatischer Belastungsstörung), wie sie versucht, ihren Platz als Mutter, Frau, Freundin und Musikerin zu finden, zu erkämpfen, das ist beeindruckend. Aufgewachsen an der Ostküste der USA, lebt und arbeitet sie seit längerer Zeit in Kalifornien und man kann (nicht nur an der neuen Platte) hören, dass ihr die Gegend gut tut. So gut, dass auch, wie sie Stereogum gerade erzählte, ein weiteres Album der Throwing Muses in Reichweite ist. Es besteht also kaum Gefahr, auf Hersh, auf ihre Stimme, ihre Geschichten in nächster Zeit verzichten zu müssen. Und wer weiß, vielleicht läßt sich ja Michael Stipe davon inspirieren, wir hätten nichts dagegen. https://www.kristinhersh.com/

Run The Jewels: From outer space

Seit letzter Woche im Kino, ist - wie so oft bei einer Marvel-Verfilmung - der Soundtrack fast noch spannender als der Film selbst. Den Titelsong "Venom" von Eminem haben wir bereits gehört und gerade ist auch noch "Let's Go (The Royal We)" online gegangen, den Run The Jewels beigesteuert haben.

Freitag, 12. Oktober 2018

Slaves: Auf den zweiten Blick [Update]

Slaves
„Acts Of Fear And Love“
(EMI/Universal)

Auf die Frage, welche denn nun die schwierigste Platte ist und warum, gibt es wohl die verschiedensten Antworten. Vielleicht die erste, weil man mit dem raus muss, was vorher nur die engsten Freunde im Probekeller gehört haben und die Angst vor der Blamage oder, noch schlimmer, vor der kompletten Missachtung einfach riesig ist. Die zweite, weil die Zeit der Anerkennung schon wieder vorbei sein könnte und das Lob von gestern so trügerisch wie flüchtig ist. Oder doch die dritte, weil gleich hinter der vermiedenen Blamage die bequeme Wiederholung lauert, der sich nur die wirklich Guten standhaft verweigern. Klar ist jedenfalls, dass es der nicht so schwer hat, der es sich selbst nicht zu einfach macht. Von den Slaves aus Kent gibt es schon zwei Alben und trotzdem noch jede Menge Vorurteile zu hören. Der Independent fasste diese gerade recht treffend mit den Worten zusammen: „All mouth, no trousers“, was ungefähr so viel bedeutet wie „Großes Maul und nix dahinter“. Isaac Holman und Laurie Vincent jedenfalls haben aufgegeben, es allen recht machen zu wollen und um Anerkennung von Fans, Kritik und verehrten Kollegen gleichermaßen zu buhlen – sie sind etwas selbstbewusster, etwas vorsichtiger und wohl auch eine Ecke reifer geworden.



Und genau das hört man „Acts Of Fear And Love“ an: Deutlich kürzer als die beiden Vorgänger, wirken die Songs darauf überlegter, ausgesuchter, reflektiert und bisweilen (siehe Videos) ziemlich selbstironisch. Wütend sind sie natürlich noch immer, aber nicht ausschließlich. Es gibt die punkigen Killer, die mit roughem Gitarrensound loshämmern, den Insta-Wahn geißeln („The Lives They Wish They Had“), in simplen Zeilen politische Statements vom Stapel lassen („Bugs“) oder sich dem allgemeinen Konsum-Irrsinn verweigern („Magnolia“). Aber ebenso akustische Einschübe wie das melancholisch angehauchte „Daddy“, das für Holman und Vincent wie das Fast Forward in der Zeitschleife oder die rechtzeitige Warnung klingen dürfte, desweiteren ein Titelstück, das über die Worte eines Lehrers, die Biografie eines Freundes sinniert und regelrecht nachdenklich wirkt. Oder eben „Chokehold“, obschon laut und schroff, aber mit einem überraschenden Perspektivwechsel, den man den beiden jetzt nicht unbedingt zugetraut hätte. Sie würden, so sagten sie in einem Interview, jetzt andere Musik hören, Elliott Smith, Leonard Cohen, solche Sachen. Ihrem Stil hat das ganz gutgetan. Sie konzentrieren sich auf das Wesentliche, keine überambitionierten Ausflüge mehr in Sachen Rap oder Brazz-Pop. Stattdessen neun Songs, die bestehen können. Klar, daß die spannende Frage nun lautet: Wie es wohl wird – das vierte Album? https://youareallslaves.com/

20.10.  Wien, Szene Wien
21.10.  Berlin, Lido
22.10.  Hamburg, Knust
25.10.  München, Strom
04.11.  Köln, Luxor

Update: Nach dem Schlagzeug-Casting und der Aerobic-Stunde nun ein Mal Wohnung Weißeln mit den Slaves - hier kommt das Video zur Single "Magnolia".



HEALTH vs. Perturbator: Maschinenmusik

Okay, wir hatten mit "Mass Grave" die ziemlich außergewöhnliche Paarung der Industrialrocker HEALTH aus Los Angeles mit der Songwriterin Soccer Mommy. Die Jungs scheinen an derartigen Kombinationen Gefallen gefunden zu haben, denn nun erscheint ein weiteres Joint Venture. Gemeinsam mit dem Pariser Electrokünstler Perturbator haben die drei nun den Track "Body/Prison" veröffentlicht, ein hämmerndes Stück Maschinenmusik.

Donnerstag, 11. Oktober 2018

Adrianne Lenker: Auf der Suche

Adrianne Lenker
„Abysskiss“
(Saddle Creek)

Es gibt nicht viele Alben, die sich lesen und hören lassen wie ein Gedichtband, und es sind natürlich nicht die lauten, sondern die zarten, nachdenklichen Töne, die solches zulassen, die Raum geben für’s Nachschwingen der Worte und Sätze. Kürzlich ist bei Saddle Creek das Debütalbum von Sarah Beth Tomberlin erschienen – das ist so eins, das nachhallt, im Stillen wirkt, das Ruhe ausstrahlt und auch braucht. Auf gleiche Weise tut das auch die zweite Soloplatte von Adrianne Lenker. Eigentlich ist die junge Frau, die mittlerweile in New York lebt, mit ihrer Band Big Thief unterwegs und erst im letzten Jahr hat das Quartett mit „Capacity“ eines der interessantesten, intensivsten Alben der Saison veröffentlicht. Naturgemäß schafft es ja nicht jeder Song auf die Setlist, mancher hat nicht die Qualität, oftmals aber paßt er auch in Stimmung und Sound nicht zum Rest. Lenker tut gut daran, diese Stücke nicht einfach wegzusortieren, sie prüft, wie sie in einem Interview dem Musikportal DIY erzählte, jede Idee, bevor sie zu verblassen droht, ob sie sich vielleicht solistisch weiterverfolgen läßt. Daraus entsteht dann ein lyrisch derart anspruchsvolles, fast ausschließlich mit akustischer Gitarre eingespieltes Werk wie „Abysskiss“.

Zusammen mit Produzent und Musiker Luke Temple und Toningenieur Gabe Wax ist ihr eine überaus zerbrechliche, anrührende und sehr intime Platte gelungen – keine Drums, kaum Schnörkel, nur ein paar spärliche Effekte, Folk der reinsten Sorte. Ohne genauere Details zu kennen oder zu brauchen, geht es um die schönen und die schmerzvollen Erfahrungen, die sie in Liebesbeziehungen gemacht hat. Lenker scheint eine Frau auf der Suche, unentschieden, open minded, dabei aber auch empfindsam und verletzlich: „No one can be my man, no one can be my woman“ singt sie in „From“, an anderer Stelle bekennt sie: „I’m a lot of boy with a lot of nerves“. Ihr anderes großes Thema ist die Natur, Geburt und Tod in ihrer Gleichzeitigkeit, unabänderlich, mal brutal, mal sinnlich: „See my death become a trail and the trail leads to a flower, I will blossom in your sail, every dreamed and waking hour”, heißt es in “Terminal Paradise”, berührende Zeilen, die sie an anderer Stelle, mit verändertem Blickwinkel variiert. Dem Verlust wiederum spürt sie bei “What can you say” mit den Worten nach: “Pray you can find me, I've been busy turning into more transparent, I could look a lot like you” – wie gesagt, eine Sammlung wunderbarer, lebenskluger Verse, die noch weiter klingen, wenn der Song schon zu Ende ist. Gibt es ja heute nicht mehr so oft. https://adriannelenker.bandcamp.com/

23.01.  Berlin, Baumhaus Bar

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Girlpool: Mehr als zwei

Ziemlich überraschend sind da zwei neue Songs von Girlpool, dem Indierock-Duo aus Los Angeles, aufgetaucht, die wir auf keinen Fall vorenthalten möchten. Cleo Tucker und Harmony Tividad haben sich bekanntlich vor einigen Jahren ohne Drummer am Punkrock versucht und sich dabei mit ihrem Album "Before The World Was Big" gar nicht so schlecht angestellt. Auf der Folgeplatte "Powerplant" gab's dann doch ein paar Schläge dazu, Miles Wintner schloß sich den beiden für Aufnahme und anschließendes Touren an. Der Sound ist angereichert geblieben, denn auch die beiden aktuellen Tracks "Lucy's" und "Where You Sink" verfügen über mal analoge und mal digitale Beats. Auskünfte über eventuelle Albumpläne waren bis jetzt noch nicht zu bekommen, man kann also nur hoffen, dass den beiden Stücken noch ein paar mehr folgen.



Lala Lala: Gute Gründe

Lala Lala
„The Lamb“
(Hardly Art)

Es gibt viele Gründe, weshalb man Lillie West sympathisch finden kann. Für den mürrischen, zweifelnden Blick, mit dem sie auf dem Cover ihres zweiten Albums in der Gegend herumsteht. Für ihre oft so schiefe Stimme, mit der sie ziemlich angstfrei ihre Songs begleitet und in der immer ein „Love it or leave it“ im Subtext mitschwingt. Für ihren ersten Song, mit dem sie 2014 auf sich aufmerksam machte – eine herrlich traurig-alberne Slackerhymne namens „Fuck With Your Friends“, in der es um die Gedanken eines Teenagermädchens geht, das nicht ganz so smart und selbstsicher daherkommt wie es vielleicht wollte, und um Langeweile, Sex und Zigaretten. Nicht nur dieses Stück ist wunderbar, das ganze Debütalbum „Sleepyhead“, das zwei Jahre später erschien, klingt so verschroben und verworren und liebenswert wie das, was Heranwachsenden durch den Kopf geht und verdient deshalb den (noch auszulobenden) Übersetzerpreis der begriffsstutzigen Ü20-Generation called: Erwachsene.



Ihr Leben ist nicht eben einfacher geworden, so liest man, die Band, der sie nun vorsteht, gibt West den nötigen Halt, um mit Paranoia, Depression und Unglücksfällen im Freundeskreis klarzukommen. Der eigenwillige Name erinnert da fast an das Bild eines verstörten Kindes, welches sich aus Angst die Ohren zuhält und trotzig, laut vor sich hinsingt. Doch mögen ihre Themen ernst und grüblerisch sein, die Töne dazu sind von bestechender Schönheit. Magischer Glanz, den die Gitarren in „Dove“ und „Water Over Sex“ erzeugen und den man von The XX oder, wie beim späteren „Copycat“, von Interpol kennt. An anderer Stelle rough und crispy, abgebremster Surfsound, klug verbastelter LoFi-Synthrock – so etwas bringt nicht, wer kein Gefühl für Harmonien oder aber die Sehnsucht danach hat. Ganz am Ende, da überrascht uns West mit einem Saxophonsolo, so soft, so 90er, daß es unmittelbar im Ohr schmilzt. Anders als ihr Einstieg vor vier Jahren, anders gut. Und definitiv eine Frau, die man im Blick behalten sollte. https://www.lalabandlala.com/

26.02.  Köln, Bumann und Sohn
04.03.  Hamburg, Aalhaus
05.03.  Berlin, Monarch

Deafheaven: Programmänderung

Deafheaven
Support: Inter Arma
Kranhalle, München, 9. Oktober 2018

Das ist ja gerade das Schöne an einer Band wie Deafheaven. Dass man während eines Konzertes nicht nur ordentlich den Schädel vertrimmt bekommt, sondern auch noch genügend Gelegenheit hat, Feldstudien zu ihrem außergewöhnlichen Status zu betreiben. Bekanntlich bedient die Blackgaze-Formation aus San Francisco nur wenige der gängigen Klischees der Schwermetall-Szene – angefangen bei der außergewöhnlichen Gestaltung ihrer Tourposter, Plattenhüllen und Merch-Shirts (sogar eines mit Sonnenblumen ist jetzt im Sortiment) bis hin zum markantesten Unterschied, der Vermischung infernalischen Krachs mit zarten Shoegazing-Melodien. Und so finden sich im Publikum auch an diesem Abend neben den üblichen Morgoth- und Cannibal-Corpse-Hoodies erstaunlich viele Hipsterbärte und Basecaps, selbst Barbour- und Steppjacken werden gesichtet, deren Träger im Normalfall vom ultraorthodoxen Puristen anssatzlos aus dem Saal geschmissen würde. Nicht so hier, dafür ist der Sound dann doch zu ungewöhnlich. Nach der Tour zum doch recht düsteren „New Bermuda“ vor zwei Jahren, auf der sie noch im etwas größeren Nachbarsaal des Münchner Feierwerks auftraten, durfte man gespannt sein, wie die aktuelle Platte „Ordinary Corrupt Human Love“ live funktionieren würde.



Neben dem fast schon balladesken Duett zusammen mit Chelsea Wolfe („Night People“) finden sich dort erstaunlich viele Gitarrenriffs konventioneller Machart, alles wirkt etwas lichter und kontrastreicher. Die beiden Gitarristen Kerry McCoy und Shiv Mehra haben augenscheinlich viel Spaß an den neuen Texturen und haben für die acht Stücke des Abends so etwas wie eine Bühnenchoreo erarbeitet. Was soviel heißt, als daß sie sich etwas bewegen können und zwischendurch sogar als Backgroundchor Dienst tun – keine ganz gewöhnliche Sache. Unverändert dagegen Sänger George Clarke – die Gesten sind sparsam, das jetzt längere Haupthaar wirbelt verschwitzt durch die Gegend und sein weidwundes Gebrüll geht einem noch immer durch Mark und Bein. Ein paar Worte nur ans begeisterte Publikum (von dort reckt jemand zur handelsüblichen Pommesgabel tatsächlich ein halbvolles Weinglas (!) in die Höhe), wobei die Grußadresse an München recht emotionsarm ausfällt und der Hinweis, das gut zehnminütige „Glint“ vom neuen Album spiele man hier zum ersten Mal auf der Tour, schlicht gelogen ist. Egal, Ausnahmestellung bestätigt, Ohren taub – Abend gelungen.


Freitag, 5. Oktober 2018

Eminem: Freaky

Schon jemand gefragt, warum hier nichts zu "Kamikaze" stand, dem neuen Album von Eminem? Berechtigte Meldung. Einfach verpasst? Vielleicht. Others peoples business. Auch. Fest steht jedenfalls, daß nicht das geklaute Beastie-Boys-Cover das Spannendste an der Platte ist, sondern tatsächlich die Musik. Denn Marshall Mathers aka. Slim Shady ist mit der Platte ein ganz und gar beeindruckendes (ähh) Revival gelungen, packend, hart, politisch, ja virtuos. Allein die drei Singleauskopplungen, die hier anstelle von mehr Text stehen, sprechen für sich - also "Fall", "Lucky You (Feat. Joyner Lucas)" und gerade taufrisch geteilt der Titelsong zur Marvel-Verfilmung von "Venom". Allesamt ziemlich freaky, aber wir haben von ihm ja gottlob nichts anderes erwartet.