Montag, 15. Februar 2021

Masha Qrella: Der Klang der Sehnsucht

Masha Qrella
„Woanders“

(Staatsakt)

Doch, man hätte es irgendwie schon gern gewusst. Wie er es denn findet, das neue Gewand, in das seine Gedichte gekleidet wurden. Fragen kann man ihn ja leider nicht mehr, Brasch ist tot, kein Freispiel drin. Aber nur, weil die Schwester Marion, die Musikerin selbst und auch wir es gut und gelungen finden, heißt das ja noch nicht, dass Thomas Brasch, unbestritten einer der größten Poeten der deutschen Nachkriegsjahre, Gefallen daran gefunden hätte. Weil Pop ein Vereinnahmer und Vereinfacher sein kann, weil Gedichte vielleicht an Schärfe und Dringlichkeit verlieren, wenn sie zu tanzen beginnen. Aber die Dinge passieren eben nicht zufällig, sie finden einander vielmehr und so kommt es nicht von ungefähr, dass das Familienporträt „Ab jetzt ist Ruhe“, geschrieben von der Schwester des Dichters, eben Masha Qrella vor Jahren in die Hände fiel und dessen Worte haften blieben, Eindruck machten. Und zwar noch vor dem eigentlichen Werk des Dichters selbst. Es ist die Biographie, die Qrella beschäftigt, es sind die Brüche, auch die Tragik dieser Familie, die sie faszinieren und bei der Sache bleiben lassen.



Qrella war um die vierzehn, als der eine deutsche Staat dem anderen überschrieben – nicht wenige behaupten: einverleibt – wurde, sie hat die Dramatik um diese Historie vielleicht nicht aller Schärfe, aber doch wachen, heranwachsenden Geistes miterlebt. Und sie weiß wohl, wie es war, nach der anfänglichen Freude schnell zu gegenwärtigen, dass der eigene Lebenslauf, wenn man von der falschen Seite kam, nur noch die Hälfte wert war, Erfahrungen nicht mehr zählten und wenn doch, dann nur als schmückendes, exotisches Beiwerk beim Themenabend in der Stadtteilbibliothek. Kein Wunder also, dass dieses Album heißt, wie es heißt – „Woanders“. Denn hier übernimmt Qrella eines der Themen zum Titel, die Brasch selbst stets umtrieben, die seine eigene Vita maßgeblich prägten: Die Sehnsucht nach dem anderen Ort, dem anderen Leben, die ihn vorwärtstrieb, nicht zur Ruhe kommen ließ, die Suche nach dem Ausweg aus Fremdbestimmung, Enge, Tristesse und grauer Freudlosigkeit. Die ihn letztendlich Mitte der Siebziger aus dem eigenen Land jagte, weg von der Familie, weg aber auch vom Vater, der ihn verriet. Auf die andere Seite, wo er alles durfte und doch nichts galt, die ihm keine Heimat sein konnte und wo er anschrieb gegen die arrivierten Platzhirsche des Kulturbetriebs.



Schaden kann es nicht, wenn man beide Seiten kennt: Die früh befreite, doch oft so satte und bequeme und jene, die sich zu lange duckte und dann doch die greisen Funktionäre zum Teufel schickte. Und deren Hoffnung am Ende an der Realität zerbrach. Brasch-Momente, allesamt. Festgehalten in seinen Gedichten, von denen Qrella nun einige für die siebzehn Songs dieses Album vertont hat und die sie schon 2019 als Performance für das Berliner Haus Hebbel Am Ufer (HAU) mit Band und Gästen (Dirk von Lowtzow, Chris Imler u.a.) uraufführte. Dass das alles dort und auf Platte so beeindruckend funktioniert/e, hat neben der besagten persönlichen Parallele noch andere Gründe: Qrella wechselt, hier ein logischer Schluss, für den Vortrag wieder zur deutschen Sprache, ihr weiches Timbre und der warme, sparsam modulierte Sound tun ein Übriges für die Tiefenwirkung. Und weil sie Braschs Worten mit Bedacht Raum und Zeit zum Schwingen gibt, weil sie vorsichtig, vielleicht sogar ein wenig ehrfürchtig agiert, kommen die Zeilen ans Klingen, Vibrieren, Nachhallen.

Es sind meistenteils sehr sanfte Lieder, die sie um den Text geschrieben hat, selten einmal wie bei „Geister“ oder „Maschinen“ (gesungen mit Andreas Spechtl/Ja, Panik) werden die Beats fordernder, lauter. Das wunderbare Stück vom „27. September“ erinnert in seiner Zartheit, bewusst oder unbewusst, an den oft unterschätzten, feinfühligen Klang des Ostrocks der 70er und 80er Jahre, damals Trost, heute Nische, immer Flucht. Besonders eindrucksvoll die Zuarbeiten des Berliner Elektro-Duos Tarwater für „Haut“ und „Märchen“, ersteres gerät so ungewohnt experimentell, in letzterem übernimmt Marion Brasch selbst das Rezitativ: „Wer schreibt, der bleibt, hier oder weg oder wo – wer schreibt, der treibt, so oder so.“ Just am 19. Februar, dem Tag der Veröffentlichung von „Woanders“, jährt sich der Geburtstag von Thomas Brasch, Masha Qrella hat ihn mit diesem Album wieder ein Stück weit in die Erinnerung zurückgeholt. Und wer danach zu seinen Gedichten oder der besagten Autobiografie greift, die/der tut sicher das Richtige, nur eben in umgekehrter Reihenfolge. Entscheidend ist aber nicht immer nur das „wie“, sondern manchmal auch das „ob“.

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