Freitag, 19. April 2019

Fat White Family: Ambition mit Hirn

Fat White Family
„Serfs Up!“
(Domino Records)

Das eigentlich Erstaunliche ist ja der Umstand, dass es ein drittes Album der Londoner Band überhaupt gibt. Im Zuge der Veröffentlichung von „Serfs Up!“ kamen die Brüder Lias und Nathan Saoudi nicht umhin, im Auftrag ihres neuen Label etwas Promotion zu betreiben, sie plauderten also ein wenig über vergangene Zeiten, vor allem über die nach Fertigstellung des Vorgängers „Songs To Our Mothers“ und man mußte nicht groß zwischen den Zeilen lesen können, um zu erfahren, dass es in dieser Zeit nicht gut um die Geschicke der fetten Familie stand. Drogenexzesse, Streitereien, Rausschmisse, die Post-Punk-Formation, die bis dahin keiner Provokation aus dem Weg gegangen war, sah sich plötzlich mit existenziellen Problemen konfrontiert, nichts ging mehr. Doch sie haben sich nach einigen Irrwegen zusammengerauft, sind in ein kleines Studio nach Sheffield gezogen, wo die Ablenkung der Megacity London beim besten Willen nicht zu haben war. Man nennt das wohl Konzentration auf das Wesentliche und sie haben sich wirklich bemüht, doch erst als Saul Adamczewski wieder mit an Bord und für das Saxophon Alex White gewonnen war, war kreative Kern beisammen, der das neue Album prägen sollte.



Und das ist erstaunlich abwechslungsreich geworden. Nicht im Sinne einer allzu leichten Verdaulichkeit, aber für ihre Verhältnisse experimentieren die Fat Whites mit einer Vielzahl an Stilen und Soundelementen, lassen Pop, Funk, Jazz und Dub mit Finesse und Verstand ineinanderfließen. Mehr als zuvor spielt Nathan Saoudis Keyboard eine (jetzt gleichwertige) Rolle, kommen zudem jede Menge neue Instrumente und Effekte zum Einsatz und vermitteln so den Eindruck, man habe sich diese neue Variabilität als eines Art Bibelspruch über die Studiotür genagelt. Der Opener „Feet“ eröffnet als dunkel pumpender Dancetrack mit anschmiegsamem, souligem Klang, bevor die hinzugekommenen Streicher kratzenden Gitarren das Feld räumen müssen, darauf folgen Synthrock-Mashups, smoother Barjazz, Psychgitarren und zarte Kammermusik. Mal zuckt es wild und unentspannt, mal bestimmen lässig swingende Westernmelodien das Bild, Bläser ertönen und selbstverständlich darf auch ein Engelschor nicht fehlen.



Die Provokationen sind auf „Serfs Up!“ eher zurückhaltend, subversiver platziert, Herr Goebbels muß diesmal draußen bleiben, dafür streichelt Kim Jong-Un zärtlich den roten Raketenknopf („Kim’s Sunsets“), gibt’s versteckte Anspielungen zu falsch verstandener Maskulinität (wie bei den heillos zerstrittenen Kollegen Idles und Sleaford Mods das große Thema also auch hier), Gewalt und Sexualität wiederum mischen sich bei „Feet“ zu skurrilem Kopfkino. Einen schönen Satz zum veränderten Ansatz und sein Vorbild Jean Genet hat Lias Saoudi gerade dem Netzportal The Quietus diktiert: „Genet war der lyrische Grundstein für dieses Album. Es gibt bei seiner Art zu Schreiben ein Element, bei dem du dein Hirn einschalten mußt, sonst bleibt alles ohne Sinn. Du musst dich darum bemühen. Vielleicht ist das anmaßend, aber etwas Ähnliches auf einem Pop-Album zu machen, war eine Sache, die ich gern versuchen wollte." Oder aber man bricht seine Einstellung auf ein paar einfachere Worte herunter, wie es sein Bruder an gleicher Stelle kurze Zeit später tut – ein Satz, der ohne Übersetzung noch klarer kommt: “Our ambition is to not be shit.“ Beides ist ihnen mit dem Album ausnahmslos gut gelungen. https://www.fatwhitefamilymusic.com/

02.06.  Hamburg, Molotow
03.06.  Berlin, Bi Nuu

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