Ja, Panik
„Die Gruppe“
(Bureau B)
Muss es denn immer gleich das ultimative Lockdown-Album sein? Seien wir ehrlich: Wer Andreas Spechtl, einem der klügsten Köpfe des deutschsprachigen Pop der Jetztzeit, unterstellt, er habe mit seiner Band Ja, Panik endlich die langerwartete Platte zur Pandemie gemacht, der begeht im Grunde einen Akt der Rufschädigung. Denn diese Behauptung unterschlägt, dass Spechtl politische Unwuchten, die mit menschlichen Tragödien, mit zunehmender Vereinsamung, konsumistischer Verblendung und medialer Verirrung einhergehen, schon in den Jahren zuvor mal mehr, mal weniger deutlich zum Thema seiner Songs gemacht hat. Die Welt geht schließlich nicht erst seit vergangenem Jahr vor die Hunde, sie tut dies schon sehr lange. Das Virus wirkt eben nur, wie der Burgenländer kürzlich sagte, als ein Brandbeschleuniger unseres eigenen Scheiterns. Natürlich ist von verlorenen Geisterstädten die Rede, von zunehmender Düsternis, Apokalypse, Endzeitstimmung – alles Dinge, die wir gerade mehr als sonst mit unserem Alltag in Bezug setzen müssen, die wir plötzlich nicht mehr nur aus dem Arthouse-Kino kennen, sondern am eigenen Leibe, in der eigenen Familie, gleich nebenan und rund um die Uhr miterleben.
Das rührt an den Grundfesten unseres Selbstverständnisses, fragt nach dem Sinn und Unsinn des Mühens, wird grundsätzlich, ja – stellt die Systemfrage. Nach den Auswüchsen des Neoliberalismus und Superkapitalismus, der immer schneller dreht und uns nur deshalb kurieren will, um sich selbst am Laufen zu halten („The Cure“). Spechtl nimmt hier die direkte Verbindung zu den Theorien des britischen Autors Marc Fisher auf, dessen Bücher er, wie er sagt, mit großem Interesse gelesen hat. Vieles, was Spechtl in den Songs auf „Die Gruppe“ spiegelt, ist existenzialistisch, stellt grundlegende Fragen. Die nach der Rolle des Menschen beispielsweise als Vereinnahmer, Besitznehmer und letztlich Zerstörer, den die Natur nicht braucht, um fortzubestehen, der nur eine Fußnote im Großen, Ganzen ist („Memory Machine“). Der Mensch, der sich selbst und anderen ein andauerndes „Gift“ ist, unfähig, die Dinge zu einem guten Ende zu bringen, der sich in Parallelwelten flüchtet ("On Livestream") und die Verbindung zur Realität zugunsten von leicht verdaulichen Trugbildern zusehends aufzugeben bereit ist.
Und natürlich spielt auch die Vergangenheit, die Sozialisation der Kindheit eine gewichtige Rolle. Mal als melancholische Rückschau wie in „1998“ („I was a country boy, afraid to go online, all alone for the first time…“), mal die Erinnerung an den Jungen, der Trouble sucht, ein „Tunichtgut, ein bockiges Kind, eins, das gern schreien tut“ – zwanzig Jahre ohne „BackUp“, herausgekämpft aus der Isolation und Verlorenheit des Heranwachsenden. Schöne, dunkle Poesie, ins Szene gesetzt von wunderbaren Tönen – das Album kommt mit zahlreichen flirrenden Saxophonpassagen, mit zartem Gitarrenpicking, pochenden Drums und vereinzeltem Feedback daher. „The Cure“ erinnert mit seinem reduzierten Hall auf’s Schönste an den Sound von The Jesus And Mary Chain, „BackUp“ zitiert verwegen die Proclaimers – all das nimmt der Platte etwas von der Schwere, mit der der bloße Text einem wohl auf’s Gemüt drücken würde. Mehr als ein würdiger Nachfolger für „Libertatia“, das einem vor sieben Jahren schon groß erschien. Das hier ist größer.
24.10. Leipzig, Conne Island
25.10. München, Strom
26.10. Wien, Flex
28.10. Salzburg, ARGEkultur
29.10. St. Gallen, Palace
30.10. Schorndorf, Manufaktur
31.10. Offenbach, Hafen 2
01.11. Köln, Gebäude 9
02.11. Hamburg, Uebel und Gefährlich
04.11. Berlin, Festsaal Kreuzberg
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