Nick Cave And Warren Ellis
„Carnage“
(Goliath Records)
Es gibt wahrlich nicht viele Künstler wie Nick Cave. Auf der einen Seite schreibt der Mann seit über vierzig Jahren mit bemerkenswerter Konstanz Songs, die man zum besseren Verständnis allesamt auf einem zerstörungssicheren Tonträger den Wesen hinterlassen möchte, die uns Menschen dereinst, wenn wir den Planeten endgültig in Grund und Boden gewirtschaftet haben, folgen werden (der einzige Grund, warum sie 1977 auf den sog. Voyager Golden Records keinen Platz fanden, muss die mangelnde Verfügbarkeit gewesen sein). Songs sind das von erhabener Schönheit, von sakraler Anmut, Songs mit einer Schwärze, die mitsamt ihrer Wut, ihrem Schmerz und ihrer Erosionskraft direkt dem Hades entrissen scheinen. Zugleich ist es Cave (trotz oder wegen der persönlichen Schicksalsschläge) aber auch gelungen, nahbar zu bleiben. Nicht als joviale Plaudertasche in den Netzwerken – er hat mit seiner Seite The Red Hand Files einen ganz eigenen Weg gefunden, einen, den er noch dazu selbst gut kontrollieren kann. Cave antwortet dort auf die Fragen zumeist junger Fans und er tut dies mit einer Lebensklugheit, einer Herzenswärme und Klarheit, die man sich selbst oft wünscht, wenn der eigene Nachwuchs mal wieder mit unsicherem Blick in der Tür steht.
Unvergessen aber auch, wie er einem Anhänger, der sich über das Aussehen anderer Besucher*innen auf Caves Konzerten ziemlich abschätzig äußerte und der irrigen Annahme war, den Künstler auf seiner Seite zu haben, in aller Unmissverständlichkeit mittteilte, dass dieser selbst ein ausgemachter Idiot sei. Tröstlich eben, wie gesagt. Der Australier scheint einen beneidenswerten inneren Kompass zu haben, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun und zu sagen. Auch deshalb waren leiseste Zweifel daran, die mehrfach verschobene Welttournee zugunsten einer neuen Platte abzusagen, völlig unangebracht. Denn Cave wusste wohl, was uns erwartete. Dass er für sein aktuelles Album dann nicht die volle Besetzung der Bad Seeds an die Instrumente rief, sondern „nur“ seinen kongenialen Partner Warren Ellis, spielt dabei nicht so die große Rolle, ohnehin ist die Klangfülle von „Carnage“ auch so schon beeindruckend groß.
Was die beiden Herren hier an Klangvielfalt hervorgezaubert haben – man kann es nicht anders benennen – ist bemerkenswert. Allein der Einstieg „Hand Of God“: Mit ein paar Takten am Harmonium machen uns Cave und Ellis glauben, es handele sich um eine Art Verneigung vor der morbiden Liedkunst von Nico, gleich darauf fällt die Struktur jedoch in sich zusammen, es folgt ein Dancebeat, wie man ihn so kaum erwarten durfte. Das Stück pulsiert, Stimmen werden verfremdet und geloopt, einzig die elektrifizierten Tracks von Grinderman fallen einem da als Vergleich ein. Später werden noch Backgroundchor und dramatische Streicher ergänzt – eine erste Überraschung. Die ist auch „Old Time“ gleich im Anschluss, denn hier hat man den Eindruck, Cave habe zu einem Zeitsprung durch die 80er und 90er angesetzt, so sehr erinnern die hypnotischen Klänge, die kratzigen Gitarren an den dürren Goth und seinen Höllenblues, an „Tupelo“ oder „The Carny“ (und mit „By The Time I Get To Phoenix“ folgt dann auch gleich noch das passende Zitat).
Natürlich werden wir den alten Cave niemals zurückbekommen, er singt es uns in anderem Kontext ja auch höchstselbst: „Just like the old time, just like old time, baby, and I'm not coming back this time, ah, like the old days, darling, like the old days, I'm not coming back this time.“ Was dagegen folgt, sind Choräle und Gospelgesänge, sind die bösen und brutalen Gewaltfantasien verbitterter alter Männer, die sich um ihre Vormachstellung und um ihre Ansprüche geprellt sehen („White Elephant“), sind traurig sehnsüchtige Erinnerungs- und zarte Liebeslieder. Cave wird gleich mehrmals zum Beobachter auf dem Balkon, in den Schmerz von „Ghosteen“ (2019) mischen sich jetzt etwas Milde und Distanz, aber auch Leere und Loslösung, am eindrucksvollsten ins Szene gesetzt bei „Shattered Grounds“. Vielleicht doch noch ein Zitat aus seinen eingangs erwähnten Antworten, hier zum Zustand unserer Welt: „The world is not only very good, it is perfect - so wholly perfect that it has the capacity to hold within it profoundly imperfect things. It is a masterpiece folded around an essential and energising flaw - our humanity.”
Freitag, 26. Februar 2021
Nick Cave: Allmähliche Loslösung
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