Samstag, 6. April 2019

Westbam: Länger haltbar

Westbam
„The Risky Sets“
(SPV)

Der schönste Satz steht dann tatsächlich am Schluss des Gesprächs: Die Süddeutsche Zeitung hat gerade (altersgerecht möchte man meinen) den großen Techno-Onkel Maximilian Lenz, hauptsächlich bekannt unter seinem Pseudonym Westbam, interviewt und abseits der lustigen Tatsache, dass man manchen DJ ohne sein furchterregenden Künstlernamen auch problemlos hinter einer Penny-Kasse oder in einer kleinen Autoschrauberbude vermuten würde (so auch Josef Geier, zur Hölle nochmal), spricht der gebürtige Münsteraner einige hübsche Dinge an. Er sagt zum Beispiel, dass er öfter von jüngeren Kollegen gefragt werde, warum um alles in der Welt er noch Platten aufnehme, wo doch heute alles in der Wolke zu haben sei. Wohl genau eben deshalb. „Diese Kids denken komplett gastronomisch, nur in Party und Promotion. Trotzdem glaube ich, dass ich noch einen guten Beitrag leisten kann. Ich möchte etwas erzählen und da reicht es eben nicht, mal kurz einen Track zum Download freizugeben.“ Das allabendliche Scheibendrehen (so überhaupt noch welche verwendet werden) ist tatsächlich ein sehr flüchtiges Geschäft und kann man es dem Mann nicht verdenken, dass er gern etwas vorweisen möchte, das nicht nur für den Moment, sondern für die – naja, Ewigkeit ist vielleicht ein zu starkes Wort, sagen wir mal, etwas mehr Haltbarkeit hat.



Das ist ihm 2013 schon einmal gelungen, da hat er seine Sammlung „Götterstraße“ veröffentlicht und auf eine Art und Weise die 80er gefeiert, dass es einem beim Tanzen fast die Freudentränen in die Augen getrieben hat – ein wirklich großartiges Vermächtnis, mit an Bord damals Größen wie Richard Butler, Bernard Sumner, Iggy Pop, Brian Molko und Inga Humpe. Und auch Kanye West und Lil Wayne, fast schon ein Vorgriff also auf seinen zweiten Rundumschlag, diesmal mit Paten des Hip Hop der letzten Jahrzehnte. Da hat sich also Lenz Leute wie Wiz Khalifa, Kendrick Lamar, Drake, Tyler The Creator und Busta Rhymes ins Studio geholt, mutmaßlich nicht persönlich, sondern per USB-Stick im Briefumschlag (oder jedenfalls so ähnlich), das geht ja heute alles ziemlich körperlos vonstatten. „The Risky Sets“ ist dann auch im Unterschied zum Vorgänger kein ausgesprochenes Song-Album geworden, wo der Techno als gleichrangiger Partner agierte – hier war mehr als zuvor der DJ gefragt, um die gelieferten Loops, Sprachsequenzen und Reime an die richtige Stelle zu packen, um den draufloswummernden Flow nicht zu brechen, sondern eher anzuschieben. Das funktioniert größtenteils ganz prächtig, auch wenn die Stücke in der Masse vielleicht etwas erschlagen.



Erfreulich: Es ist weder ein Techno-, noch ein Rapalbum geworden, sondern eine durchaus unterhaltsame Mischung aus beidem und vielem mehr, die Tracks funken, stampfen, wippen wunderbar, hier wird nichts mit den befürchteten drei „K“ geschrieben, stumpf teutonisches Beatgeballer sucht man vergebens. Stattdessen überall ausgesuchte Zutaten – Jericho-Tröten im Opener „Machine Gun Mantra“, glockenhelle Trompeten für „Way Up“, bei „We’re From Uptown“ noch ein paar Balkanklänge obendrauf, passt. Die schönste Idee der Platte kommt mit „No Facebook“, einer Aufzählung aller technischen Hilfs- und Kommunikationsmittel, die es zu Glanzzeiten eines Afrika Islam, eines Afrika Bambaataa oder von Erik D. Clarke (und also auch Westbam) noch nicht gab – und dennoch hatten sie Erfolg. „No technical nothing!“, aus heutiger Sicht fast unvorstellbar. Dazu passt dann auch das selbstbewußte Statement, das Lenz an den Schluß des besagten Interviews stellt: „Ich habe als DJ im Moment die Zeit meines Lebens. Den 18- und den 28-jährigen Westbam könnte ich locker an die Wand spielen, DJing ist eine Erfahrungswissenschaft.“ Wer wollte ihm das nicht gönnen?

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