Sonntag, 3. Mai 2020

Jessie Reyez: Liebeswut

Jessie Reyez
„Before Love Came To Kill Us“
(FMLY)

Nicht dass diese Platte derlei Namedropping nötig hätte. Aber die Tatsache, dass David Byrne, ausgewiesener Musikkenner aus Gründen, das Debüt von Jessie Reyez gleich mit mehreren Titeln auf seine Radioplaylist setzt, unterstreicht nur noch einmal, was für eine Ausnahmekünstlerin da auf den Plan getreten ist. Nicht wenige werden die gebürtige Kanadierin mit kolumbianischen Wurzeln erstmals mit der Veröffentlichung ihrer grandiosen EP „Kiddo“ wahrgenommen haben und im Grunde war diese 12“ schon eine Art Kurzfassung dessen, was sie jetzt in ganzer Breite ausspielt und was mit RnB nur sehr vereinfachend umschrieben ist. Denn Reyez mischt zu diesem auf ihrer Platte gekonnt noch eine Vielzahl anderer Stile - Hip-Hop, Dancehall, Blues, Afropop und ab und an eine herzzerreißende Ballade. Neben ihrem Selbstverständnis als Künstlerin befaßt sie sich thematisch vor allem mit dem der Frau und es wird ziemlich schnell klar, dass man besser nicht derjenige sein möchte, der von ihr verlassen wird oder, noch weniger empfehlenswert, diesen Schritt zuerst tut.



„I should have fucked your friends, it would‘ve be the best revenge“ singt sie gleich zu Beginn des Albums mit ihrer markant brüchigen Stimme (die dennoch im Stande ist, mehrere Oktaven zu überspringen) und weiter: „I'm sick with feeling like I deserved better, and you're sick for everything you did to me, it was a setup, and I should Goodfella you, call me Karen, waking up to my Beretta. If I blow your brains out, I could guarantee that you'll forget her, if I blow your brains out, I could kiss it better.“ Wer solche Verse an den Anfang stellt, will Klarheit schaffen, Beziehungsarbeit nennt man das wohl und Reyez nimmt die verdammt ernst. Sie mimt die Wölfin im Schafsfell, wenn sie mit sanfter Stimme bei „Intrudes“ davon singt, dass sie mit ihrer gnadenlosen Liebe alles aus dem Weg räumen wird, was sich ihr in den Weg stellt, sollten Zweifel an der richtigen Wahl aufkommen, so schafft sie diese mit „Ankles“ schnell und kompromisslos aus dem Weg. Und selbst ein „shity breakup/heartache“-Song wie das leidenschaftliche „Coffin“ (mit Eminem) läßt keine Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen, den Sarg für zwei hat sie ja, siehe Coverfoto“, soweit schon fertig.



Wunderbar und anrührend, wie sie zwischen den einzelnen Songs die Stimmungen und Klangfarben wechselt – sie sei als Künstlerin, so sagte sie kürzlich der New York Times, schon immer jemand gewesen „to want to yell and love at the same time.“ Dazu gehören, wie gesagt, auch die vielen Balladen („Kill Us“, „Love In The Dark“, „Figures“), aber eben auch „Dope“, ein furioser Dancetrack mit Breakbeats und Punchlines en masse. Und natürlich „La Memoria“, das einzige spanischsprachige Stück auf dem Album. Vordergründig geht es dort um die Trennung vom gewalttätigen Ex, grundsätzlich aber um ihr lateinamerikanisches Erbe: „It’s in my face, it’s in my blood, it’s in my dark hair, it’s in my brown skin,” konstatierte sie im gleichen Interview. “It’s in the way that my soul lifts up when I hear Colombia. It’s in the way that I hug my mom. My parents purposely kept me connected to our roots, our blood.” Eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Platte, energiegeladen, vielseitig, selbstbewußt, nachdenklich, auch verletzlich und offensichtlich mit ganz viel Herzblut entstanden. Und nach 070 Shake die zweite dicke Überraschung des Jahres.



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