Montag, 25. Juni 2018

Lily Allen: Try to be Mensch

Lily Allen
„No Shame“

(Parlophone)

Es ist ja beileibe nicht das erste Mal, dass Künstler ihre privaten Schicksalsschläge, insbesondere Trennungen, als Quell für Inspiration und Kreativität nutzen. Gerade weil das Leben prominenter Zeitgenossen mehr und mehr in der Öffentlichkeit und unter den wachen, nicht selten gierigen Augen sozialer Netzwerke stattfindet, ist der Grad zwischen bereitwilliger und erzwungener Teilhabe ein sehr schmaler. Grabenkämpfe, Rosenkriege, Scheidungsdramen, ein oder zwei Songs fallen immer dabei ab. Wohl dem, der ohne auskommt oder zumindest das Heft des Handelns noch in eigenen Händen hält. Insofern ist Lily Allen keine Ausnahme, sondern eher ein mahnendes Beispiel dafür, wie unbarmherzig und gefräßig der Boulevard ist, hat man ihn einmal angefüttert. Zeit ihrer wechselvollen, im Teenageralter gestarteten Karriere stand sie im Fokus der Klatschpresse und mußte sich dort, einem Ausstellungsstück gleich, bis in die intimste Privatsphäre hinein anstarren lassen.

Kurz: Selbst wenn man jugendliche Naivität plus Verführbarkeit abzieht – dass Allen heute noch Musik macht, ist eher ein Wunder, sie hätte Gelegenheit und Grund genug gehabt, an ihrer Lebenssituation zu zerbrechen. Und macht doch dies: Ein Album, das alles in einem ist, Abrechnung, Beichte, schonungslose Analyse, angefüllt mit Trotz, Wut, Selbstzweifeln, Liebesschwüren und neuer Hoffnung. So konsequent hat nicht einmal Björk ihr Beziehungsleben vor dem Zuhörer ausgebreitet (und selbst deren letzte Werke „Vulnicura“ und „Utopia“ waren in dieser Hinsicht schon ungewöhnlich offen). Gleich mit dem ersten Track „Come On Then“ gibt Allen Takt und Thema vor: „Yeah, I’m a bad mother, I’m a bad wife, you saw it on the socials, you read it online, if you go on record, saying that you know me, then why I’m so lonely, ‘cause nobody fuckin‘ phones me“ – viel drastischer kann man eine Ansage kaum formulieren, viel klarer kann eine Richtungsangabe kaum ausfallen.



Wenn sich die ersten, ziemlich lässig und locker geratenen Songs des Albums noch nach unbeschwerter Vergangenheitsbewältigung anhören, nach coolem Rap ("Trigger Bang“), Afropop („Your Choice“), nach dem Reggaesound  ihrer frühen Jahre („What You Waiting For“), so bremst sie danach für längere Zeit spürbar ab, Balladenklänge, Piano, Streicher, es wird schwermütig, nachdenklich, düster. Fast scheint es, als wolle Allen ihre gescheiterte Beziehung aus jedem nur möglichen Blickwinkel betrachten (lassen), um sich nur ja nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie hätte nicht alles bedacht. Selbstzweifel und Depression nagen an ihr („Lost My Mind“/„Apples“), die Familiengeschichte wird zu Rate gezogen und selbst dem „Family Man“ (obgleich er keiner war) ein souliges Klagelied gesungen, kein Abgrund, den sie nicht benennt („From up and down, and down to up, sex, alcohol and drugs, it's a long way off amazing“/„Everything To Feel Something“), am Rührendsten wohl das fast ängstliche Klammern an ihre beiden Töchter („Three“).

Erst gegen Ende findet Lily Allen zum Beat, zur Gelöstheit, zur Selbstsicherheit zurück. „Waste“ zusammen mit der britischen Dancehall-Queen Lady Chann kommt als wunderbar knackiger Track daher, bei „My One“ kann sie schon wieder über sich selbst lachen, wenn sie auf der Suche nach dem ultimativen, dem perfekten Partner durch Länder und Städte jettet und ganz am Ende schließt sich der Kreis, wie sie ein letztes Mal über ihre eigene Rolle und die Rolle der Frauen in der Gesellschaft sinniert und reimt: „Don't let anyone ever tell you who you are or can and can't become. So what if it's one in a hundred, who's to say you are not that one? … I don’t see no reason you can’t have your cake and eat it“. Lily Allen war und ist von all den Popstars da draußen noch immer der sympathischste, weil sie ganz ohne dieses divenhafte, glamouröse Gehabe auskommt, weil sie uns mit ihrer Schwäche, ihren Zweifeln und ihrem Trotz vergleichsweise nah bleibt. Dieses Album ist demnach nicht nur keine Schande, es ist, auch wenn das arg abgedroschen klingt, ein kleines Stück Menschlichkeit. http://www.lilyallenmusic.com/

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