Samstag, 7. März 2020

Banoffee: Einen großen Schritt weiter

Banoffee
„Look At Us Now Dad“
(Cascine Records)

Wie war das noch mal mit den Gewissheiten? Es gibt sie nicht mehr. Nirgendwo. Das ist nicht immer angenehm, in diesem speziellen Falle ist es eine gute Nachricht. Denn früher, also vor ein paar Jahren noch, waren die meisten Alben weiblicher Popstars noch erwartbar simpel gestrickt (die der männlichen Kollegen nicht weniger), auf ein für den täglichen Hausgebrauch erträgliches Maß mit kulturellem, vielleicht sogar politischem Anspruch versehen – nicht zu glatt, aber keinesfalls verstörend, ambitioniert zwar, aber bitte immer im gesamtgesellschaftlich vorgegebenen Rahmen. Nun, seit #MeToo hat sich dies gewaltig geändert, gibt es sehr wohl auch Platten, auf denen Pop steht und die dennoch voller Widerhaken, Unbequemlichkeiten, Zumutungen stecken, die man nicht einfach so nebenbei wegzuhören vermag. Liest man im Guardian etwas über die Familiengeschichte von Martha Brown aus Melbourne – der Albumtitel fordert das ja geradezu heraus – dann begreift man schnell, warum dieses Debüt keines der früheren Sorte werden konnte: Die Urgroßeltern multiethnisch verwurzelt (Indien, Iran) und als Flüchtlinge über England nach Australien gelangt, die Großeltern wiederum am zweiten Weltkrieg verzweifelt und zerbrochen, der Vater deshalb früh im Heim gelandet, die schlimmen Lebensumstände legten die Grundlage für Alkoholismus und Depression, Dinge, die ihn heute noch (man hört es in einem der Interludes) noch verfolgen.



Brown selbst hat sich irgendwann auf die Suche nach ihrer Vergangenheit gemacht, erkrankte ernsthaft, geriet zu früh an falsche Männer mit schlechten Absichten, erlitt psychische und physische Gewalt. Parallel dazu die musikalische Karriere, erste Singles seit 2012, Auftritte mit Charlie XCX vor Tausenden, Kollaborationen, Achtungserfolge, aber auch Pausen, Zusammenbrüche. Mittlerweile lebt sie in Los Angeles, weil ein Neuanfang dringend notwendig war. Wie sollte daraus wohl Oberflächliches werden? Erstaunlich genug, dass die Stücke auf dem Studiodebüt dennoch nach ausgelassenem, erstklassigem Alternativ-Pop klingen – wohl durchdachte, clever arrangierte Nummern, nicht wenige mit Hit-Potential. Und trotzdem transportieren sie die bewegenden Geschichten einer jungen Frau auf der Suche nach Halt, Bestätigung, Anerkennung. Schon das Cover irritiert – man sieht eine Art mumifizierte Barbie, die Hände mit Stacheldraht gebunden, das will so gar nicht in das Bild eines erfolgreichen Stars passen und erinnert etwas an Sky Ferreiras „Night Time, My Time“, dort war es offene Verzweiflung, Brown blickt uns eher herausfordernd an.



Die Songs, allein oder gemeinsam mit Empress Of, Sophie oder CupcakKe, durchmessen in Folge das gesamte Gefühlsspektrum zwischen seelischem und körperlichem Schmerz, Wut, Selbstfindung und Liebe, sie thematisiert die Sehnsucht nach Geborgenheit und Verlässlichkeit in Freundeskreis und Familie. Und ist letztlich stark und stolz genug, ihrem Vater die folgenden Zeilen im Titelstück zu widmen: „Look at me now, Dad, do you see we got out, Dad? Was sick and I’m well, Dad, what a wonderful life we have. You were a sad boy, Dad, drinking too many tins, Dad, you read all the things and found love, Dad, you found love, Dad.“ In besagtem Artikel des Guardian bezeichnet sich Banoffee als Überlebende, die mithilfe ihrer Musik einen Weg gefunden habe, sich selbst zu ordnen, wieder in die Spur zu kommen. Gut möglich, dass ihre Songs anderen Frauen in ähnlicher Situation den gleichen Dienst erweisen – wenn Pop das heute vermag, dann ist er einen ganz großen Schritt weiter.

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