Sonntag, 12. September 2021

Low: Gegen die Macht der Gewohnheit

Low
"HEY WHAT“

(Sub Pop)

Es muss also nicht immer so sein. Dass man mit zunehmendem Alter bequemer, ängstlicher wird, dass man auf Sicherheit bedacht ist und lieber der Gewohnheit folgt, als mit ihr zu brechen und Neues auch auf die Gefahr hin zu probieren, daran zu scheitern. Viele Musikerinnen und Musiker, kommen sie in die Jahre, folgen dem immergleichen Schema, auch mit dem Hinweis, für den Ausbruch und die Innovation wären sie nicht mehr zuständig, dafür gäbe es schließlich die Jungen, Verwegenen. Doch wo steht geschrieben, dass nicht beides geht – das Vorrecht der nachwachsenden Generation auf den Umsturz anzuerkennen und zugleich sich selbst ständig herauszufordern? Alan Sparhawk kann, auf das Thema angesprochen, recht treffend dazu einsteigen: „That’s what young people should be doing—they should be smashing it and building their own vocabulary.“ Kein Neid, keine Wehmut klingt da bei dem mittlerweile Fünfzigjährigen durch, sondern Offenheit und auch Neugier. Und selbst? Mit Ehefrau und künstlerischer Partnerin Mimi Parker hat er das gemeinsame Projekt Low zu einem ziemlich einzigartigen Hort ständiger Veränderung und Kreativität gemacht. Kaum eine andere Band der letzten Jahrzehnte hat derart konsequent neue Technologien und Produktionsmöglichkeiten ausprobiert und auch genutzt, kaum jemand hat den Sound ähnlich mutig vorangetrieben und erneuert wie Low.



Erste Ansätze, der Elektronik mit all ihren Facetten deutlich mehr Platz einzuräumen, gab es auf dem Album „Ones And Sixes“ aus dem Jahr 2015 zu hören, so richtig experimentell und nahezu dekonstruktiv wurde das Duo dann auf der folgenden Platte „Double Negative“. Wir erinnern uns an Stücke wie „Tempest“ und „Disarray“, wo die digitale Verfremdung hörbar vorangetrieben und im Kontrast mit dem zarten, zweistimmigen Gesang zu neuen Höhen geführt wurde. Schon da war das Knirschen, Wummern und Dröhnen, was man eher vom Industrial kennt und dem wir jetzt auf „HEY WHAT“ in jedem Song begegnen, vorweggenommen. Sparhawk dazu: „The more we try to fragment and abstract it out - even to see how far we can go until it’s not music anymore - that’s where it becomes interesting to us.“ Und weiter: „I want to hear it get kicked off its algorithm and scramble to try to find it again. Maybe it’s revenge - I want to see technology break as much as it has broken me (Pitchfork)". Der Ansatz, die Technik an ihre Grenzen zu führen, bis man selbst an die eigenen stößt, ist mutig, aus Sicht eines Künstlers aber wohl alternativlos und schlüssig. Und er macht dieses neue Album damit zu einem neuerlich eindrucksvollen Werk.



Schon wenn eingangs die „White Horses“ zu abgehackten Störgeräuschen und Dronegitarren, (welche Sunn o))) nicht besser hätten spielen können) heranfliegen, ist man so dermaßen bei der Sache und unbedingt begierig zu erfahren, wie weit Low diesmal zu gehen bereit sind. Sehr weit, wie wir im Laufe der fünfundvierzig Minuten erfahren. Ob die allnächtlich wiederkehrenden Dämonen besungen werden („All Night“), die Angst um die Zerbrechlichkeit der Welt („I Can Wait“), die Liebe („Don’t Walk Away“) oder Wut über die ungerechte Verteilung der Lasten („More“), immer wird die Harmonie der beiden Stimmen von wuchtigen, teils psychedelischen Soundscapes begleitet. Manchmal, wie bei „Disapprearing“, bringen die Bässe alles dermaßen zum Vibrieren, dass man fast Angst um die Hardware bekommt – an ein Leiserdrehen ist allerdings nicht zu denken. Und selbst „Days Like These“, das als vermeintlich konventioneller Song beginnt, entfaltet sich mit zunehmender Spieldauer zu einem raumgreifenden Opus, nur um am Ende ins Sphärische und Jazzige hinüberzugleiten. Einfach ist hier nichts, fesselnd dagegen alles. Low schaffen auf „HEY WHAT“ eine Spannung und Klangtiefe, wie sie Pink Floyd einst in ihren Frühwerken zuwege brachten. Beeindruckend, ohne Abstriche.

03.05.  Köln, Kulturkirche
09.05.  Hamburg, Uebel und Gefährlich
10.05.  Berlin, Festsaal Kreuzberg



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