Mittwoch, 10. Juni 2020

Friends Of Gas: Um zu spüren, was zählt

Friends Of Gas
„Kein Wetter“
(Staatsakt)

Die Frage nach der Unverwechselbarkeit, sie stellt sich ja zunächst nur uns, die wir zuhören, die wir sofort vergleichen und urteilen wollen. Als Künstler*in hingegen ist man erst einmal bestrebt, alle Gedanken, Intentionen, die in einem nicht mehr nur schlummern, sondern rumoren, herausdrängen, in eine Form zu bringen, mit der man zuallererst selbst zufrieden ist, die einem als der passende Ausdruck erscheint. Ob das so schon jemand gemacht hat? Who cares! Auch bei der Münchner Formation Friends Of Gas wird das nicht anders sein, auch hier ist Unverwechselbarkeit also keineswegs Intention, gleichwohl aber Ergebnis. Denn man wird lange suchen müssen, um in der derzeitigen Musiklandschaft etwas Vergleichbares zu finden, das so roh, so unmittelbar und ungeschönt ist. Ja, Friends Of Gas machen es einem nicht einfach, sind sperrig und schwer zugänglich, allerdings vornehmlich dem, der sich keine Zeit lässt und die Mühe der Auseinandersetzung scheut. Die Platten des Quintetts, die vorliegende eingeschlossen, wirken stets so, als seien sie im Ganzen aus einem schrundigen, verwitterten Gesteinsblock herausgehauen worden – der Sound der Band, irgendwo zwischen Post-Punk, No-Wave und Noiserock, erscheint uns auf fast schon berauschende Weise organisch (und ist nebenbei auch ein Grund, warum man die Friends Of Gas, wenn schon nicht live, ausschließlich auf Vinyl wirklich genießen kann).



Alleinstellungsmerkmal also, wieder mal. Schon die letzte, fabelhafte EP „Carrara“ trug das Terrestrische im Namen, benannt nach einem längst verfallenen Ursprungsort italienischen Marmors, auch dort ist alles zerklüftet, gesprungen, aufgerissen, wund. Nicht anders bei „Kein Wetter“: Hier hat das Natürliche, auch und gerade das Menschliche, nichts Anmutiges, Beschauliches, Tröstliches, sondern ist vielmehr brutal, unabänderlich, schonungslos. Evolution also, in jedem der zehn grandiosen Stücke. Einatmen, Ausatmen, so einfach. Wobei es hier eher ein fortwährendes Röcheln, Keuchen, Rasseln, Pfeifen ist, passend zur markanten Stimme von Sängerin und Songschreiberin Nina Walser, ohne die diese Band schlicht nicht denkbar wäre. Schroffe Gitarren, fragmentierte Texte, die Rhythmen mal schleppend und bleiern, dann wieder als Treibjagd durch die endzeitlichen Kulissen. „Waldbrand“, „Graue Luft“, „Felder“, „Stechpalmenwald“, Abwasser – alles unwirtlich, abschreckend, bedrohlich, nichts dabei zum Innenhalten und Ausruhen.

Der Ver- und Zerfall des Menschen, dem "Schädling ohne Feind", der sein Unwesen treibt und seine Gesellschaft zugrunde richtet, das lässt sich als gnadenlose Beobachtung nur schwer aushalten. Und ist doch wahr und sehr gegenwärtig. Das „Draußen, zu Tode kultiviert“, auf das wir erschrocken und mit geweiteten Pupillen starren, unfähig umzukehren, die Richtung zu korrigieren, unterwegs von „bana“ nach „lität“, gefangen in den Zwängen und Ängsten unserer selbst. Die Frage nach „Kapital oder Kapitulieren“ ist längst keine mehr, die wir selbst in der Hand haben und Erlösung wird auch sie nicht bringen. Die Liebe, eigentlich doch letzte Zuflucht, erscheint nur noch als romantisiertes, medial gepimptes Trugbild, ist nur „ein von Hollywood gezüchtetes Monster“. Und das Herz? Verpflanztes Fleisch, pumpt, funktioniert (oder auch nicht) – hier taucht es in der Geschichte des Philip Blaiberg auf, einem weißen Südafrikaner, der sich als zweiter Mensch einer Transplantation unterzog, mit dem Organ eines jungen Schwarzen. Fortschritt? Welcher Fortschritt!?



Und das war es noch nicht einmal. Denn ganz am Schluß kommen mit „Im Bad“ und „Selber keine“ noch zwei Meisterwerke in Überlänge. Ersteres ein knapp achtminütiger Abgesang auf unsere Spezies, die es sich so fein eingerichtet hat in den vier mal vier Wänden, dahinlebt, alles in Ordnung gebracht und alle Extreme, allen Überschwang eliminiert hat. Zu heiß, zu kalt, lauwarm muss es sein, „beruhigt, behaglich, gelöst, sicher, verpflegt, sediert.“ Danach weitere zehn Minuten mit dem Zwei-Wort-Mantra „Selber keine“, Walser brüllt es heraus, in das Chaos, in den Lärm. Wenn wir doch einen Vergleich wagen wollten, dann erinnert „Kein Wetter“ am ehesten an „Daydream Nation“ von Sonic Youth – ausuferndes Inferno, rasende Energie und ständige Anspannung. Es ist, schon jetzt, ihr Opus Magnum geworden und es wird Zeit, dass sie damit auf die Bühne gehen, das Feedback gewaltig krachen lassen und uns dieses wahnsinnige Album um die Ohren hauen. Es wird weh tun, keine Frage - aber wir werden etwas spüren. Das allein zählt.

03.-05.09.  Neustrelitz, Immergut Festival
18.09.  Wien, Flex
19.09.  Wels, Schlachthof
26.09.  München, Strom
16.10.  Chemnitz, Atomino
17.10.  Berlin, Zukunft am Ostkreuz
19.10.  Hamburg, Hafenklang
20.10.  Wiesbaden, Kreativfabrik
21.10.  Köln, Bumann & Sohn
22.10.  Bochum, Trompete
24.10.  Stuttgart, Merlin
10.11.  Nürnberg, Z-Bau
11.11.  Jena, Rosenkeller
13.11.  Saarbrücken, Sparte 4
14.11.  Karlsruhe, Kohi
12.03.  Salzburg, Arge

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