Viagra Boys
„Welfare Jazz“
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Wenn man sich Sebastian Murphy, den Sänger der schwedischen Viagra Boys so anschaut – gern auf seinem Egotrip durch die Fußgängerzone zur Single „Ain’t Nice“ – dann kommen machem vielleicht die Zeilen von Martin Gore in den Sinn, der 1984 in anderem Zusammenhang textete: „…I think that God's got a sick sense of humor, and when I die, I expect to find Him laughing“. Ja, Gott muss sich wirklich königlich amüsieren, sieht er die Menschen in ihrer Armseeligkeit durch die Gegend stolpern, Dingen hinterherjagen, seien sie ehrbar oder nutzlos. Zwar hat Murphy, glaubt man dem Waschzettel seiner Plattenfirma, die Songs auf dem zweiten Album seiner Band unter Zuhilfenahme durchaus gefährlicher Substanzen und in denkbar schlechter Stimmung, weil nach überstandener Trennung, geschrieben, noch dazu mit der nötigen Einsicht und dem Willen zur Besserung. Dennoch wirkt er so, als ob ihm eine Welt aus Kontrollfreaks, spießbürgerlichen Gutmenschen, lächerlichen Businesspunks und ähnlich traurigen Gestalten mächtig auf den Sack ginge und er gar nicht daran denkt, seine Instinkte, seine Launen und seine Wut zu zügeln. Kurz: Der da oben sollte zumindest an dieser Kreatur einigen Spaß haben.
Und es heißt ja auch nicht, dass Murphy alles egal wäre. Er, der von unten kommt und das Unten kennt ("Creatures"), mag weder das bornierte Gehabe und Aufgesetztheit der Eliten noch die gutbürgerliche Mittelmäßigkeit und es gelingt ihm immer wieder auf’s Neue, das trefflich zu persiflieren. Schon in den Clips zum Debüt „Street Worms“ (2019) und der nachfolgenden EP „Common Sense“ war reichlich Schärfe und Boshaftigkeit drinnen, etwa beim lakonischen Spott von „Sports“, dem bitteren Lebensvergleich in „Just Like You“ oder dem hohlen Getue im Clip zu „Sentinel Island“. Schlaksig, zugekritzelt und genervt grölt er sich durch die Szenerie und man nimmt ihm den Frust wirklich in jeder einzelnen Minute ab. Auch im wunderbar grellbunten Filmchen zur aktuellen Single „Creatures“ treibt er diese wieder auf die Spitze, wenn er halb sediert zwischen livrierten Gecken hindurchtaumelt, auf fliegende Hunde anlegt oder einfach nur besinnungslos in die Gegend starrt oder fällt.
Doch auch wenn das alles ziemlich missmutig klingt, so ist die Platte in musikalischer Hinsicht ein echter Knaller. Kein Jazz natürlich, hier belieben die Schweden zu scherzen. Aber durchaus weit entfernt von stumpfen Durchgebretter mancher Kollegen - vielmehr bauen sie das Post- am Punk kräftig aus. Saxophonparts an vielen Stellen und damit in guter Tradition der Gang Of Four oder anderer Referenzen, bei „I Feel Alive“ kommt sogar eine Querflöte zum Einsatz und die hätte man von den Viagra Boys nun wirklich nicht erwartet. Ansonsten groovt sich das knappe Dutzend zu sattem Bass, schrägen Synths und besagtem Blech angenehm grobkörnig in den Gehörgang. Als feine Überraschung gibt es am Ende noch ein überaus gelungenes Cover des alten John-Prine-Heulers „In Spite Of Ourselves“, dargebracht als Duett zusammen mit der fabelhaften Amy Taylor der australischen Truppe Amyl And The Sniffers. Passt wie die Faust auf’s Auge – so wie die ganze Platte.
Update:
05.05.2022 Hamburg, Uebel und Gefährlich
04.05.2022 Köln, Die Kantine
18.05.2022 München, Technikum
19.05.2022 Berlin, Festsaal Kreuzberg
20.05.2022 Leipzig, Conne Island
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