Matt Berninger
„Serpentine Prison/Deluxe Edition"
(Caroline International)
Ja, mit den Cha-Cha-Cha-Changes ist das so eine Sache. Bei anderen erwarten wir sie stets in dem Maße, wie sie uns zu passe kommen, selbst scheuen wir Veränderungen gern mit dem Hinweis auf Alter und/oder Umstände. In der Musik läuft’s auch gern mal andersrum – als Hörer*in hüpft man gern von Blüte zu Blüte, unstet, stimmungsabhängig, ohne Geduld, von den Idolen der Jugendzeit wird aber die zuverlässige Lieferung von Alterhergebrachtem erwartet, dazu angetan, Nostalgie und Gegenwartsflucht zu befriedigen – bloß keine Herausforderungen. Auch interessant: In Zeiten wie diesen, wo die Welt unter der Pandemieglocke stillzustehen scheint, keine Bewegung (erst recht nicht zum Besseren) in Sicht, ändert sich unser mentales Befinden sehr wohl, werden wir unsicher, zweifelnd, misstrauisch, reizbar, klammern wir uns an kleine Gewissheiten. Wie passt da jetzt die Platte von Matt Berninger hinein? Nun, der Mann hat zunächst die Veränderungen, die das Alter so mit sich bringt, zum Thema seiner Soloarbeit gemacht – nicht selten sind es schmerzhafte, die mit Enttäuschungen, Verlusten einhergehen. Zudem ist Berninger jemand, der selbst als gutes Beispiel für innere und äußere Wandlungen herhalten kann.
Dem Musikexpress hat er im vergangenen Jahr, als die erste Version des Albums erschienen ist, gesagt: „Ich denke, ich habe mich weiterentwickelt. Ich bin freundlicher in meinem Songwriting. Aber immer noch ehrlich“, nicht ohne hinterherzuschieben: „Es ist nicht immer einfach, freundlich und ehrlich zur gleichen Zeit zu sein.“ Um das zu untermauern, nimmt Berninger hier Bezug auf die Songs von „Sad Songs For Dirty Lovers“, einem der frühen Werke seiner Band The National aus dem Jahr 2003. Spielt man davon Stücke wie „Slipping Husband“ oder „Available“ an, möchte man ihm sofort zustimmen. Wildes Geschrei, Wutausbrüche sind da zu hören, von Gelassenheit, Selbstbeherrschung oder gar Liebenswürdigkeit keine Spur, dort muss raus, was sich an Frust und Unmut staut. The National waren beileibe keine Punkband (aber sie zählten solche zu ihren Vorbildern), sie waren laut, sie waren düster.
Diese Düsternis ist nun einer altermilden, melancholischen Stimmung gewichen, dunkel noch, aber nicht mehr so unversöhnlich und bissig. Dem Ausflug unter die Diskokugel zusammen mit Brent Knopf als EL VY folgt also mit dem Soloalbum - jetzt gern stilecht mit Loafers und Jacket - klassisches und tatsächlich allerfeinstes Songwriting. Die Stücke auf „Serpentine Prison“, allesamt produziert von Allzeitlegende Booker T. Jones und eingespielt mit Musikern von Nancy (früher), The National (heute) und The Walkmen (als Fan und Bewunderer), strengen nicht an, sondern gefallen in Eingängigkeit, gemacht für die besinnlichen Stunden im Dämmerlicht späterer Tage. Angefangen beim wunderbaren „My Eyes Are T-Shirts“ und den zärtlichen Zeilen: „My eyes are T-shirts, they're so easy to read, I wear 'em for you but they're all about me. They always say ‚I want you to take me home‘, they always say ‚I want you to leave me alone‘“. Noch schöner dann „One More Second“, ein rührendes Flehen um die zweite Chance zur Rettung einer Zweisamkeit, die ihm zu entgleiten droht – „Give me one more year to get back on track, give me one more life to win you back“ – ach herrje, wer wollte da nicht schwach werden …
Und so geht es weiter: Traurigkeit und Verzweiflung („Loved So Little“), musikalisch untermalt von Bläsern, Streichern, Piano- und Orgelpassagen, danach das Duett „Silver Springs“ mit Gail Ann Dorsey, später noch „Collar Of Your Shirt“, wo sich Berningers Stimme in ungewohnte Höhen croont. Eigentlich hätte das Album anfangs ja ausschließlich mit Coverversionen gefüllt werden sollen, dass es nicht so kam, ist im sicher kein Schaden. Denn das neu eingesungene Bonusmaterial kann, genaugenommen ja eher ein Kompliment, nicht ganz mithalten mit den Eigenkompositionen. „European Son“ von Velvet Underground ist nur vorsichtig verwegen, wo das Original doch so herrich scheppert, auch die geliehenen Songs von Morphine, Bettye Swann und Eddie Floyd bleiben entweder hinter den Erwartungen oder passen nur bedingt zum Interpreten. Am Ende erlaubt sich Berninger noch einen kleinen Scherz, indem er mit „Let It Be“ und „The End“ zwei vermeintlich fremde Stücke einspielt, die mit den vermuteten allerdings nur den Titel gemeinsam haben und doch aus seiner Feder stammen. Es ist egal, denn das Beste haben wir ohnehin schon gehört. In besagtem Interview sagte Berninger übrigens zum Songschreiben: „Es ist, als würde ich in einen tiefen Wald laufen. Vielleicht finde ich etwas. Vielleicht werde ich aber auch beim Versuch, da wieder heil rauszukommen, aufgefressen.“ Sieht ganz so aus, als hätten wir ihn unbeschadet wieder.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen