Dienstag, 15. Oktober 2019

Little Simz: Botschafterin gefunden

Little Simz
Support: April And Vista
Ampere, München, 14. Oktober 2019

Warum man gleich so viele Bilder anderer Künstlerinnen vor dem inneren Auge hat, wenn man Simbiatu Ajikawo alias Little Simz auf der Bühne sieht? Nun, es könnte an der auffälligen Frisur, dem drained bun, liegen, der so ähnlich auch schon den Kopf von Nina Simone oder Erykah Badu geziert hat. Oder an ihrer Gestik, den vielen unterschiedlichen Gesichtern, mit denen sie das Publikum in ausverkauftem Haus dirigiert – ob sie nun liebevoll Herzen oder derbe Ficks verteilt, ob sie einen unter gespenstischer Beleuchtung fröstlern läßt oder mit leidenschaftlichem Gesang die Seele anrührt, es stecken viele Frauen und ganz viel Geschichte in ihr. Und all das muss an einem Abend wie diesem nach draußen. Weit offensiver als die männlichen Kollegen ihres Fachs repräsentieren Stars wie Little Simz immer auch bewußt Hautfarbe, Herkunft, Identität, Geschlecht, das ist nicht einfach ein Rollenspiel, das ist ihr Leben, ihr Selbstverständnis, ihre Verpflichtung.



Die streitbare Frau aus dem Londoner Statdtteil Islington schaffte es in diesem Jahr für den renommierten Mercury Prize auf die Shortlist und weil Grime momentan das Ding der Stunde ist, hat dann – nun, doch Dave Santan gewonnen. Auch ein würdiger Sieger, ohne Zweifel, aber einer, der es in punkto Vielfalt und Wandlungsfähigkeit schwerlich mit Little Simz, ihrem neuen, grandiosen Album „Grey Area“ und vor allem ihrer Livepräsenz aufnehmen kann. Denn da oben steht eben nicht nur die wilde, zornige Rapperin mit den Maschinengewehr-Reimen und mächtig viel Wut im Bauch, sondern auch die geschmeidige Tänzerin, die hintergründig lächelnde Erzählerin, die Episoden ihres rasanten Aufstiegs als eine Art Spoken-Word-Performance zum Besten gibt. Neben den harten Beats gibt es zarte Pianoklänge, wird aus der extrovertierten Sängerin im Handumdrehen die in sich gekehrte Gitarristin.



Es sind hauptsächlich Sachen von der aktuellen Scheibe, die gemeinsam mit den beiden Begleitmusikern zur Aufführung gebracht werden, einzig das böse „God Bless Mary“ vom Debüt aus dem Jahr 2015 und „Bad To The Bone“ sind älteren Datums. Und mit dabei eben auch so wunderbar soulige Nummern wie „Sherbet Sunset“ und „Flowers“ (ursprünglich mit Unterstützung von Michael Kinwanuka) und natürlich „Selfish“, die funky Hymne auf Eigenständigkeit, Selbstbehauptung, Stolz und innere Kraft, mit der sie alle die Vorsichtigen, Zögerlichen und allzu devoten bewußt vor den Kopf stößt. Die Zeit, so sagt ihr Auftreten, so lautet ihre Message, wo Afroamerikaner, wo Frauen ihr Ego hintenanstellen, verstecken mussten, ist längst vorbei und das mit Grime ein Stil aus den tristen Suburbs, den Elendsvierteln der Großstädte diese Botschaft transportiert, gemacht von den Außenseitern und Benachteiligten der Gesellschaft, ist ein starkes Zeichen. Little Simz hat das Zeug zur Botschafterin der Bewegung.


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