Donnerstag, 29. April 2021

Mine: Das Gewicht der Welt

Mine
„Hinüber“

(Caroline)

Der Übersichtlichkeit halber lassen sich die Menschen in solche einteilen, die Probleme sehen und solche, die sie nicht sehen – letztere wiederum deshalb, weil sie entweder nicht können oder nicht wollen. Aber auch die erstgenannte Gruppe kann man noch einmal spezifizieren, denn da gibt es wiederum die, welche angesichts eines Missstandes beschließen, nichts zu unternehmen. Und eben jene, die nicht anders können, als das Unglück zu benennen und dagegen anzugehen. Die oft gestellte Frage lautet nun: Ist dieser Teil, spöttisch und gar herablassend auch als „Gutmenschen“ tituliert, der unglücklichste von allen, weil er am Leid der Welt nicht vorbeikommt, es ein Stück weit zum eigenen macht und deshalb so viel mehr kämpft, hadert und nicht selten ob der eigenen Ohnmacht verzweifelt? Oder sind Empathie und Mitgefühl dafür verantwortlich, dass sie und er sehr viel bewusster, unmittelbarer und vielleicht doch zufriedener leben? Weil der Sinn dieses Lebens, wenn auch dem Sisyphos und seinem vergeblichen Mühen sehr nahe, greifbarer und die Erfüllung selbst im Kleinen zu finden ist? Wir wissen es nicht.

Dass Jasmin Stocker alias Mine zur letztgenannten Spezies zählt, dürfte jedoch zweifelsfrei feststehen, an entsprechendem Beweismaterial fehlt es zum Glück nicht. Angesichts des Flüchtlingselends in Moria hat sie beispielsweise Anfang des Jahres mit dem Song „Unfall“ in aller Unmissverständlichkeit auf die Not und den Schmerz vor Ort und zugleich die Privilegiertheit unseres westeuropäischen Daseins hingewiesen. Ein Stück, das ein Album zum Ende bringt, wie es auch hierzulande beileibe nicht selbstverständlich ist. Denn die Thematisierung gesellschaftspolitischer Verwerfungen, das persönliche Zeugnis von Angst, Frust und Wut zählt im deutschen Pop noch immer zu den eher seltenen Übungen und wird lieber den Nischenbereichen Deutschrap, Punk oder Indierock zugeschoben. Der Glamourfaktor menschlichen Elends ist halt doch sehr überschaubar.



Mine hat kein Problem damit, auf Unzulänglichkeiten, Schwächen und aufreibende Kämpfe zu verweisen, schon im Titellied, gemeinsam eingespielt mit der Schweizerin Sophie Hunger, singt sie davon, wie schwer ihr (siehe oben) der katastrophale Zustand der Welt auf der Brust lastet. Gefolgt von der traurigen Erkenntnis oder auch Warnung, dass alles nur so lang weh tut, bis es endgültig „Hinüber“ ist – kein sehr tröstlicher Gedanke. Unterlegt wird das von angemessen dramatischen, dronigen Synthklängen, die allerdings über die komplette Spiellänge der Platte eher die Ausnahme bilden. Denn Mine, Musikerin und Produzentin in Personalunion, bevorzugt eher den reduzierten LoFi-Bedroom-Pop, trockene Beats auf den Punkt, Verzierungen wie Gitarrensoli eher sparsam eingesetzt. Der Wirkung der Tracks tut das eher gut, der Fokus bleibt beim Text und der darf gern auch tanzen.



So das Lob der Veränderung bei „Bitte bleib“, die flehentliche Frage „Kannst du mich halten (KDMH)“, die sich aus der Verunsicherung und Orientierungslosigkeit speist, der Schmähgesang zusammen mit Dexter und Crack Ignaz an all jene, die ihren Geschmack an Algorithmen verraten und der Oberflächlichkeit preisgegeben haben („Audiot“). Und natürlich der wunderbare „Elefant“, der sich dem eingangs benannten Problem von der humorigen Seite nähert. Zwischendurch gibt es noch etwas Speiseeis mit Lambada, maximal entspannte Tunes, angemischt aus Sommerfrische und Selbstvergessenheit. Die das Album, deutlich politischer, dringlicher als der Vorgänger „Klebstoff“, letztendlich auch ein wenig ausbalancieren können. Man muss also keine Angst davor haben, hier mal genauer hinzuhören, bei aller Sorge und Nachdenklichkeit bleibt immer noch genügend Raum für die ausgelassene Freude am Augenblick.

11.11.2021  Freiburg, Jazzhaus
12.11.2021  Hamburg, Große Freiheit 36
13.11.2021  Dresden, Tante Ju
14.11.2021  Erfurt, Club Central
16.11.2021  Bremen, Lagerhaus
17.11.2021  Hannover, Capitol
18.11.2021  Mannheim, Alte Feuerwache
19.11.2021  München, Muffathalle
20.11.2021  Wien, WUK
23.11.2021  Stuttgart, Im Wizemann
24.11.2021  Nürnberg, Hirsch
25.11.2021  Wiesbaden, Schlachthof
26.11.2021  Köln, Gloria
21.04.2022  Braunschweig, Westand
22.04.2022  Chemnitz, AJZ
24.04.2022  Kiel, Die Pumpe
29.04.2022  Münster, Skaters Palace
30.04.2022  Augsburg, Kantine
01.05.2022  Düsseldorf, Zakk

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