Donnerstag, 14. Januar 2021

Shame: Kontrastmittel

Shame
„Drunk Tank Pink“

(Dead Oceans)

Man sagt ja, mit zunehmendem Alter werde der Blick auf die eigene Vergangenheit milder, großzügiger, man könne sogar über Dinge lachen, die früher ernst, unverzeihlich, bedrohlich schienen. Wann genau diese Zeit der Entspanntheit einsetzt, ist allerdings nicht so genau überliefert, je nach Charakter kann das wohl kurze oder eben auch längere Zeit dauern und wer weiß – manche/r schafft’s unter Umständen gar nicht zum buddhistischen Om. Vielleicht wäre es deshalb ja eine Empfehlung, erst gar nicht solche Dinge zu veranstalten, die einem hernach peinlich sind, sich also besser nicht zum Idioten zu machen und Selbstironie früh genug zu lernen? Schon klar, frommer Wunsch. Musiker*innen haben es da nicht eben einfacher, im Gegenteil, sie verleben ihre Jugendzeit bei entsprechendem Erfolg schließlich auf offener Bühne und unter den Augen von tausenden, vielleicht sogar Millionen Mitmenschen, die nicht immer guten Willens sind und im schlimmsten Fall sogar gierig auf jeden Fehltritt warten, einfach weil es so leichter fällt, von den eigenen Schwächen und Fehlern abzulenken. 

Nun, die fünf Jungs der Londoner Band Shame haben, soweit bekannt, so viel noch nicht falsch gemacht in ihrem Musikerleben, im Gegenteil, mit ihrem Debütalbum „Songs Of Praise“ und der darauf ausgelebten rotzig-lakonischen Punkattitüde wurden sie schnell zu Lieblingen der einschlägigen Kritik und zum neuen Aushängeschild britischen Draufgängertums, das die ehemals so coole Nation in Zeiten des zunehmenden Verfalls dringend gebrauchen konnte. Diese Rolle, was Wunder, wollten sie natürlich keineswegs spielen, sie sind zu klug und politisch zu wach, um sich vor irgendwelche Karren spannen zu lassen, auch wenn sie sich bis jetzt mit allzu fetten Parolen sorglich zurückhalten. Was das Quintett um Frontmann Charlie Steen von den Verhältnissen im abgewirtschafteten Königreich, von zunehmender sozialer Schieflage, Nationalismus und den Folgen des Brexits hält, kann man ohne weiteres auch recht deutlich zwischen den Zeilen lesen, dazu bedarf es keiner größeren Anstrengung.

Ihr neues Album „Drunk Tank Pink“ ist dann auch die erhoffte, weil eben doch überaus ernsthaft betriebene Weiterentwicklung in Zeiten, die zur Auseinandersetzung auffordern, selbst im privaten Bereich entkommt wohl niemand den gesellschaftlichen Verwerfungen, die durch die Pandemie bekanntlich noch verstärkt worden sind. Die Songs sind zwar allesamt vor Lockdown und Covid-19 entstanden, dennoch sagte Steen kürzlich dem Independent zur Platte: „It deals with a lot of themes of isolation … Nobody’s not had a time this year where they haven’t felt alone.“ Das also der Grund, warum der jugendliche Leichtsinn des Erstlings verschwunden scheint, Shame klingen jetzt harscher, lauter, auch dichter, die Songs sind komplex und schwer und die Ausgelassenheit, mit der die Bande noch in früheren Videos über Apfelwiesen stolperte, scheint ein für allemal vorbei. Anders also, keineswegs schlechter. 

Aus dem Ärmel geschüttelte Hits findet man auf „Drunk Tank Pink“ kaum, stattdessen die trotzige Härte von Stücken wie „Alphabet“, „Born In Luton“ oder „Great Dog“. Den vibrierenden Funkbass haben sie dagegen nicht vergessen, die Singles „Water In The Well“ und „Nigel Hitter“ sind Post-Punk in bester Tradition, letzteres lässt sich mit bissigem Sarkasmus über den Anspruch der Menschheit aus, die Krone der Schöpfung zu stellen – nur um am Ende doch nur erschöpft und hilflos im Hamsterrad hängen zu bleiben. Die Vielzahl der Facetten und die Kontraste sind es, was dieses Album über Reifung, innere Kämpfe und mentale Widerständigkeit hinaus auszeichnet. Dunkelster Wave, schmirgelnde Gitarren, bratzige Elektronik, die düsteren Gedanken wechseln mit beinahe archaischer Wildheit, Musik aus dem Zwischenstadium. “We were like tourists in our own adolescence in a way“ meinte Steen in besagten Interview - und wir hören und sehen gern weiter dabei zu.

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