Tyler, The Creator
„Call Me, If You Get lost“
(Columbia/Sony)
Beim Thema Unterhaltung bekommen hierzulande fast alle Entscheidungsträger weiche Knie und werden zu Angsthasen, Bedenkenträgern und/oder bemitleidenswerten Figuren – egal ob Musik, Comedy, Late-Night, Film resp. Serie, stets wirkt es irgendwie angestrengt, übermotiviert, langweilig oder peinlich, richtig gut gelingt es selten. Dass solche Dinge bei uns entweder in einem Fettnäpfchen-Marathon, einer albernen Lachnummer oder dröger Langeweile enden, hat natürlich zu gleichen Teilen mit schlechtem Personal und historisch bedingter Überverkrampftheit zu tun, es allen recht zu machen ist ein urdeutsches Anliegen und geht in der Regel mächtig schief. Das Problem kennen die Amerikaner nicht, Entertainment gibt’s bei ihnen nur in Großbuchstaben und selbst wenn sie’s mal an die Wand fahren, haben sie eine Riesenspaß dabei. Richtig gut wird es dann, wenn sich die um den Job kümmern, die eigentlich sonst nicht viel zu lachen haben. Dave Chapelle ist das wohl prominenteste Beispiel, sein Aufritt anlässlich des gewaltsamen Todes von George Floyd („8:46“) zeigt auf beeindruckende Weise, dass selbst bei solche schrecklichen Anlässen Humor und Haltung auf wunderbare Art zusammenpassen können.
Durchaus talentiert zeigt sich, wenn auch auf andere Weise, seit längerem Tyler Gregory Okonma alias Tyler, The Creator – unterwegs mit vielen Identitäten und seit seinem fulminanten Debüt „Goblin“ aus dem Jahr 2011 bekannt für seine Vorliebe für ebenso viele stilistische wie auch textliche Querschläger. Neuestes Beispiel ist sein Auftritt als Sir Baudelaire in Anlehnung an den französischen Schriftsteller und Dandy Charles mit den bösen Blumen. Die sehr unterhaltsame Kunstfigur wird im Videomaterial zum neuen Album ausgiebig überzeichnet, Tyler spielt ihn ordentlich versnobbt, exaltiert, sophisticated und, auch das nicht unwichtig, maximal elegant. Die Platte zum aktuellen Alter Ego kommt als prall gefüllte Wundertüte, die gern auch als Stoffsammlung für das Fach Neuere Geschichte der schwarzen Musik herhalten kann, ganz so, wie es den Zuhörer*innen je nach Stimmungslage und Kenntnisstand beliebt.
Man muss beileibe nicht das gesamte Köchelverzeichnis von Soul, RnB, Pop, Jazz und Reggae parat haben, um die Vielfalt dieses Mixtapes ausgiebig würdigen zu können – es groovt, dröhnt, scratcht, hämmert und swingt ganz wunderbar über die gut fünfzig Minuten. Den staubig-quietschenden Oldschool-Zeiten des Hip-Hop eines Wu-Tang Clan wird hier ebenso gehuldigt wie dem überproduzierten Bombast des Hl. Yeezus der Neuzeit, von „two turntables and a mic“ bis zum dramatischen Fanfarenchor, von punktgenauer Knappheit bis zu satter Überlänge ist alles dabei. Zusammen mit Tyler reimen im Übrigen noch jede Menge Gastdozenten, wir hören u.a. Lil Wayne, Ty Dolla $ign, Fana Hues, Lil Uzi Vert und den unvermeidlichen Pharrell Williams (beide im feinen „JUGGERNAUT“), produziert hat unter anderem auch Jamie XX. Und ausgeteilt wird auch kräftig, es gibt ein „MANIFESTO“ mit seiner Art seitenhiebbewährter Vergangenheitsbewältigung, bei „MASSA“ gehts (natürlich ganz wichtig) um Credibility und Herkunft. Das wiederum kontrastiert auf’s Herrlichste mit dem schwülstig-kitschigen Kram wie „WUSYANAME“. Wer sich davon nicht unterhalten, ja mitreißen lässt, ist ein ganz armer Tropf.
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