Freitag, 10. September 2021

Amyl And The Sniffers: Wucht und Wahrheit

Amyl And The Sniffers
„Comfort To Me“

(Rough Trade)

Schon als Amy Taylor 2016 gemeinsam mit ihren Schnüfflern und der ersten EP „Giddy“ auf der Bildfläche erschien, war die Reaktion absehbar: Das ist die, die immer Ärger sucht und macht, der man auf dem Schulhof besser aus dem Weg gegangen ist, die aufmuckt und anrennt, auch wenn sie sich dabei mal eine blutige Nase holt. Eine wie Amy Taylor hat man im Geheimen immer beneidet um ihre Furchtlosigkeit, ihr großes Maul und die Lässigkeit, mit der sie durch die Straßen streunte und jeden Gegenüber schon mit Blicken zugrunde richten konnte. Trotzdem blieb man lieber auf Abstand, weil man der Urgewalt, die sie ausstrahlt, ohnehin nicht gewachsen war. Und ist. Denn an das fabelhafte Debüt von 2019 schließt nun eine Platte an, die noch schneller, noch kompromissloser ist. Die Songs allesamt mächtige Schläge in die Magengrube – „Guided By Angels“, „Freaks To The Front“, „Choices“, „Security“ und wie sie alle heißen, kurzatmige Bretter zwischen Punk und Garagerock, verfeinert mit jeder Menge herrlicher Gitarrensoli, die man so heute kaum noch zu hören bekommt.



Natürlich ist „Comfort To Me“ ein Lockdwon-Album, Taylor hat es selbst gesagt. Ein Song wie „Hertz“, geschrieben mit der Wut der Eingesperrten, die raus will in die Natur, ungezähmt, frei („I’m literally dying. I just want to get to the country and fucking not be in the city!“, Apple Music) – das Video dazu von einer Intensität, einer fieberhaften Umtriebigkeit, die nicht weiß wohin mit sich. Manchmal wird es dagegen richtiggehend komisch – etwa beim Song „Maggot“, erklärtermaßen ein Liebeslied. Taylor vergleicht den Moment, wo sich die Maden über einen Tierkadaver hermachen, mit der absoluten Hingabe, ein Bild, das einem nicht so schnell aus dem Kopf geht. Auf die Frage des Guardian, dem sie ein kürzlich ein Interview gab, wer dann sie wohl sei, Made oder Kadaver, gab sie übrigens zur Antwort: „I don’t know. Both! That’s love.“ Taylor als streitbar zu bezeichnen, wäre eine schamlose Untertreibung, mit ihr möchte man sich nicht anlegen. Ihre Abrechnung mit der australischen Politik während der katastrophalen Buschfeuer oder im Umgang mit den Ureinwohnern des Kontinents haut sie jedem, der/die es hören will, bei „Capital“ um die Ohren, Menschen, die sie in der Freiheit ihrer Entscheidungen, auch was die Karriere ihrer Band angeht, beschneiden wollen, bellt Taylor ein zorniges „Don’t Fence Me In“ entgegen.



Und doch weiß sie, dass ihre Außenwirkung ein sehr einseitiges Bild zeichnet. Gesungen klingt das so tough wie bei „Security“, wo sie dem Bouncer vorm Pub erklärt: „I distracted you with all of my bullshit, I covered myself in distractions, colours and patterns. You couldn't see the real me, I wanna deceive you, you're stupid I'm fast“, um ihm dann zu versichern: „I’m not looking for trouble, I’m looking for love.“ Es ist eine Gratwanderung für sie, nicht zur Ruhe zu kommen, stets unter Strom zu stehen – in besagtem Interview denkt sie laut darüber nach: „It hits you like a waterfall: How do I retrain my brain to not be intense and think differently and feel OK about feeling sad? I wanna punch stuff and do cartwheels and fucking yell, but that’s not good all the time.“ Diesen reflektierten Teil von ihr bei all der wilden Unberechenbarkeit, die sie auf Konzerten, in ihren Songs ausstrahlt, nicht aus dem Blick zu verlieren, ist zugegeben nicht ganz so einfach. Ihre Warnung dazu: „„Don’t box me into your simple idea of me. It’s not as simple as it looks.“ An der Wucht dieser Platte ändert das aber überhaupt nichts.

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