Deafheaven
„Infinite Granite“
(Sargent House)
Ende der 80er, Anfang der 90er ist es gewesen, als die erste Gitarre auf einem Album von Depeche Mode zu hören war, akustisch noch, aber es reichte, um einen Sturm der Entrüstung unter den Fans zu entfachen. Kulturschock, Weltenende, drunter war es nicht zu machen und als dem „Personal Jesus“ ein paar Jahre später ein ganzes Album mit Blues-, Jazz- und Soulelementen folgte, gingen viele der Anhänger von der Fahne und Mitglied Alan Wilder kurz darauf von Bord. Soll heißen: Kreative Umwendungen sind eine schwierige, zwiespältige Sache, die einen fordern sie heraus, andere fürchten sie wegen ihrer unkalkulierbaren Folgen. Gegeben hat es sie schon immer, die Stones und die Beatles hatten ihre Wiedererweckungs- und Sitarphasen, Neil Young versuchte es mit Synthesizern, U2 mit Disko und selbst eine Hardcore-Kapelle wie Ceremony traute sich den Schwenk zu Post-Punk und Pop. Ganz gleich, wie man das bewertet, Zumutung hat auch immer mit Mut zu tun, den Schritt zum Schnitt zu gehen erfordert also einiges an Rückgrat.
Deafheaven waren im schwarzledernen, breitbeinigen und langbehaarten Metallerbusiness schon immer mehr Geduldete, dass sie auf ihren bisherigen vier Alben gern zarte Melodien in den brachialen Klängen verbauten, wurde von der orthodox anmutenden Szene eher lächelnd bis gönnerhaft zur Kenntnis genommen – Außenseiter, nun ja. Der Reiz dieser Mischung erschloss sich denen, die mit einem etwas weiteren Horizont ausgestattet waren, bei jedem ihrer Werke auf’s Neue, für ihre letzte Platte „Ordinary Corrupt Human Love“ erhielten die Mannen um Sänger George Clark neben reichlich Kritikerlob sogar eine Grammy-Nominierung. Der Grenzgang war also beschlossenes Programm, dennoch überrascht die Konsequenz, mit der Deafheaven nun auf ihrem neuen Album alle Erwartungen noch einmal übertreffen.
Aus dem nominellen Sänger wird nun tatsächlich einer, der diese Bezeichnung auch bei konservativer Prüfung verdient (mit dem gutturalen Gebrüll tun sich ja viele noch immer etwas schwer) – George Clark, selbst erklärter Verehrer von Chat Baker, Nina Simone und Tears For Fears, kommt uns hier geradezu klassisch, nahezu unverstellt und klar. Auch der Sound auf „Infinite Granite“ erfährt noch einmal eine Zäsur, bombastische Gitarrengewitter und Noiseattacken rücken zugunsten von dunklen Drumsets, Synthflächen und melodischen Akkorden in den Hintergrund. Stücke wie „Shellstar“, „Villain“ oder „The Gnashing“ überzeugen nun durchaus auch mit wohlklingenden Harmonien und Clarks ungewohnt weicher Stimme, Selbstfindung, Liebeslieder, Schwermut, Altersgedanken auf eine Weise, die man kaum für möglich gehalten hätte. Die aber trotzdem wunderbar funktioniert.
Natürlich, muss schnell angefügt werden, muss man nicht gänzlich auf den herrlichen Lärm verzichten, der die Band dem Genre Blackgaze ursprünglich zugeschlagen hat. Für „Great Mass Of Color“, „Lament For Wasps“ und vor allem für das wunderbare, achtminütige Finale „Mombasa“ werden teils gewaltige Soundwände geschichtet, auch Clarke, der am Ende vom Tod seines Großvaters erzählt, den er bis zum letzten Atemzug im Hospiz begleitet hat, lässt seine Stimme dann in das altbekannte, fast wahnsinnige Gebrüll kippen. Es ist fürwahr eine irre Mischung, die Deafheaven hier anbieten, unterstützt vom neuen Produzenten Justin Meldal-Johnson. Dem Portal Pitchfork gegenüber hat Clarke erwähnt, dass vor allem Radioheads „Kid A“ der neuen Platte Pate gestanden habe. Egal aber, welche Inspiration die Band dazu getrieben hat, sich derart konsequent über alle Konventionen hinwegzusetzen – im Ergebnis bleibt ein Album, das mit solcher Wucht und Anmut zugleich noch selten zu hören war.
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