Sonntag, 14. Juni 2020

Coriky: Die Wut der Besonnenen

Coriky
"Coriky"

(Dischord Records)

Wer bei der Besprechung dieser Platte ganz ohne nostalgische Zwischentöne auskommt, besitzt entweder das Talent zur totalen Reduktion oder ist, sehr viel wahrscheinlicher, um einiges zu jung oder einfach ein gefühlloser Klotz. Hier jedenfalls wird es das nicht geben. Wie auch, wenn man im Juli 1995 in der Hamburger Fabrik wohl das Konzert seines Lebens erleben durfte - mit dabei: Ian MacKaye und Joe Lally. Fugazi also. Wer diese Band aus Washington DC also jemals live gesehen, besser: gespürt hat, die ungebremste Wucht, mit der Lallys Bass und Guy Piciottos Gitarre ins Publikum fuhren, angetrieben von Brendan Cantys Schlägen und MacKayes schneidender Stimme, der wird das (zum Glück) seinen Lebtag nicht vergessen. Und natürlich sofort parat haben, sobald die ersten Töne von "Clean Kill" aus den Boxen stampfen. Schon 2015 hatte sich Lally mit Mac Kaye und dessen Ehefrau Amy Farina für erste Proben zusammengetan, lose Verabredungen, erst drei Jahre später dann erste Auftritte - all das ohne Versprechungen oder die übliche Label/Platte/Tour-Routine (Stichwort: Hintertür). Doch nun, weitere zwei Jahre später, nun doch ein gemeinsames Album. Natürlich bei MacKayes Label Dischord, natürlich mit Produzent Don Zientara, der auch schon Minor Threat, Embrace, Fugazi und The Evens betreute. Und mit dafür sorgte, dass "Coriky" nach beidem klingt - nach vertrauter Mischung und angenehm frischem Aufschlag.

Und natürlich sind die Dinge wieder dabei, die gerade Fugazi und The Evens auszeichneten - die brachialen Breaks, der schroffe Funk, die schiefe Melodik, dazu viele, kleinere Bluesanleihen und natürlich reichlich kluge, politische Denkanstöße. Farina, MacKaye und Lally waren schon zuvor keine Parolenprediger*innen und auch auf "Coriky" kommen sie lieber durch die Hintertür. Mit Geschichten wie die der Pilotin, die sich bei "Clean Kill" einzureden versucht, sie mache einen sauberen, nützlichen Job und die sich doch, schwer von Zweifeln geplagt, nach Reinigung, nach Läuterung sehnt. Oder gleich danach die dieser Tage oft erzählte Begegnung zweier alter Bekannter, die einander mehr und mehr fremd geworden sind. Ein jeder beharrt auf seiner Meinung, man dreht sich im Kreis und kommt keinen Schritt vorwärts, das einzige Ziel ist es, den anderen zu überzeugen und Recht zu behalten. MacKayne wirkt enttäuscht und verzweifelt, wenn er feststellt: "Hard to explain, feels like everybody's gone insane." Entfremdung, Selbsttäuschung, dauerndes Missverständnis - Erfahrungen, die jede/r auf die eine oder andere Art schon gemacht hat und die dennoch, egal ob Familie oder Freundeskreis, immer wieder schmerzhaft sind.

Trotz seiner unumstößlichen Überzeugungen ist MacKaye immer ein nachdenklicher, besonnener Mensch geblieben, Punk, Veganer, Straight Edge zwar mit ganzem Herzen, aber stets bereit, die Dinge zu hinterfragen, das eigene Handeln nicht aus den Überlegungen auszuschließen. Deshalb auch Songs wie "Have A Cup Of Tea", "BQM (Beginning to Question my Motives)" oder "Jack Says". Gesunder Zweifel, Misstrauen, Neujustierung, die vor Unbelehrbarkeit und Selbstbeweihräucherung schützen. Dass "Coriky" lange Zeit brauchte, um endlich veröffentlicht zu werden, zeigt auch, dass ein Song wie "Inauguration Day" darauf Platz fand, ein Stück, das mutmaßlich Bezug nimmt auf die Amtseinführung des jetzigen Präsidenten Donald Trump. Und das ist dann vielleicht der einzige Moment des Albums, wo sie doch etwas deutlicher werden: "There's some people here to see you, I don't think, they agree with you, one hundred thousand strong, standing out on the lawn", heißt es dort. Und, vielleicht als Vorgriff auf Kommendes zu verstehen: "What's surprising is the expectation, that we ever had a say, about who'd be standing on that carpet on inauguration day." Übrigens: Wer mehr über Ian MacKaye, seine musikalische Sozialisation, sein Leben als Musiker, Labelchef und Archivar und natürlich über die neue Platte erfahren möchte, gönnt sich das Interview mit dem (zugegeben: recht gewöhnungsbedürftigen) Moderator John Ruskin aka. Nardwuar (ganz nebenbei zerstreuen diese neunzig Minuten auch das eine oder andere Vorurteil gegenüber alten, weißen Amerikanern der Neuzeit, können also generell nicht schaden).

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