Mittwoch, 19. Mai 2021

Squid: Verweigerungshaltung [Update]

Squid
„Bright Green Field“

(Warp Records)

Kann schon sein, dass der Vergleich etwas früh kommt und deshalb arg am Hinken ist. Aber wer hätte bei „Pablo Honey“ gedacht, dass eine Band wie Radiohead mal Alben wie „OK Computer“, „Kid A“ oder „Amnesiac“ veröffentlichen würde? Zur Erinnerung: Squid haben ihre Karriere vor drei Jahren mit einem Song über „Topfpflanzen“ begonnen, eine behagliche Zukunft in der Schublade Post-Punk war soweit beschriftet, alles klar eigentlich. Dass die fünf Jungs aus Brighton nun so ein atemberaubendes Tempo und eben dieses Debüt vorlegen, war sicher nicht absehbar, um so bemerkenswerter der Schritt, um so überwältigender der Eindruck jetzt. Gut, sie sind beileibe nicht die Einzigen, die ihre Bedenken hintenanstellen, ob das, was sie da tun, draußen auch angenommen werden würde, ob die Anhänger der ersten Stunde den Schwenk mitzugehen bereit sind – Bands wie Black Midi und Black Country, New Road können ähnlich ambitionierte Sachen vorweisen. Die einzige Frage, die hier gestellt wurde, hieß offensichtlich: Was geht? Und ihre Antwort heißt: Sehr viel. 

Und klar, mit Post-Punk ist das alles nicht mehr zu fassen. Zu Vieles, was einen solch engen Rahmen sprengen würde, spielt hier mit hinein: Allein der Dreiklang aus „Narrator“, „Boy Racers“ und „Paddling“, zusammen schon gut zwanzig Minuten lang, ist so voll mit Bezügen zu Jazz, Kraut- und Indierock, Artpop etc., dass man aus ungläubigem Staunen gar nicht mehr rauskommt. Nach dem funkig-überdrehten Einstieg mit „G.S.K.“ schlüpft Sänger Ollie Judge hier in die Rolle des selbstbestimmten „Erzählers“, der sich wild und ziemlich dominant durch die schrägen Bilder seiner Fantasie schlägt (was im dazugehörigen Clip auf geniale Weise visualisiert wird), den Gegenpart übernimmt Martha Skye Murphy, Trotz, Angstgeschrei, Ausbruch. Weiter mit den „Boy Racers“ in der Fiebertraumwelt, mehrfach unterteilt auch diese Stück – am Ende schieben sich hier dronige Synths, Bläser und verfremdete Stimmfetzen übereinander, experimentell nennt man das wohl, maximal unterhaltsam ist es auf jeden Fall.

Die Parallelen zum Dance-Punk von LCD Soundsystem sind in allen Tracks der Platte mal mehr, mal weniger offensichtlich, treibende Rhythmen, catchy Melodien, die mit Lust gebrochen werden, um wieder eine neue Tür zu öffnen, eine weitere Ebene aufzumachen. Querverweise rule: „Narrator“ nimmt Bezug auf das Stück „Eines langen Tages Reise durch die Nacht“, der „Documentary Filmmaker“ ist laut Band inspiriert vom minimalistischen Stil des Komponisten Steve Reich und „Peel St.“ wiederum zitiert aus einem post-apokalyptischen Werk („Eis“) der britischen Autorin Anna Kavan – Spannungsabfall Fehlanzeige. Wenn Judge bei „Global Groove“ die Zeile wiederholt „I’m so sick and tired of dancing“, dann meint er kaum den Sound und die Clubs seiner Heimatstadt, sondern den ermüdenden Alarmismus medialen Dauerfeuers. „Legs still, but the herd is in motion“ heißt es im achtminütigen „Pamphlets“ und weiter als Mantra „That’s why I don’t go outside.“ Wir sind Getriebene, alle miteinander, so sein Fazit, und die Lösung kann nur die Verweigerung sein. Frühes Meisterwerk, das.

11.10.  Köln, Bumann und Sohn
12.10.  Hamburg, Molotow
18.10.  Berlin, Kantine Berghain
21.10.  München, Heppel und Ettlich
23.10.  Zürich, Bogen F

Update: Der Teufel steckt hier nicht nur im Detail, sondern gleich im ganzen Video - Squid haben für den Clip zu "Pamphlets" den Illustrationskünstler Raman Djafari engangiert.



Keine Kommentare: