Midwife
„Luminol“
(The Flenser)
Es ist ja nicht selten so, dass man als Zuhörerin oder Zuhörer ein Werk gänzlich anders wahrnimmt, als es konzipiert wurde, Sprachbilder werden verschieden gedeutet, die Musik trifft einen in komplett anderer Situation und persönliche Veranlagungen spielen sicher auch eine nicht unbedeutende Rolle. Im Gespräch hört man dann oft den überraschten Satz: „Echt? Das habe ich gar nicht so beabsichtigt...“ Eine Reaktion, die man von Madeline Johnston so wohl nicht hören wird. Denn die Frau, die sich hinter dem Pseudonym Midwife verbirgt, wird kaum etwas dagegen haben, wenn man ihre Songs als ungemein traurig bezeichnet. Sie selbst hat ja für ihre Art, Musik zu machen – sie tut das ungefähr seit 2017 – den Begriff „grief core“ geprägt, der ein gutes Bild dafür abgibt, was sie da im eigenen Studio zusammenmischt. Dabei dürften die wesentlichen Stilmittel beim Shoegazing und Dreampop liegen, verschränkt mit Elementen des Drone-Metal und Post-Rock. Das alles aber in einer mittlerweile sehr reduzierten, sorgsam geschichteten Struktur.
Nach „Like Author, Like Daughter“ (2017) und „Forever“ (2020) ist das vorliegende Album nun das dritte der mittlerweile in New Mexico beheimateten Künstlerin, neben einigen anderen Gästen waren an der Produktion diesmal auch Zachary Cole Smith, Ben Newman und Colin Caulfield beteiligt, die Herren wissen als Mitglieder von DIIV ebenso genau, wie man eher sperrige Sounds mit großen Popmelodien verschneidet und zum Klingen bringt. Und auch wenn es hier nur ganze sechs Titel sind, sie halten alle ihre großartigen Momente bereit. Schon der Opener „God Is A Cop“, laut Johnston unter den Eindrücken des Mordes an George Floyd geschrieben, bringt allein mit Piano und Gesang eine Tragik und Niedergeschlagenheit zum Schwingen, die eben nicht mehr braucht – nicht mehr als die mantraartig wiederholten Worte „I can't kill the evil thought“, nicht mehr als die sparsam gesetzten, ebenfalls repetitiven Töne.
Das ist Johnstons große Stärke, sie beschränkt sich in Text und Ton auf das Wesentliche, weiß aber, wo sie nachdrücklich, auch mal laut werden muss. Die Folge ist eine Art Malstrom, der einen, wieder und wieder von Song zu Song, in die Tiefe zieht. Da sind die trägen, dröhnenden Gitarren bei „Enemy“ und die Zeilen „My body is against me, my body wants to kill me, my body is an army, my body's out to get me…“ oder die klanggewordene Tristesse von „2020“, die einen dennoch voll erwischt und nicht mehr loslassen will. „Colorado“ bringt die Klage über die Einsamkeit und Verlorenheit (die Gitarren nur mehr angedeutet, die Stimmung fast schon meditativ), „Promise Ring“ dann mit der bitteren Erkenntnis, dass Liebe nicht nur für Hochgefühl sorgt, sondern auch die Herzen bricht – nicht neu, aber sehr minimalistisch übersetzt und deshalb anrührend.
Woher die Trauer, möchte man da fragen. Vielleicht hilft es zu wissen, dass Johnston vor Jahren einen sehr engen Freund durch Selbstmord verloren hat und mit diesem Verlust noch immer zu kämpfen hat. Vielleicht ist sie aber auch einfach ein Mensch, die unbequeme Wahrheiten erforscht, auch wenn sie ihr Schmerzen zufügen können. In diesem Sinne lässt sich auch der Titel des Albums verstehen: Luminol ist ein Mittel, das in der Kriminaltechnik verwendet wird, um kleinste Blutspuren am Tatort nachweisen zu können, entsprechende Verweise tauchen immer auch in den aktuellen Videos von Alana Wool auf. Ganz zum Schluss tagträumt sich Johnston im Übrigen in das wohl berühmteste Gemälde des amerikanischen Malers Andrew Wyeth „Christina’s World“, allein zwar, aber auch auf der Suche und bereit für Neues. Gut möglich, dass sie am Ende doch noch Trost und Hoffnung gefunden hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen