Freitag, 30. Oktober 2009

Gehört_72



Julian Casablancas “Phrazes For The Young” (Sony)
Irgendwie hat man beim Hören des Solodebüts von Julian Casablancas das Gefühl, er wollte auf keinen Fall der letzte sein. Kollege Albert Hammond jr. – zwei Platten, Fab Moretti aka Little Joy schon mit dem ersten Wurf draußen, selbst Bassist Nikolai Fraiture versucht sich mit Nickel Eye am ersthaften Nebenerwerb – nur eine Frage der Zeit also, bis auch Nick Valensi ein geeignetes Projekt findet, das sich mit dem Aufkleber „Gitarrist der Strokes“ gewinnbringend verschönern läßt. Höchste Eisenbahn also, dass der Chef mal zeigt, dass er genügend in der Hose hat, um sich auch an eine Soloplatte zu wagen. Seltsamerweise wirken die Songs auf „Phrazes For The Young“ dann ungewohnt zurückhaltend, verwischt und ein wenig konturenlos. Casablancas hat sich ganz offensichtlich in eine Art angerockten Spielkonsolenpop verliebt, den man schon bei den Strokes schon einige Male in Andeutungen zu hören bekam. Im Gegensatz zur aktuellen CD blieben das aber nur marginale Verzierungen, die sich im straighten Sound der Band dankenswerterweise verloren. Nun aber wird angstfrei an allen Knöpfen gedreht, die an einem Casio zu finden sind. „Out Of The Blue“ und „Rivers Of Brake Lights“ fangen sich noch irgendwie zur Mitte hin, „4 Chords Of The Apocalypse“ (ver)sucht leidlich den Soul, aber bei „11th Dimension“ muß man regelrecht Angst bekommen, dass im nächsten Moment ein glitzerbehoster Backroundchor mit watteweichem „Schubiwabwab“ ins Scheinwerferlicht tritt. Mutig, ohne Zweifel, aber passend? „Ludlow St.“ bleibt verschlafen und spannungsarm, „Glass“ dagegen hat sehr viel von der schwärmerischen Großspurigkeit, die man sich gern für mehrere Songs des Albums gewünscht hätte. Dass „Tourist“ ganz am Ende mein uneingeschränkter Favorit ist wird all jene ärgern, die Mut generell belohnt wissen wollen und die kritisieren, dass eben dieser Song der rückwärtsgewandteste von allen sei. Aber, der Einwand muß erlaubt sein, er ist halt auch der schlüssigste, der mit der besten Hookline, hier gelingt Casablancas der Spagat zwischen Neuem und Bekanntem am besten – ein satter Elektroblues. Allzu hart sollte man am Ende ohnehin mit ihm nicht ins Gericht gehen – ein richtiges Unglück ist bei den knapp acht Liedern nicht dabei und mithin hat er ausreichend bewiesen, dass er durchaus in der Lage ist, den Kochlöffel auch mal allein zu schwingen. Wenn’s auch nicht immer ganz so gut schmeckt ...

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Gehört_71



Slayer „World Painted Blood“ (Sony)
Natürlich hat der Satz von Dieter Nuhr, wonach es hilfreich ist, wenn man von bestimmten Dingen nicht die geringste Ahnung hat, einfach mal den Mund zu halten, nach wie vor seine unbedingte Daseinsberechtigung. Und das mehr denn je in Zeiten von Supernannys, Real-Life-Verirrungen und sonstigen sinnfreien Debatierformaten. Ich gebe also zu, dass ich von Trashmetal und Artverwandtem so wenig Ahnung habe wie von chinesischer Lyrik aus dem 16. Jahrhundert – von ersterem aber im Gegensatz zu letzterem von Zeit zu Zeit eine gehörige Dosis brauche. Und zwar einige richtig fette. Mein Gott, “Killing is my future! Murder is my future!“ (Snuff), was ein Bockmist, und „Hate Worldwide“ bringt einen auch nicht wirklich auf die nächste Erleuchtungsstufe, aber zusammen mit Arayas Gekreische und Lombardos infernalischem Geknüppel sind das einfach mal Zeilen, die her müssen ab und an. Denn eines ist klar: Was bescheuerter ist, satanische Gitarrenmassaker oder grenzdebile Schunkelreigen in der Musikantenscheune, möchte ich nicht entscheiden müssen – nur blasen Slayer nun mal deutlich wirkungsvoller den Schädel frei. Das ging mir mit Pantera und natürlich auch Motörhead so und – obschon völlig andere Baustelle – die Rollins Band konnte hier ebenfalls stets gute Dienste leisten. Und deshalb gibt’s die volle Punktzahl vom erschreckend Ahnungslosen – da möge mir der wahre Fan verzeihen – diesmal nicht für das Album im speziellen, sondern für die Möglichkeit dieser Musik an sich und den Nutzen, den sie manches Mal erfüllen kann. Und jetzt halt’ ich wieder meinen Rand, versprochen.

Montag, 26. Oktober 2009

Gehört_70



Jack Johnson “En Concert” (Universal)
Mein ganz persönliches Jack-Johnson-Erweckungserlebnis hatte ich auf der Autobahn in Richtung Toskana im Sommer 2003. Schnell vor der Abfahrt noch eine CD ("On And On") gekauft, ich hatte den Typen kurz zuvor im Video mit Ben Stiller gesehen – irgendwie ziemlich cool. Ja, und diese CD hat dann den Player bis zum Ende des Urlaubs nicht mehr verlassen. Seitdem ist eine ganze Menge Ökostrom durch die Leitungen geflossen, der Junge ist so richtig populär geworden, ohne allerdings seinen smarten Charme zu verlieren. Eine Unzahl Magazine haben sich um seine Story gerissen und wollten sich mit seinem Gesicht verkaufen, er wurde zum urbanen Vorzeigeöko und hat als solcher sogar den singenden Kindergärtner gegeben. Platten hat er auch noch gemacht und zwar keine schlechten: Mit seinem Erstling „Brushfire Fairytales“ konnte ich nicht zwar noch nicht so viel anfangen, „In Between Dreams“ war dann aber ganz groß und auch das letzte Album „Sleep Through The Static“ hat gut gefallen. Zum Liveauftritt habe ich’s bisher noch nicht geschafft, rein akkustisch läßt sich das jetzt im ersten Schritt mal nachholen – „En Concert“ bietet eine sehr gefällige Auswahl seiner bekannstesten Songs. Alles wippt, swingt und federt entspannt, man merkt den Stücken die unbedingte Spielfreude deutlich an und es macht sich auch ganz gut, dass sie nicht so perfekt arrangiert wie auf den Studioalben klingen. Der angerauhte Blues bei „Sleep Trough The Static“, als Konserve schon beeindruckend, hier ein erster Höhepunkt. Auch für „Flake“ wird kräftig an den Saiten gekratzt, „Staple It Together“ dagegen gibt’s in einer sehr lässigen Jazz-Variante mit finalem Toastingpart. Eddie Vedder hält sich für „Constellations“ angenehm zurück und preßt seinen Gesang nicht wie sonst gewohnt durch die malträtierten Stimmbänder. Über die ganze Länge wird es zwar etwas schwierig, Spannung und ergo Aufmerksamkeit zu halten, aber für ein paar sommerliche Momente sollte es wohl bei den meisten reichen.

Dahinter steckt immer ein toter Kopf ...



Später mehr dazu. Hier schon mal der Link zur Bestellung:
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Freitag, 23. Oktober 2009

Gehört_69



Wolfmother „Cosmic Egg“ (Universal)
Man möchte ja niemandem Unrecht tun, aber die Musik von Wolfmother versagt sich einer schlaumeierischen und rockhistorischen Analyse auf sehr angenehme Art und Weise. Natürlich kleben eine ganze Menge von Vorbildern auf dem Gitarrenkoffer, Led Zeppelin, Deep Purple und auch Guns'n Roses hört man hierbei wohl am häufigsten. Aber ist es nicht letztendlich piepegal, wer hier die Blaupause für die Australier geben muß, wenn sie seit ihrem grandiosen, selbstbetitelten Debüt 2005 eine so kompromißlos eingängige und über jeden Diskurs erhabene Metalvariante hinbekommen, die auf dem neuesten Album "Cosmic Egg" ihre höchst erfreuliche Fortsetzung feiern darf? Denn auch da kreischt, sägt, brettert und jault es gar wunderbar, kaum eine nennenswerte Atempause wird dem Hörer gegönnt und auf die kleine, die man dann doch mit dem arg verschmusten "Far Away" bekommt, hätte man leicht verzichten können. Manch einer mag einwenden, dass das alles recht gleich klingt - macht aber nix, wenn der Spaßfaktor auf derart hohem Niveau gehalten werden kann. Die beiden ersten Stücke "California Queen" und "New Moon Rising" sind Opener feinster Qualität, "10.000 Feet" fett, "Violence Of The Sun" mit ebensoviel Wucht, man könnte fast jeden Song nennen und kräftig lobhudeln. Und mal ehrlich, ob das Metall dann am Ende "progressive", "stoner" oder "hairy" genannt wird, ob es "soft" oder "heavy" kommt, ist doch so wichtig wie die Brillenstärke von Guido Westerwelle. Was hier zählt ist: Krachen lassen. Und sie lassen ...

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Gehört_68



Gunter Gabriel „Sohn aus dem Volk“ German Recordings (Warner)
Mensch Gunter, altes Haus, da haste jetzt ’ne neue Platte gemacht – klar, mußte auch, was solln denn sonst Deine Fans in – na sagen wir mal: Eisleben sagen, die meinen sonst, der Gabriel, der liegt den ganzen Tag auf der faulen Haut und macht nischt. Nee Mann, neue Platte, ganz klar – aber Alter, hey, für mich hat das ganze nicht nur einen Geschmäckle, wie Deine schwäbischen Anhänger sagen würden, nee, das riecht schon ganz streng. Haste gedacht, machst es wie der Bargeld-Johnny, kann so schwer nicht sein, mit dem warste ja eh ganz dicke (sachste). Also’n Foto, was oll aussieht muß her, fette Typo drauf, geiler Titel, bodenständig halt und dann „german“, klar Augenzwinkern is so ganz Deins. Ja und dann die Songs, klar, müssen cool sein, hast ja gehört, dass der Johnny das mit Produzentenplautze Rubin so super hip rübergebracht hat, dass am Ende die Teenies sich sogar seine alten Scheiben zugelegt haben. Also: Ideal, Blaue Augen, was für’s NDW-Revival, kommt immer gut. Dann noch so’n blondes Gift, haben die A&R-Schluffis gemeint, brauchste auch – also die Mietze hat keinen Bock, aber die Kerstgens von Klee, die singt sowieso mit jedem der grad Zeit hat, die könnte gehen. Hat zugesagt, klar – prima. Ne Chartnummer wäre auch nicht schlecht, der Fox ging doch ganz gut den Sommer, nimmste den. Noch was für die Alten – hohoho, Bowie, Helden, Wahnsinnsnummer, dann klar, den Johnny selbst, is ja tot, sacht nix mehr gegen, und der Winston Charlie is auch cool, geht auch noch. Ganz am Schluß noch was für die Indiespinner, kann nich schaden, dass die auch einen mitkriegen, Radiohead, Creep, mit ganz ’nem wilden Text, aber hallo – da war mal einer mutig. Aber Alter, der Johnny, nich wahr, der hat aus ’nem guten Song ’nen besseren gemacht und bei ’nem sehr guten haste am Ende nich mehr gewußt, von wem der eigentlich war – das hatte der drauf. Und der alte Zausel Rubin hat ja auch ein Händchen, der faßt was an und – peng! Der Stach, tja, der macht BAP und die Apes, lange nix mehr gehört von, oder? Und die Songs, ehrlich Mann, besser sind die nich geworden, manche warn ja schon vorher ziemlich lau. Paßt nich, verstehste? Nich zu Dir, nich zu den Songs. Denke mal, da werden Deine alten Fans nich viel mit anzufangen wissen und die neuen, die jungen, die werden das Rangewanze auch checken. Deine eigenen Lieder übrigens, die sind so schlecht nich, denen hat die Abrüstung ganz gut getan. Wärste mal bei denen geblieben. Nix für ungut, Alter ...

Sonntag, 18. Oktober 2009

Hören+Sehen



The XX, 59:1, München 16. Oktober 2009
Lustig sehen sie aus, die vier Londoner, wie sie in einer Reihe da vorn auf der Bühne des ausverkauften 59:1 in der Sonnenstraße stehen, gerade so, als hätten sie heute Abend ihren langerwarteten ersten Gig im Landschulheim und wüßten nicht so recht wohin mit der johlenden Begeisterung um sie herum. Ein leises „Hello!“, ein verschämtes Lächeln in die Runde – so recht mag man nicht glauben, dass es sich hier um eine der wohl angesagtesten Bands dieses Jahres handelt. Rechts an Gitarre und Keyboard Baria Qureschi, verhuscht und seltsam unbeteiligt, neben ihr Oliver Sim mit unsicherem, leicht glasigen Blick, Bass und natürlich die eine Hälfte der Vocalparts. So wie er da steht könnte er im kompletten Ornat auch ein Kind der frühen 80er gewesen sein, ein perfektes Role-Model des anhaltenden Revivals. Romy Madley Croft gibt zusätzlich zur Gitarre das stimmliche Pendant zu Sim, kleiner, untersetzt und auf den ersten Blick der Kumpeltyp in der Musik-WG. Ganz außen dann Jamie Smith, der als Wiedergänger von Bastian Pastewka wohl beste Siegchancen beim Lookalike-Contest hätte. In seiner Berufsbezeichnung steht schlicht „Beats“, denn als „Drummer“ würde er angesichts seines Equipments den kompletten schweißtriefenden und schwer schuftenden Berufsstand böse diskreditieren. Smith genügt ein schlichtes Drumpad, zusammen mit einem einfachen Becken bildet er so die vollkommen ausreichende und erstaunlich präzise Rhythmus-Sektion, passend für den unterkühlten Sound von The XX. Das wegweisende Intro der Platte eröffnet auch das Konzert, danach in kurzer Folge die fabelhaften Songs des Debüts, „Crystalised“, „VCR“ und die erste Single „Basic Space“. Großartige Variationen zur CD, das wird schnell klar, sind nicht zu erwarten, ausufernde Soli entsprächen auch nicht dem Charakter der Platte. „Heart Skipped A Beat“ mit der an Cure angelehnten Hookline und natürlich das umwerfende „Infinity“, wohl eine Homage an Chris Isaaks „Wicked Game“. Alles klingt klar, dunkel und authentisch – nicht so selbstverständlich beim grassierenden Castingwahn. Diese vier spielen ihre Songs, weil sie offenbar nichts anderes wollen, fern jeder Attitüde und ohne Starkalkül. Und wie schon beim Erstkontakt mit der Platte auch im Konzert das verblüffte Staunen über die selbstverständliche Präsenz, die unglaubliche Klasse jedes einzelnen Stückes – geschrieben mit gerade mal 19 Jahren. Die Coverversion von Bobby Womacks „Teardrops“ swingt herrlich und hat, verziert mit glitzernden Cocteau-Twins-Gitarrren, nicht weniger Soul als das Original. Am Ende noch „Night Time“, auf angenehme Art fast zur Dancenummer gepusht. Dann: aus, keine Zugabe, Licht an – konesquent. Viel mehr hätte der Erstling nicht hergegeben – was heißt, viel mehr Perfektion hätte man in sechzig Minuten nicht ertragen können. Und jetzt: Danke und warten auf das was kommt …

Freitag, 16. Oktober 2009

Gehört_67



Rammstein “Liebe ist für alle da” (Universal)
Eigentlich müßten einem Rammstein mittlerweile schon fast Leid tun, gehen doch selbst ihnen, den leidenschaftlichen Provokateuren und darob gern und oft Geprügelten die Schlagzeilen langsam aus. Jede sexuelle Perversion ist besungen, jede der Todsünden in allen Varianten durchdekliniert und selbst beim Themenkreis „Grausame Verbrechen aller Art“ werden sie mal und mal von der aktuellen Nachrichtenlage getoppt. Bestes Beispiel ist das Entführungsdrama um Natascha Kampusch, welches sich Rammstein auf dem neuen Album für den Song „Wiener Blut“ vorgenommen haben – hier offenbart sich das ganze Dilemma der Band: Denn was gestern noch ein Schocker war, mutet heute schon wie ein Kindergeburtstag an, die Skala schraubt sich auf nunmehr 18 Jahre Dunkelhaft und selbst Rammstein müssen konstatieren „Willkommen in der Wirklichkeit“. Was zu Beginn der 15jährigen Bandgeschichte noch als skandalös galt, ist heute mäßig aufregend und wird es auch nicht, wenn man den Lautstärkeregler nach oben dreht – heute gibt es für jederman zugängliche Pornoportale für alle Arten von Lustgewinn, es gibt Splatter torrent und Kopf ab von Tarantino – warum also sollte das Video von „Pussy“ noch Ekel erregen oder „Ich tu dir weh“ noch Angst einjagen? Natürlich werden auch auf „Liebe ist für alle da“ wunderbar die Schlagwerke vermöbelt und mit aller Hingabe die Saiten malträtiert, nur so richtig weh will’s keinem mehr tun. Und so zitieren sie sich selbst (Rammlied) und werden – das größte anzunehmende Unheil – nach und nach fast ein wenig, ja: langweilig. Der „Frühling in Paris“ geht als vertane Chance dahin, ohne den kompletten Schwenk zu wagen, so wirklich gern möchte man Lindemanns Französisch auch nicht hören. Auch das Englische von „Pussy“ ist zu rund und zu weich, um als brauchbare Textur zu taugen. Gänzlich fehlt auf dem neuen Album der grandiose Schwerstmut von „Seemann“, „Klavier“ oder „Ohne Dich“, da kann auch „Roter Sand“ am Ende als Leichtgewicht nicht punkten. Lichtblicke vielleicht der „Haifisch“ mit einer gekonnten Mischung aus Wucht und Melancholie, „Gier“ hat ein brauchbares Thema, ist aber musikalisch ein Stück zu bieder. Ein letzter Grusel packt einen dann bei „Waidmanns Heil“, nicht weil das Stück so angenehm oldschool ist oder die Wortspiele einen entsetzen würden, sondern weil man ahnt, für welch makabre Stimmung der Refrain im überfüllten Konzertsaal sorgen dürfte – doch damit werden die Jungs umgehen müssen und wohl auch können. Als Fazit vielleicht der umgedeutete Titel – hier: Rammstein sind für alle da, und seit sie das sind, ist es mit der Relevanz ihrer Platten nicht mehr weit her. Das sollten sie schleunigst ändern, denn sonst landen sie bald als harmlose Gippspuppen in der medialen Geisterbahn oder – schlimmer noch – bei Gottschalk auf der Couch.

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Gehört_66



The Boxer Rebellion “Union” (Rough Trade)
Man hätte es ahnen können – sepiafarbenes Cover, weltumspannender Titel, da linst das Kalkül schon zwinkernd um die Ecke. Und nach den ersten Takten wird auch klar, dass The Boxer Rebellion leider in die allgegenwärtige Coldplay-Falle getappt sind. Und zwar mit beiden Füßen, mitten rein. Das muß man nun per se nicht unbedingt schlecht finden, denn gegen flauschige Kuschelhymnen läßt sich im frostigen Winter wenig einwenden. Wer aber im Jahr 2005 Gefallen am deutlich kantigeren Debüt „Exits“ gefunden hat, den wird es schon kräftig wurmen, dass die Londoner für ihren aktuellen Nachfolger eben jenen Weg wählen, den vor ihnen schon andere ähnlich ambitioniert gestartete Bands wie Razorlight, Keane oder Snow Patrol breitgetrampelt haben – Titel der Kurzbio: Vom Raubtier zum Bettvorleger, last exit Serien-Jingle. Nicht das auf dem erwähnten „Exits“ keine Lieder mit Zuckerguß gewesen wären, die gab’s auch da durchaus zu hören, aber sie waren nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Jetzt aber bleibt Nathan Nicholsons Stimme ohne nennenswerte Unterbrechung auf ein ewig barmendes Falsett beschränkt, die Musik erscheint fast ausnahmslos glattgebügelt – wenn’s dann noch mal gegen den Strich geht wie bei „Evacuate“ zuckt man förmlich zusammen, um gleich im Anschluß beim allzu süß triefenden „Soviets“ wieder mutlos in die Kissen zu sinken. Wenig besseres auch danach, der Kopf schwirrt einem von den tonnenschweren Lyrics, all den klagenden Chören und riesenhaft aufgetürmten Melodiegebirgen und wenn man die Augen schließt, schiebt sich einem fast zwanghaft die letzte Folge von Greys Anatomy, Privat Practice etc. vor Augen. Mit einigem Wohlwollen ist vielleicht „Forces“ gegen Ende ein Lichtblick, auch wenn dafür ein Streichholz ausreicht in der trüben Dunkelheit dieser Plüschsoße. Schade drum, wieder eine Band an den Kitsch verloren, bei der es durchaus für mehr gereicht hätte.

Freitag, 9. Oktober 2009

Gefunden_29



"Berlin jubelt: Sieg für Herta!"
(Münchner Abendzeitung vom 9. Oktober 2009)

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Gehört_65



Editors „In This Light And On This Evening“ (PIAS)
Was für eine große Versuchung, dieses dritte Album der Editors mal so richtig in Grund und Boden zu schreiben. Die Erwartungen waren ja nach dem lauwarmen Vorgänger „An End Has A Start“ sowieso schon in Bodennähe angesiedelt, das Debüt schien in unerreichbare Höhen gerückt und dann meinte Sänger Tom Smith zu allem Überfluß auch noch jedem erzählen zu müssen, er hätte außer Depeche Mode’s „Violator“ in letzter Zeit eigentlich nichts von Belang angehört. Puh – das war zwar sehr ehrlich, ließ einen aber auch mit gehörigem Mißtrauen zurück. Was nun zuerst auffällt – auch die Band selbst war offensichtlich mit dem zweiten Wurf nicht so zufrieden, wie sonst wäre der deutliche Schwenk in Richtung synthetischer Klänge sonst zu erklären. Bei der Vorauskopplung „Papillon“ meinte man ja schon seinen Ohren nicht zu trauen, nun, ganz so umgekrempelt erscheinen sie dann doch nicht über die kompletten neun Songs. Zum Einstand ein Hammer, der Titelsong „In This Light And On This Evening“ ist von einer atemberaubenden Finsternis, tiefschwarzes Raunen auf einem Teppich aus verzerrter Gitarre, Klavier und wuchtigem Drumset – schon ein Höhepunkt. Im folgenden wird dann schnell klar, dass die Editors auch hier sehr wohl die Editors bleiben, sie haben ihre großen Melodiebögen behalten, Smith’s Gesang verfängt noch immer, es gibt wieder gefällige Rhytmen und choralen Backround und natürlich die gewohnte (Über-)Dosis Pathos und Zuckerguß. „Bricks And Mortar“ hat all das, „Papillon“ steht als knochentrockner Crowdpleaser wohl außer Frage und für sich selbst, auch „You Don’t Know Love“ geht in Ordnung, wenn hier auch die Vocals ein wenig dünn wirken. Nicht alles gelingt freilich, aber das unbedingte Bemühen ist ihnen anzumerken. „The Big Exit“ kann sich zwischen Stampfen und Schwelgen nicht recht entscheiden, dafür ist ihnen mit „The Boxer“ wieder ein wunderbar tieftrauriges Rührstück gelungen, an das „Like Treasure“ fast ansatzlos anschließen kann. Bei „Eat Raw Meat = Blood Drool“ wird dann noch mal alles aus der Steckdose gezogen, was gerade verfügbar war, der Refrain gerät etwas schief, aber der Song als solcher ist recht kraftvoll und durchaus interessant. „Walk The Fleet Road“ am Ende ist, um beim anfänglichen Vergleich zu bleiben, kein „Clean“ geworden, dazu fehlt ihm ein wenig das Gore’sche Genie. Er schließt aber stimmig ein Album ab, auf das man so nicht gefaßt war, was in dieser neuen Ausrichtung aber nicht nur überraschen, sondern größtenteils auch überzeugen kann. Es wird spannend sein zu beobachten, wohin der Weg der Editors führt, bewegen sie sich doch, wie in der „Visions“ treffend bemerkt, in die entgegengesetzte Richtung, die Depeche Mode damals mit „Violator“ eingeschlagen haben. Keine Platte also, für die man sich schämen muß, bleibt zu hoffen, dass ihr Mut auch von ihrem Publikum honoriert werden wird.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Gehört_64



Black Heart Procession „Six“ (Temporary)
Die Frage ist: Kommt er noch vorbei? Wenigstens auf ein, zwei Songs? Schafft er es noch? Oder hat er zuviel um die Ohren in letzter Zeit mit Buchlesungen, Presseterminen und solchen Sachen? Irgendwie ist die neue Black Heart Procession so eine Art „Warten auf Godot“, nur dass Godot hier Cave heißt, auch hier nicht kommen wird und dieser Vergleich so schlüssig wie unnötig ist. Denn obwohl Black Heart Procession manchmal wie eine Reinkarnation der Bad Seeds klingen, kommt die Band natürlich seit ihrer Gründung 1997 auch ohne die Mitwirkung des allgegenwärtigen Gothbluesübervaters bestens über die Runden. Mittlerweile haben sie eine gehörige Anzahl von brillanten Alben eingespielt, von denen zwei der letzten, „Amore Del Tropico“ und „The Spell“, mit einer sehr höhrenswerten Ballance zwischen dunklem Grabgesang und schummrigem Barpiano aufwarten konnten. Sie sind damit und auch mit dem neuen Epos „Six“ beileibe noch keine Spaßkanonen geworden, präsentieren sich jedoch deutlich hörbarer als in ihren Anfangstagen. Manchmal klingt das zwar auch ein wenig mau – die Single „Rats“ gemahnt unnötigerweise an die leider ziemlich untoten Tito & Tarantula – um gleich danach mit „Heaven And Hell“ und „All My Steps“ dem Bandnamen die Ehre zu geben und tiefschwarz und schwermutstrunken den immerwährenden Trauerzug in einer Reihe mit Gevatter Knochenmann zu begleiten. Und das zieht sich naturgemäß, wird durch das ruppige „Suicide“ etwas aufgebrochen, bevor es dann mit „Down To The Underground“ endgültig ab in die Grube geht. Bei „Last Chance“ kreisen schon die Geier, rien ne va plus, gruselig schön gezupfter Abgesang, die Stimmen beim Schlußstück „Iri Sulu“ scheinen schon aus dem Jenseits zu kommen, begleitet von, klar – einer singenden Säge. Stil haben sie also schon. Da kann es dann doch nur eine Frage der Zeit sein, bis Mr. Cave mal vorbeischaut und ein bisschen mitjammert.

Gehört_63



Kings Of Convenience „Declaration Of Dependence“ (EMI)
Die Kings Of Convenience haben sich ja mittlerweile zu einer Art Simon & Garfunkel 2.0 vorgearbeitet, was aus dem Mund eines in den achtziger Jahren sozialisierten Rezipienten nicht grundsätzlich als Kompliment verstanden werden muß. Für diesen speziellen Fall sollen aber nur Respekt und Hochachtung des Kritikers aus diesem etwas verqueren Vergleich sprechen. Die norwegische Zweimanncombo um Multitalent Erlend Øye hat mit ihrem neuen Album ihren oft zitierten und ebenso oft fragwürdig und sinnfrei verhunzten Slogan „Quiet Is The New Loud“ in einer Weise vervollkommnet, die einen zuweilen staunen läßt. Es sind nicht die Abwechslungen und Überraschungen, die dieses Album so charmant und bewundernswert machen, denn davon gibt es nicht so sehr viele - es die Kleinigkeiten, die Details groß werden lassen, winzige Schattierungen, die einem wohlige Schauer über die Haut schicken. Besser als zum ausgehenden Spätsommer hätte diese Platte gar nicht kommen können, die Songs passen perfekt in das Stimmungsbild der letzten warmen Tage. „Boat Behind“ entwickelt einen so unverschämt lässigen Swing, der einen sogleich den feinen weißen und etwas kühlen Meeressand unter den Füßen spüren läßt, auch „Peacetime Resistance“ hat dieses herrliche Picking, das einen stetig mitwippen läßt. In den besten Momenten wie bei „My Ship Isn’t Pretty“ erreichen die Kings eine Stufe, auf der sich David Sylvian schon geraume Zeit am Langzeitprojekt „Komplette Selbstauflösung in vollkommender Harmonie“ versucht und mit seinem neuen Werk „Manafon“ offenbar kurz vor der Vollendung steht. Soweit wird es Erlend Øye wohl nicht kommen lassen, zu sehr ist er, auch wegen seines Nebenprojekts „The Whitest Boy Alive“ mit den Trends und Stimmungen des Hier und Jetzt verkabelt. Ein wenig Entrücktheit wie auf „Decalaration Of Dependence“ kann aber trotz allem nicht schaden, wozu wurden denn sonst Ohrensessel, Kaminfeuer und riesige Teetassen erfunden ...

Montag, 5. Oktober 2009

Ballspiele/2 oder Legenden in der Provinz



In solchen Momenten spricht man wohl von einer glücklichen Fügung. War ich doch am Einheitswochenende in meiner alten Heimat und just an diesem spielten die Alten Herren des Großenhainer FV gegen die Traditionsmannschaft der SG Dynamo Dresden. Und bei der Aufstellung des Gegners konnte es einem schon das Wasser in die Augen treiben: Ralf Minge (der immer noch so ausschaut wie gerade aus dem kalten Entzug entlassen), Hans-Jürgen „Dixi“ Dörner (mit beachtlichem Frontspoiler), Reinhard Häfner, Dieter Riedel, Matthias Döschner, Claus Boden, und und und – wenn einem da nicht warm ums Herz wird. Das Spiel war dank Großenhainer Qualitäten eines auf Augenhöhe, die Stars Minge und Dörner spielten gelinde gesagt deutlich unter ihren früheren Möglichkeiten. Dass das erste Tor für die Dynamos von einer Frau (!) geschossen wurde spricht Bände, Großenhain konnte die Partie dank beherztem Dagegenhalten und flüssigem Kombinationsspiel lange Zeit offen halten. Am Ende behielten die Bezirksstädter zwar mit einem schmeichelhaften 5:4 doch noch die Oberhand, dass aber nur, weil zur Halbzeit die Großenhainer AH1 durch die etwas schwächere AH2 ersetzt wurde. Nervendes Ärgernis am Rande: Die lokale Moderatorenlegende Gerd „Zimmi“ Zimmermann (who the f***...?) quatschte fast das komplette Spiel seinen unnötigen Senf durch die PA der Jahnkampfbahn, da wäre mir dann olle Heinz-Florian Oertel doch um einiges lieber gewesen. Ach ja, am Abend spielten dann im Festzelt noch die sagenumwobenen Phudys (Maschine, do you remember?), aber über diese Verirrung jedweden Musikgeschmacks breiten wir lieber schnell den Mantel das Schweigens ...
Großenhainer FV AH vs. TM SG Dynamo Dresden

Ballspiele/1 oder Das ist erst der Anfang ...



Also nicht dass Fußballspiele des TSV 1860 München hier gesonderte Erwähnung finden müssen – sie tun dies natürlich immer nur, wenn St. Pauli damit in Zusammenhang gebracht werden kann. Und diesmal ist der Zusammenhang ein höchst erfreulicher, haben doch die Kiezkicker ihre Mininiederlagenserie von drei Spielen erfolgreich beendet und die Münchner mit 3:1 Toren nach Hause geschickt. Klar ist natürlich, dass das nur ein Anfang gewesen sein kann, den Rest besorgen wir dann hoffentlich Anfang März 2010 in der hiesigen Allianz-Arena, um das schmachvolle 5:1 aus der vergangenen Saison endgültig vergessen zu machen. Es wird kalt in Minga, Ewald ...