Montag, 17. Mai 2021

Sons Of Kemet: Den Groove der Geschichte spüren

Sons Of Kemet
„Black To The Future“
(Impulse/Universal)

Die Gelegenheit, sich mit der Geschichte schwarzer Musik auseinanderzusetzen, ist in diesen Tagen, Wochen und Monaten günstiger denn je. Gut, auf den Auslöser, warum sich gerade jetzt verstärkt die afroamerikanische Kultur auch in unsere westeuropäische Wahrnehmung schiebt, hätte man natürlich gern verzichtet – Polizeigewalt gegen vornehmlich schwarze Mitmenschen, Alltagsrassismus, das Wiedererstarken der White-Supremacy-Bewegung, all das sind Dinge, die man überwunden glaubte und die doch nur beiseitegeschoben, verdrängt waren von anderen Themen und die nun mit Macht nach Wahrnehmung und Auseinandersetzung verlangen. Und das eben auch und besonders vielfältig in der Musik. Künstlerinnen und Künstler wie SAULT, MF Doom, Algiers, Run The Jewels, Beyonce, DMX, Alicia Keys, Kamasi Washington, Little Simz, Stormzy, Ghostpoet, Arlo Parks, Vagabon, Madlib, Slowthai, sonst in gänzlich unterschiedlichen Genres unterwegs, eint nun die gemeinsame Aufgabe, die Dringlichkeit besagter Probleme in unser Bewusstsein zu bringen. Und wir wiederum sind angehalten, ihre Klangen, Warnungen, ihre Wut und Frustration nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern darauf zu reagieren.



Und es ist ja nicht so, dass Hinhören anstrengend wäre. Nehmen wir beispielsweise das neue, vierte Album der Londoner Jazz-Formation Sons Of Kemet. Selten hat die Spurensuche nach schwarzer Musiktradition so viel Spaß gemacht, war sie so erfüllend wie hier. Denn ähnlich wie das zuvor genannte Künstlerkollektiv SAULT spannen auch diese vier Herren einen derart reichhaltigen Bogen, dass es bei aller gebotenen Ernsthaftigkeit ein reines Vergnügen ist, mit ihnen auf Entdeckungsreise zu gehen. Denn das ist diese Platte zuvorderst. Ein erhellender Artikel des Onlineportals The Quietus läßt Bandgründer und –philosoph Shabaka Hutchings zu den klanglichen und thematischen Hintergründen der einzelnen Stücke referieren, es geht um spirituelle und poetische Bezugsquellen in Europa, Afrika wie auch in der Karibik, die man ja wiederum deutlich im Sound der Platte wiedererkennen kann. Das Spektrum, das die Sons Of Kemet auf „Black To The Future“ mit Hip-Hop, Jazz, Dancehall, Reggae bis hin zu Klezmer-Anklängen umreißen, ist beeindruckend, ja stellenweise überwältigend.



Pickt man sich nur das vergleichsweise ruhige Herzstück des Albums, das programmatische Instrumental „To Never Forget The Source“ heraus, so besitzt allein dieser Song schon einen derart ansteckenden Groove, wie man ihn bei klassischem Jazz eher selten zu hören bekommt. Hutchings Saxophon, die Tuba von Theon Cross und die beiden Drummer Tom Skinner und Eddie Hick leisten hier schon Erstaunliches, so viel mehr noch in den übrigen, weitaus wildernen Passagen des Albums. Hier schließen sie mühelos an die fiebrigen Jams ihrer vorangegangenen Werke an, zuletzt das großartige „Your Queen Is A Reptile“ aus dem Jahr 2018, auf welchem jeder einzelne Track einer weiblichen Vorbildfigur der schwarzen Geschichte gewidmet ist. Neben den furiosen Klängen kommen die wenigen Texte auf der aktuellen Platte von Künstlern wie dem Poeten Joshua Idehen, der zu Beginn und zum Schluss schwarzes Selbstverständnis und den anhaltenden Kampf proklamiert, mit dabei ebenfalls Künstler und Rapper wie Kojey Radical, D Double E, die Musikerin Angel Bat Dawid und die Aktivistin Camae Ayewa alias Moor Mother. Ein grandioses Album, eines zum Spüren, Nachdenken und nicht zuletzt zum Dazulernen.



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