Donnerstag, 24. September 2020

Idles: Jedem seine Chance

Idles
„Ultra Mono“

(Partisan Records)

Nein, um die Musik geht es schon länger nicht mehr. Weil ein Künstler, eine Künstlerin oder eben eine Band immer mehr ist als Musik, mehr als ein paar Songs, ein neues Album, wird gerade in den Netzwerken und Magazinen ein Streit ausgefochten, der von selten erlebter Intensität und Schärfe ist. Manch eine/r fühlt sich an die längst vergangenen Jahre der Herren Gallagher, Williams und Albarn erinnert, doch da ging es nur um vergleichsweise lächerliche Hahnenkämpfe und die Frage, wer wohl den Größten, den Längsten habe (sie wussten es nicht besser, es waren andere Zeiten) – pubertärer Kinderkram also. Joe Talbot, Frontmann der Idles, wird da gerade mit weitaus schwerwiegenderen Vorwürfen konfrontiert, muss Stellung beziehen, seine Band nehme es nicht ernst genug mit den Parolen, die er ihnen selber textet. Zuviel vom falschen Marketing, zu wenig Unterstützung für Frauen, fehlende oder späte Wortmeldungen der Solidarität an gebotener Stelle – Talbot sieht sich in eine Position gedrängt, die ihm sichtlich Unbehagen bereitet. Und weil man in der Defensive leichter Fehler macht, agiert er ein ums andere Mal recht unglücklich.


Irgendwas gelernt daraus? Nun, es gibt wohl unter der angeblich so weltoffenen und toleranten Künstlerschaft doch noch deutlich Luft nach oben in Sachen respektvollen Umgangs miteinander, im Haifischbecken sind viele, zumeist männliche, Exemplare mit knüppeldicken Egos unterwegs, zudem bewaffnet mit steinharter Moral und unfehlbaren Urteilen, Fehler werden kaum gestattet, Meinungen weggewischt, der Diss regiert. Es zeigt sich aber auch, dass die Diskussionen, die Talbot führen muss (weil er sie sich zum Teil selbst eingebrockt hatte), sehr wohl dringend notwendig waren und sind, dass es zur Gleichberechtigung aller Geschlechter auch unter Musiker*innen noch ein viel weiterer Weg ist als angenommen. Dass es nicht reicht, Slogans auf bunte Shirts zu drucken und sich der eigenen Überzeugungen zu rühmen, wenn die Taten nicht folgen. Gleichwohl scheint die Bereitschaft, Fehler nicht nur zu erkennen, sondern auch mal zuzulassen, wenn denn ein Lernprozess folgt, nicht sonderlich ausgeprägt.


Denn natürlich sind die Idles weder mysogyn noch rassistisch, natürlich stellen sie sich auch mit dem neuen Album auf die Seite derer, die den Brexit energisch ablehnen, die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten der herrschenden Eliten in ihrer Heimat anprangern, sich jeder Art von Homophobie, weißer Überheblichkeit und Frauenfeindlichkeit entgegenstellen. Ihre Texte, eben auch die neuen, geben ein deutliches Bild davon, sind Kampfansagen, klar, energisch, leidenschaftlich. „Our government hates the poor, cold leaders, cold class war, given drugs you can't afford, so the poor can't buy the cure“, heißt es in „Anxiety“, bei „Grounds“ wiederum „Saying my race and class ain't suitable, so I raise my pink fist and say black is beautiful“ und im Duett „Ne Touches Pas Moi“ mit Jehnny Beth von den Savages gibt es wenig später wiederholt klare Ansagen zu toxischer Männlichkeit und dem „No Means No“ der #MeToo-Bewegung. Meinen sie es, leben sie es so, wer wollte ihnen dann etwas vorwerfen?!


Musikalisch ist dieses dritte Album vielleicht nicht gerade ihr bestes geworden. Klar, die Drums werden verprügelt, als gäbe es kein Morgen, auch Gitarre und Bass legen sich gewohnt mächtig ins Zeug, allein, es kommt nichts wesentlich Neues hinzu. Zehn Stücke hindurch schreit sich Talbot mit seiner Wut, seinem Frust und seiner Anklage die Seele aus dem Leib – selbst für den hartgesottensten Idles-Fan dürfte dieser Lärmpegel auf Daueranschlag etwas ermüdend sein. Zumal sich die Lyrics nicht selten in gebellten erschöpfen Wortfetzen – das ist manchmal etwas dürftig. Bezeichnend also, dass neben tatsächlich grandiosen Stücken wie „Model Village“ und „Reign“ ein Song wie „A Hymn“ am längsten in Erinnerung bleibt, am tiefsten geht: „I want to be loved, everybody does“ gesteht Talbot hier freimütig und hat uns sofort auf seiner Seite.

Noch einmal also: Man darf die neue Platte der Band aus Bristol gut finden oder nicht (wir für unseren Teil tun ersteres mit einigen Abstrichen), man kann die Band in ihrem manchmal etwas unglücklichen Tun kritisieren, man sollt es sogar. Selbstgerechtigkeit, überzogene Moral oder verletztende Häme sind dennoch fehl am Platz. Aber die Nebengeräusche dieser Veröffentlichung vorschnell zu verbannen, hieße sie als Teil einer sehr notwendigen Debatte kleinzureden, ihre mögliche Wirkung zu schmälern. Wo uns heute doch vieles unabänderlich, aussichtslos scheint, wo wir uns ohnmächtig fühlen, da gilt in diesen Fall sicher, dass ein/e jede/r die Chance dazu hat, die Dinge um sich herum und auch sich selbst zu ändern, dazuzulernen. Und wenn ebenjene Diskussion das anzuschieben vermag, ist das beileibe kein geringer Verdienst.

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