Mittwoch, 25. November 2020

Nadine Shah: Die Unruhestifterin [Update]

Nadine Shah
„Kitchen Sink“

(Infectious Music)

Schon verwunderlich, dass große Supermarktketten für Künstler*innen nicht längst Aufkleber haben produzieren lassen, auf denen sie ihre Kunden mit folgendem Hinweis zu warnen: „Achtung – der übermäßige Genuss dieses Produktes könnte sie nachhaltig verunsichern!“ Klar wäre dann: Nadine Shah, gebürtige Britin mit norwegischen und pakistanischen Wurzeln, hätte sich ein Dauerabonnement darauf ehrlich verdient. Und würde sie wohl als Auszeichnung verstehen. Seit sie ihre Karriere 2012 mit der EP „Aching Bones“ startete, hat sie sich in punkto direkter Ansprache und bitterbösem Sarkasmus nie zurückgehalten, schon auf ihren beiden Alben „Love You Dum And Mad“ (2013) und „Holiday Destination“ (2017) beschäftigte sich die streitbare Frau mit Themen wie Feminismus, Antiislamismus, Flüchtlingselend und Rassenhass. Toxische Männlichkeit in Verbindung mit überkommenen weiblichen Rollenbildern – hier als angeborene, tradierte Allmachtsfantasie, dort die Unterordnung, das Schamgefühl und der Rückzug – all diese Auswüchse und Verirrungen gelten ihr als dauerhafte Angriffsziele und gerade die neueste, dritte Platte „Kitchen Sink“ ist voll von wütenden Grußadressen.



„If anyone takes offence to anything on Kitchen Sink, they’re the one with the problem, not me“, hat sie gerade dem Guardian gesagt und es ist anzunehmen, dass viele Menschen beim Anhören der Platte – auch wenn sie in ihren Texten vieles bewusst pointiert und überhöht – durchaus das mulmige Gefühl beschleicht, ertappt worden zu sein. Schon das Cover spricht Bände: Sorgsam arrangierte Langeweile im Stile der Dinnerparties der 60er, brav, öde, traurig (als Deutsche/r würde man wahrscheinlich noch Mettigel und Erdbeerbowle ergänzen). „Ladies for babies and goats for love“, heißen die beißenden Zeilen dazu, aufgegeilter Jagdinstinkt trifft servile Gefügigkeit, so soll es laufen, so macht es Spaß. Man hat die Bilder dazu vor Augen und sie stammen nicht unbedingt aus der miefigen Spießerhölle vergangener Jahrzehnte, man findet sie ebenso hinter den Vorhängen gutbürgerlicher Reihenhäuser. Dort also, wo die Gerüchte aus den Spülbecken wabern wie giftige Dämpfe – schöner Reim dazu: „Don't you worry what the neighbours think, they're characters from kitchen sink, forget about the curtain-twitchers, gossiping boring bunch of bitches“ („Kitchen Sink“).



Und das alles mit tiefer, ungemein sinnlicher Stimme vorgetragen, wir sind durcheinander, David Lynch läßt freundlich grüßen. Shah wäre also nicht die Kämpferin, wenn sie nur die Männer im Blick hätte, auch ihresgleichen bekommt ordentlich was zum Nachdenken. So singt sie in „Trad“ (Update: Video) von der mutlosen Genügsamkeit, mit der sich manche Frau aus Angst vor Alter und finanzieller Notlage in den Ehe-Kokon zurückzieht, unzufrieden, lustlos, aber abgesichert. „Shave my legs, freeze my eggs, will you want me when I am old? Take my hand, whilst in demand and I will do as I am told“, heißt es dort, und weiter: „Take me to the ceremony, make me holy matrimony“. Natürlich weiß Shah um die Sorgen und Nöte der Frauen, wenn sie ihnen ins Gewissen redet. Der Song also eher ein Spiegel, der zeigen soll, wohin Bequemlichkeit und Kapitulation führen können. Der Sound dazu ist im Übrigen nicht weniger spannend, mal jazzig groovende Bigband, mal dreckiger, elektrischer Blues, auch Piano und Blockflöte dürfen nicht fehlen. Eine Platte, die Unruhe stiftet, aufwühlt, antreibt. Sicher nicht das Schlechteste für all jene die meinen, der Kampf sei schon gewonnen – auf welcher Seite auch immer.

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