Freitag, 7. September 2018

Interpol: Gegensatz als Triebfeder

Interpol
„Marauder“
(Matador)

Die Geschichte von Interpol war immer auch eine der Rechtfertigungen, Missverständnisse, Gegensätze. Denn wenn der dunkel schimmernde, basslastige Waverock der New Yorker schnell den Bogen zu den einschlägigen Vorbildern der 80er spannte, so wollten doch Sänger Paul Banks, Gitarrist Daniel Kessler und Drummer Sam Fogarino von solchen Referenzen nichts hören – fielen in einem Interview Namen wie Joy Division, The Chameleons oder Television, konnte die Unterhaltung schnell frostig und ungemütlich werden. Einzig Ex-Bassist Carlos Dengler schien, schon rein optisch, den offensichtlichen Bezug zu leben, fast folgerichtig verließ er 2010 die Band. Etwaige Hoffnungen auf seine Rückkehr anlässlich der Jubiläumstour zum Debütalbum „Turn On The Bright Lights“ wurden mit vehementen Statements zurückgewiesen. Was Wunder also, dass in einer Aufzählung der Songs, die Banks zum Musikmachen inspirierten, Post-Punk nicht einmal ansatzweise zur Sprache kam, wohl aber Michael Jackson, Pink Floyd, Golden Earing, N.W.A. und Aerosmith. Interpol hatten und haben zu der Ecke, in die sie sich von Fans und Kritikern gedrängt sehen, kein sonderlich entspanntes Verhältnis.

Um so erstaunlicher ist es, daß die Band auch bei ihrem mittlerweile sechsten Studioalbum auf dem für sie so typischen Sound beharrt: Banks‘ sehnsuchtsvoll schmachtender Gesang, Kesslers jubilierende, melancholische Hooks und Fogarinos treibendes Schlagwerk, alles klingt vertraut, Ausreißer, Brüche sind kaum zu hören. Man könnte fast meinen, die Tour mit dem Erstling im vergangenen Jahr habe diese Platte sogar noch ein Stück näher zu den Anfangstagen gerückt – eine These, die im Interview schnell verneint wird, denn zum Zeitpunkt der Feierlichkeiten seien schon gut achtzig Prozent der neuen Stücke fertig gewesen. Sei’s drum. Auch wenn die Düsternis des Beginners genauso wenig erreicht wird wie der Druck von „Antics“ und Glanz und Majestät von „Our Love To Admire“ – die vorliegenden Stücke sind allemal gelungene Fortschreibungen altbekannter Klasse, und das auf höherem Niveau als noch beim etwas zerfaserten Vorgänger „El Pintor“.



Die Harmonien sitzen, die Riffs passen und packen zumeist, besonders gut beim Einstieg „If You Really Love Nothing“, wenn Banks die Beliebigkeit und Lieblosigkeit, den schönen Schein ohne Tiefe besingt und die Gitarren dazu trocken schnarren (das Stück, welches die wunderbare Kristen Stewart im Video von Hala Matar perfekt in Szene setzt, gibt übrigens laut Banks die aktuelle Parallele zu „Stella Was A Diver And She Is Always Down“ aus der Zeit der Jahrtausendwende). Ebenso gelungen die bitter-süßen Mollmelodien bei „Flight Of Fancy“ und „NYSMAW“, die rauen, pulsierenden Akkorde von „Stay In Touch“ und Banks brüchige Aufgewühltheit am Schluß („It Probably Matters“). „Everytime you'd walk away I'd bring it outside, cause I didn’t have the grace or the brains“ verzweifelt er da, die Befürchtungen eines Kleinlauten im Moment der Besinnung. „Marauder“, so hat er gesagt, stehe für das Schlechte in uns allen, das beim einen mehr, beim anderen weniger zu Tage tritt, aber doch immer ein Teil von uns ist.

Die Neugier und die Lust sind es, die eine Band lebendig halten – so lange beide in ausreichendem Maße vorhanden seien, müsse man sich auch nicht für jedes Album neu erfinden, die Glaubwürdigkeit erziele man, so Banks, aus der Energie, die man in seine Arbeit stecke. Man möchte noch die Gegensätzlichkeit hinzufügen. Denn gerade weil Interpol versuchen, so vieles gleichzeitig zu sein – arty, rockig, rude, zärtlich, soulful, rough, geheimnisvoll uvm. – gerade deshalb gelingen ihnen noch immer berührende Songs, die im Gedächtnis haften bleiben. Dass dies nicht bei jedem Versuch klappen kann, ist verständlich („Number 10“ zum Beispiel fällt nach traumhaften Intro rätselhafterweise komplett auseinander), die Anzahl der achtbaren Stücke überwiegt noch immer die der weniger spannenden, sie haben damit deutlich mehr Ausdauer und Beständigkeit bewiesen als manche andere Kapelle ihrer „Alterklasse“. Und sie scheinen damit noch längst nicht fertig zu sein. Gut zu hören. http://www.interpolnyc.com/

23.11.  Hamburg, Theater am Großmarkt
25.11.  Berlin, Tempodrom

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