Madlib
„Sound Ancestors“
(Madlib Invazion)
So genial diese Art von Musik auch ist, sie birgt – zumindest für uns Normalsterbliche – auch ein nicht zu unterschätzendes, erhebliches Frustrationspotential. Man kennt das im Übrigen auch von der oft als ebenso lebensnotwendig erachteten Literatur. Wer hatte nicht auch schon diesen ernüchternden Moment, wo er/sie feststellen musste, um wievieles die Menge an vorzüglichen Büchern, die in früheren Jahrhunderten, Jahrzehnten oder eben gerade erst geschrieben worden sind, die Zeit übersteigt, die man selbst zur Verfügung hat, um sie alle zu lesen. Selbst wer sich eremitenhaft seiner Umwelt und ihren sonstigen Verführungen respektive Störungen zu entziehen vermag, wird das alles nicht bewältigen können. Es ist, wie gesagt, äußerst frustrierend.
Nicht anders ergeht es einem mit dieser wunderbaren Platte hier. Die Art von hochintelligentem Patchwork, das Otis Jackson Jr. alias Madlib unter schöpferischer Mithilfe von Produzent Four Tet aka. Kieran Hebden hier präsentiert, ist so überreich an Quer- und Quellverweisen, dass einem, folgt man den glücksverheißenden Verästelungen bis hin zu den besagten ‚Ancestors‘, also Vorfahren, irgendwann die Zeit ausgeht - der Ärger darüber droht, die Freude an der Entdeckung zu überholen. Mit der nötigen Gelassenheit (woher aber nehmen?) muss man es natürlich so weit nicht kommen lassen – wohl denen, welche die dargebotene Palette an verschiedensten Stilen und Sounds mit ungetrübtem Glücksgefühl erleben können. Anlass dazu bietet sich in den vierzig Minuten zu Hauf: Wie auch schon auf vielen seiner vorangegangenen Alben und Kollaborationen erweist sich Madlib als Großmeister aller Bastler beim Verschneiden unterschiedlichster Einflüsse, historischer Bezüge und recht witziger Ideen (die Nummer mit dem Anrufbeantworter ist einfach zu schön).
Sein epochales Album „Madvillain“ zusammen mit dem gerade verstorbenen MF Doom hat man ohnehin parat, dazu flirren einem unablässig Begriffe wie Blue Note und Motown durch den Kopf, der von der ersten Minute an sowieso schon in ständiger Alarmbereitschaft auf der Suche nach neuen Erinnerungsreizen ist. Wie hier also Zitate aus Jazz, Funk, Soul, Hip-Hop miteinander verwoben werden, wie lateinamerikanische und afrikanische Historie mit einfließen, das hat schon eine ganz besondere Qualität. Eine, die man im letzten Jahr auch vom Klangkollektiv Sault hören und bewundern durfte, eine, mit der in früheren Zeiten auch der legendäre Wu-Tang Clan und die späten Beastie Boys auf unterschiedliche Weise brilliert haben. Und wer für sich aus diesem auf’s feinste verschränkten Klangkosmos noch eine winzige Referenz zu entdecken vermag (hier war es beispielsweise – wahr oder nur der eigenen Phantasie geschuldet – „One More Night“ von Phil Collins in „Theme De Crabtree“), die/der ist danach um so glücklicher. Und vielleicht überwiegt ja dann doch eher die Freude darüber, was an Unbekanntem sonst noch auf einen wartet.
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