Sleaford Mods
Support: Massicot
Köln, Live Music Hall, 18. Mai 2018
Gut, diese kleine Hoffnung hat sich dann doch nicht erfüllt – kein neues Material. Nicht in München, auch nicht bei der Dresdner Premiere, Hamburg, Berlin, Köln, es war wohl noch nicht die Zeit dafür. Doch wie winzig nimmt sich diese Enttäuschung aus gegenüber der Genugtuung, dass die beiden Typen da oben auf der Bühne immer noch und gänzlich unverfälscht die sind, die einen seit Jahren begeistern und dazu bringen, ihnen selbst jetzt noch wie ein Groupie hinterherzureisen. Es geht ja bei der Sache immer auch ums Alter, zumindest wenn man diesbezüglich (so wie die vielen anderen im Saal) in der selben Liga spielt wie Jason Williamson und Andrew Fearn. Und eben das ist ein wichtiger Teil des Phänomens Sleaford Mods, dass sie einem das willkommene Gefühl vermitteln, auch knapp vor der 50 noch ohne jede Peinlichkeit wütend, laut und kämpferisch sein zu können. Okay, also sie sind es und man selbst steht lieber unten und schau ihnen dabei zu. Aber es ist halt nicht das Gleiche, auf einem dieser unsäglichen Reunion-Retro-Konzerte ungeduldig darauf zu warten, dass endlich das Saallicht gelöscht wird, um die gesammelte Berufsjugendlichkeit (deren Teil man ja selbst ist) rundherum nicht ansehen zu müssen, wo man später beim Heranzoomen der verräterischen Bühnenkameras über die eingefallenen, müden Gesichter und die schütteren Haare der einstigen Idole erschrickt und wirklich, wirklich froh ist, dass sie wenigsten dieses Mal die Klamotten am Leibe behalten und die Show mit einigermaßen Anstand beenden.
Die Mods hat man hierzulande spät für sich entdeckt, erst vor zehn Jahren kamen die ersten Tracks über den Kanal und das ist ein Segen. Genau wie der oft und zu Recht gelobte Purismus ihrer Auftritte: Videowände? Bullshit. Rockposen? Braucht kein Mensch. Stattdessen: Bierkastenrack, Notebook, Mikrophon – der Rest ist pure Emotion. Das Tänzeln, Stolzieren, Schreien, Bellen, Grunzen, wer nur die Musik gehört, sie aber über die Jahre nicht live gesehen hat, der wird die Mods nicht zur Gänze kennenlernen, bleibt außen vor. Die Konzerte sind wie wahren Erlebnisse, bleiben der Schlüssel zum Werk und die einzig gültige Erklärung, warum Punk nichts oder nicht ausschließlich mit schiefen Gitarre, Parolen und Pogo zu tun hat, sondern hauptsächlich mit Wahrhaftigkeit und Haltung. Gerade war zu lesen – und auch das gehört zu diesem Abend, der ja auch ein Vorabend ist, dazu – daß die unausweichlichen Bilder der royalen Trauung am Folgetag selbst die ärgsten Kritiker betört hätten. Und man ist heilfroh, dass Williamson offenbar immun gegen diese mediale Gehirnwäsche ist, die ihn und sein Land gerade heimsucht, dass er weiterschimpft über die Verrücktheit, den Gestank, die Entfremdung und Verrohung der Subutex-Welt. Er läßt sich nicht kleinkriegen, bleibt standhaft und wir lieben ihn dafür. Wohl wissend, dass wir’s selbst wohl eher nicht draufhätten.
Sie bleiben also ungebrochen: die Energie, der treibende, brutale Groove von „Jobseeker“, „Jolly Fucker“, „Fizzy“ und „Tweet Tweet Tweet“, Williamson zeigt sich bei keiner Note weniger angespannt, weniger explosiv als bei früheren Shows, das luzide Joker-Grinsen in der Visage, der Griff in den Schritt, die Reime, die er herausspuckt und sogleich mit einer schroffen, zwanghaften Handbewegung nach hinten wegkickt. Fearn dagegen mit beseelter, entspannter Mimik, nie um einen freundlichen Gruß verlegen und stets eins mit seinen geloopten Bytes und Beats. Für diese Saison war’s das wohl, die „English Tapas“ wurden ausreichend serviert. Anfang Juni darf man sich auf den offiziellen DVD-Release der preisgekrönten Doku von Christine Franz freuen, „Bunch Of Kunst“ gelingt mit der Mischung aus alltäglicher Banalität englischer Kleinstadttristesse, liebevoller Männerfreundschaft und abgefilmter Liveperformance tatsächlich so etwas wie eine Erklärung für die Einzigartigkeit dieser zweifellos genialen Band. Neues Material, zurück zum Einstieg, ist wohl schon in Arbeit. Vorfreunde also, immer noch. Und auch wenn man weiß, dass sie irgendwann weg sind, weg sein müssen, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit behalten wollen – für den Moment sind sie nichts weniger als: die Größten.
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