Michaela Meise
“Ich bin Griechin”
(Martin Hossbach)
Wenn man Michael Buhrs zuhört, kommt man selbst ins Grübeln: So leicht sollte dem Direktor des Münchner Künstlerhauses Villa Stuck eigentlich nichts mehr die Sprache verschlagen. Schließlich hat im Keller seines Museums schon Marina Abramovic bergeweise Knochen geschrubbt, nagelte Hermann Nitsch im Garten unter Beigabe von jeder Menge Blut und Gedärmen abermals Jesus ans Kreuz und auch Richard Jackson beanspruchte die Räumlichkeiten mit seinen obskuren Farbinstallationen nicht eben wenig. Wer Jonathan Meese ertragen hat, dem, so meint man, ist nichts mehr fremd. Und doch schwingen Ungläubigkeit und Erstaunen mit, wenn Buhrs vom vergangen Freitag erzählt. Da nämlich gastierte im Rahmen einer Ausstellung des Münchners Christian Hartard die Berliner Musikerin und Songwriterin Michaela Meise für einen Kurzauftritt in der Villa. Von Meise weiß man, dass sie seit längerem als sogenanntes “konstituierendes Mitglied” des Duos Phantom/Ghost geführt wird, dem Projekt also von Film- und Theaterregisseur Thies Mynther und Dirk von Lowtzow (Tocotronic), das seit der Jahrtausendwende in unregelmäßigen Abständen für Jubelstürme bei Kritikern und (hüstel) Feuilletonisten sorgt.
Im Jahr 2010 hat Meise eine auf den ersten Blick ziemlich skurrile, weil dermaßen aus dem Zeitgeist gefallene Arbeit veröffentlicht – gemeinsam mit auserlesenen Gästen und begleitet vom eigenen Akkordeon sang sie auf denkbar unverfälschte Weise alte, katholische Kirchenlieder ein. “Preis dem Todesüberwinder”, so der Titel, sollte mitnichten ein religiöses Statement oder gar eine kabarettistische Lachnummer sein, sondern in der Tradition griechischer Rembetiko-Aufnahmen den Fokus auf das Volksliedhafte und die Dichtkunst der eingespielten Stücke richten. Vier Beispiele dieser Sammlung hat Meise an diesem Abend den Ausstellungsgästen vorgetragen, mehr wären, so Michael Buhrs, dem Publikum auch kaum zuzumuten gewesen, welches genau wie er ziemlich perplex dem Geschehen folgte und von der Wirkung dieser ungewöhnlichen Arrangements einigermaßen geplättet war.
Auf Wunsch von Christian Hartard gab Meise zudem noch einen Einblick in ihr gerade erschienenes Werk und auch zu diesem gibt es natürlich eine interessante Geschichte. Der Name des Albums bezieht sich auf eine Platte der griechischen Schauspielerin und Sängerin Melina Mercouri, die sie Anfang der Siebziger unter dem Titel “Je Suis Grecque” in französischer Sprache aufnahm. Meise wiederum hat hier Lieder von Mikis Theodorakis, Barbara Brodi, Georges Moustaki und der deutschen Chansonette Alexandra zusammengetragen, übersetzt und gemeinsam mit Musikern der Band Isolation Berlin und deren Produzenten David Specht eingespielt. Das Ergebnis ist schlicht überwältigend. Die Stücke nehmen zum Teil deutlichen Bezug auf Greuel und Unmenschlichkeit von Krieg und Gefangenschaft und das damit einhergehende Flüchtlingselend (“Ich bin ein Fremder”) – und könnten deshalb aktueller und drängender kaum sein.
Allein der Gesang an die Frauen von Mauthausen, Auschwitz, Dachau und Bergen-Belsen (“Hoheslied”, das Original “Asma Asmaton” stammt aus einem Liederzyklus von Iakovos Kambanellis und Mikis Theodorakis) geht einem derart nahe, dass es kaum auszuhalten ist. Ähnliches passiert kurz darauf mit dem Stück “Lume, Lume”, einer rumänischen Weise, in welcher die Vergänglichkeit der Erde thematisiert wird und die Michaela Meise als Anklage an die Menschheit interpretiert. Tonlage und Reduziertheit der Lieder legen Assoziationen zu Christa Päffgen alias Nico und ihren düsteren Goth-Gesängen der Spätsechziger nahe, allerdings ist der Kontext hier ein anderer, eher gegenwärtiger und weniger von dramatischer Mystik bestimmt. Zusammen mit Martin Hossbach ist Michaela Meise so jedenfalls ein eindrucksvolles und wohl auch einzigartiges Album gelungen, dem mit sparsamen Mitteln und einfachen Worten eine Transformation früherer Texte ins Heute gelingt. Auf den Trost des Erlösers folgt jetzt also die eindringliche Mahnung.
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