I Like Trains
"Kompromat"
(Atlantic Curve)
Natürlich wird eine Band nach acht Jahren nicht einfach da weitermachen können, wo sie aufgehört hat. Zumindest nicht, wenn sie einem gewissen künstlerischen Anspruch folgt und da steht Weiterentwicklung bekanntlich an erster Stelle. Dass der Schritt dann aber ein so großer wird, war nicht unbedingt zu erwarten. Die Musik von I Like Trains aus Leeds war seit Gründung der Band 2004 eher auf der dunklen Seite zu Hause, David Martin gefiel sich auf den beiden bisherigen Alben in schwermütigem Raunen, sein Gesang war ein unheilvolles, zuweilen auch recht trauriges Lamento, der Sound dazu gothy, episch, dicht und größtenteils sehr, sehr langsam. Kein Wunder, dass das Quintett vor allem Fans von Interpol und den Editors in Verzückung versetzte – der Bedarf war da, sie lieferten. Nun, die Welt hat sich seither immer schneller gedreht und auch wenn Martin das, wie er sagt, explizit nicht vorhatte, so ist die neue, dritte Platte eine überraschend direkte, ja nahezu politische geworden.
Fast alle Songs sind gespickt mit mehr oder weniger deutlichen Anspielungen, düster weiterhin, aber ohne die bleierne Schwere, das Verinnerlichte, sondern mit mehr Frust und Wut über das, was seither mit Brexit und dem neuen amerikanischen Übel namens Trump über die Welt gekommen ist. Grundthema, Subtext, Konzept von „Kompromat“ ist der Umgang der westlichen Gesellschaft mit Daten und Informationen, es handelt davon, wie wir uns denen ausliefern, die diese Informationen sammeln und zuweilen auch mißbrauchen, wie sie uns lenken und manipulieren, wie wir uns bereitwillig lenken und manipulieren lassen. Zu Verschwörern taugen I Like Trains dennoch nicht, sie thematisieren ergebnisoffen, stellen Fragen und nehmen sich selbst von einer möglichen Schuldfrage nicht aus. „The Truth“ beispielsweise, so etwas wie das Herzstück der Platte, basiert auf einer Liste verschiedener Slogans, die Martin über längere Zeit aufschnappte, sammelte, stets bei sich trug und die er nun für das Stück scheinbar zusammenhanglos aneinanderreiht. Die Sinnsuche, die Assoziation sind des Zuhörers Sache.
Das alles baut sich hier zu einer bedrohlichen Kulisse auf, die etwas an die Bilder erinnert, mit denen auch Pink Floyd vor Jahrzehnten schon ihre Musik illustrierten. Der Albumtitel trägt seinen Teil zu diesem Eindruck bei, eine Art Wortverkürzung, welche zu Zeiten des Kalten Krieges auf russischer Seite kompromitierendes Material für etwaige Erpressungen bezeichnete – so jedenfalls liest man es. Der Sound ist im Übrigen nicht weniger überraschend, knorrige Riffs (herrlich bei „Patience Is A Virtue“), kraftvoller Gitarrenlärm und wuchtige Drums, verziert mit elektronischen Effekten, wechseln mit bezaubernden Melodien aus der Gründerzeit („Dig In“, „A Man Of Conviction“, „New Geography“), alles deutlich kompakter, drängender, zielgerichteter als zuvor. Einen ganz speziellen Dreh hält der Schlußsong „Eyes To The Left“ bereit, welchem die deutsch-britische Musikerin und Journalistin Annika Henderson ihre künstlich kühle Stimme leiht, um so dem Ausklang noch eine besondere, nicht weniger bedrohliche Note zu geben. Ein fulminante Rückkehr also, die so keinesfalls zu erwarten war.
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