Foto (c) Dennis Dirksen |
Ihr habt vor einem Jahr in den Hamburger Docks euer letztes Konzert gegeben, damals stand in der WELT das Zitat, wer euch sehen wolle, der müsse sich beeilen, alles andere wäre das reinste Pokerspiel. Nun gleich eine ganze Tour – woher der Sinneswandel?
Das Konzert war sehr speziell, etwas sehr, sehr Besonderes für jeden von uns, hat irre Spaß gemacht und wir haben dort regelrecht Blut geleckt. Außerdem hatten wir uns ewig nicht gesehen und dass es überhaupt zu dem Auftritt kam, war schon überraschend. Wir wussten zudem nicht, was passiert: Da stehen wir zum ersten Mal seit ewigen Zeiten im Proberaum, verstehen wir uns überhaupt? Und interessiert es denn jemanden da draußen, was wir machen? Aber dann war das für uns alle eine so freudige Erfahrung, die ganze Probezeit hat tierisch Spaß gemacht und der Druck war raus. Wir haben uns danach angeschaut und gesagt ‚Hey, das kann’s doch jetzt nicht gewesen sein!‘Natürlich hätte das auch schiefgehen können. Aber weil‘s so toll war, waren wir uns einig, noch mal was dranzuhängen.
Die Jeremy Days galten immer als eine Band, die Entwicklungen vorweggenommen hat, die weiter war als viele hierzulande, die so gar nicht deutsch klangen. Habt ihr denn auch Lust, diesen Stil weiterzuentwickeln, dort anzusetzen und neue Sachen zu machen oder baut ihr zunächst einmal auf dem bekannten Material auf?
Also zunächst einmal kommt die Tour und die wird sich getreu dem Motto „The Unlikely Return“ natürlich vorrangig mit den zehn Jahren Bandgeschichte beschäftigen. Jetzt geht es also wieder in den Proberaum und dann noch mal eine Zeit auf engstem Raum im Tourbus – das sind also echte Wettkampfbedingungen. Tja, und wenn wir uns danach immer noch so gut verstehen, dann kann es durchaus passieren, dass da mehr draus wird. Aber all diese Fragen werden wir uns wohl frühestens ab dem vierten Tag im Bus stellen. Ich habe ja gesagt, dass der fehlende Druck das alles erst möglich gemacht hat und genau das wollen wir gern erst mal so beibehalten – wenn dann trotzdem mehr geht, kann man aber auch nichts ausschließen.
London 1989 |
Auch wenn das wohl zu den Standards der solcher Fragestunden zählt, für uns klingen die Songs noch immer ziemlich frisch und erstaunlich zeitgemäß. Wie geht es Euch damit? Habt ihr denn eine Erklärung dafür, warum das damals schon so funktioniert hat?
Ihr habt immer gern Stile gemischt, den Pop, den Indierock, Synthesizer, Gitarren, gern auch härtere, wolltet Euch nicht festlegen lassen. Wie seht Ihr die heutige Musikszene, der ja gerade in Sachen Rock gern Manierismus, Retromanie und zu wenig Innovation vorgeworfen wird? Stimmt es, dass die wirklich neuen Sachen ganz woanders stattfinden?
Wir sind ja alle noch mittendrin im Geschäft, ich selbst habe ja diverse Soloplatten eingespielt [im August ist sein letztes Album „Strange Companions“ erschienen, d.Red.] und natürlich bekommen wir mit, wie spannend die Zeit auch heute ist. Das Problem ist manchmal, dass es neben den ganz großen Entwicklungen, nehmen wir beispielsweise den deutschen Hip-Hop, noch eine so große Vielzahl an Makro- und Mikrobewegungen und -stilen gibt, die Musikwelt wird quasi atomisiert und die Orientierung fällt da unglaublich schwer. Zu der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, gab es eigentlich nur die Wahl zwischen Sweet und Slade, übertrieben gesagt. Das sieht heute schon ganz anders aus, dieses wilde Vermischen von Stilen und Kulturen fand damals eigentlich kaum statt. Bei uns war die Basis immer dieses Singer-Songwriter-Ding und natürlich die ganzen englischen Bands, danach haben aber auch wir angefangen zu experimentieren, haben versucht, die Beach Boys mit Post-Punk zu kreuzen. Wenn wir heute wieder neu anfingen, würde es wohl genauso wild werden.
Dirk, Deine Soloarbeiten unterscheiden sich deutlich vom Sound Deiner früheren Band, wie gehst Du mit diesem Unterschied, der vielleicht auch ein bewusster Widerspruch ist, um?
Also ich sehe da gar keinen so großen Unterschied, das sind am Ende für mich und für uns einfach nur Songs, die mit der Gitarre von Jörn und dem Schlagzeug von Stefan nur auf eine andere Umlaufbahn gehoben werden.
Marquee Club, London 1991 |
Mit einem Überhit wie „Brand New Toy“ hättet Ihr heute im Zeichen von #MeToo und NewFeminism womöglich ein Rechtfertigungsproblem. Ist es schwieriger geworden, unvoreingenommen, gern auch im besten Wortsinn leichtsinnig an solche Stücke zu gehen? Stört die Correctness den Kreativitätsprozeß?
Nö, eigentlich gar nicht. Ich habe in meiner ganzen Zeit als Songschreiber noch kein Stück geschrieben, bei dem ich gedacht habe ‚Oh, da musst du jetzt aufpassen!‘. Und was „Brand New Toy“ betrifft, da ist es ja auf den ersten Blick auch nur der Titel, bei dem man auf solche Gedanken kommen könnte – wenn man sich den Text des Songs näher anschaut, dann wird ja relativ schnell klar, dass es hier genau umgedreht ist und eben die Frau die Power hat. Aber diese Fragestellung tauchte so auch schon vor zwanzig Jahren auf, auch da musste man noch schnell hinterherschicken, warum und wieso der Titel so heißt.
Die Jeremy Days haben immer englisch gesungen – was war damals Eure Intention und würdet Ihr Euch heute noch genauso entscheiden?
Meine Muttersprache ist nun mal Englisch [Dirk Darmstaedter ist im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern nach Teaneck, New Jersey gezogen, d. Red.]. Von daher war das von vornherein klar, dass wir auf auf Englisch singen. Heute würden wir uns aus den gleichen Gründen wieder genauso emphatisch dafür entscheiden.
Noch mal zurück zum Sound: Als Musiker würde man doch gern wissen wollen, warum Eure Songs auf der einen Seite zwar nahe am Mainstream entlangschrammen, dann aber doch mit Melodien und Arrangements in Spannung bleiben, die nie zu gefällig sind? Ist das bewusst so gemacht, ist das geplant und kommt sowas eher nebenher?
Das ist eigentlich ganz schön umschrieben, genau das hat uns damals umgetrieben, das hätte ich auch nicht besser sagen können. Denn das hat sich eben nicht zufällig oder von ganz selbst so ergeben, sondern wir standen damals nach unserem ersten Album tatsächlich unter dem Druck, der deutschen Popszene etwas Neues, Frisches zu geben. Und diesem Druck haben wir uns dann wirklich gestellt und entsprechend haben die folgenden Platten geklungen. Wir haben uns schon bemüht, den Songs eine besondere Note aufzudrücken.
"Die Sachen, die damals Mainstream waren,
gelten ja heute als cooler Indierock"
Nach „Brand New Toy“ und dem Riesenerfolg hätten wir diesen Song auch mehrmals recyceln können, wir haben uns aber dafür entschieden, die Forschungsreise in Sachen Pop weiterzuverfolgen, wir wollten einfach wissen, was da noch drinsteckt. Das war toll, aber eben auch sehr, sehr anstrengend. Man muss sich dabei auch mal vergegenwärtigen, dass damals Sachen wie The Smiths, Lloyd Cole oder auch Aztec Camera der Mainstream waren, von dem wir hier reden, heute gelten die ja als cooler Indierock. Aber wir wollten eben nicht die unhörbare Noiseformation sein, sondern lieber die nächsten Beatles werden und Hitsingles haben. Und uns trotzdem weiterentwickeln, denn alles andere wäre nicht unser Anspruch, wäre langweilig gewesen. Und letztendlich bin ich auch stolz darauf, dass wir das so gemacht haben, auch wenn das Publikum nicht immer und alles mitgegangen ist.
Ihr habt Euch also diesen Druck auch ein Stück weit selbst gemacht, ausgelöst vielleicht auch durch die besonderen Lebensumstände Eurer Band – wie kann man sich das vorstellen?
Klar, wir haben aus unserer Karriere einen Trip gemacht, das muss man so sagen. Wir haben hier in Hamburg zusammengewohnt und später dann in London, waren dort wie auf einer einsamen Insel, weil ja jeder in der Band seine regionalen Kontakte gekappt hatte. Und so hatte dann jeder dort in seinem Zimmer eine Art kleines Studio und immer, wenn wer was Spannendes gefunden hatte, wurde so laut gedreht, dass es alle hören konnten und dann haben wir das zusammengeschraubt. Der Abwasch ist dann allerdings, altes WG-Problem, liegengeblieben ...
Foto (c) Fritz Brinckmann 1994
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Ja, das war es im besten Falle auch. Solch eine kreative Gemeinschaft, ja Familie zu haben, das ist einfach etwas ganz Kostbares und Seltenes und viele von den Kollegen, mit denen ich in den Jahren zusammengearbeitet habe, hätten ein Bein dafür geben, so etwas erleben zu dürfen. Nur irgendwann frisst einen das natürlich auch auf und so war’s ja dann letztendlich auch.
Dass Ihr Euch aber heute nach fünfundzwanzig Jahren wieder treffen und zusammensetzen könnt – das spricht doch auch für dieses Leben, für diesen Grundstein, oder?
Ja, das stimmt wohl, aber es ist heute trotzdem komplett anders. Wir haben uns zwar wieder regeneriert, aber jeder ist danach auch seinen ganz eigenen Weg gegangen. Damals hat die Enge unserer Gemeinschaft dafür gesorgt, dass wir uns alle sehr ähnlich entwickelt haben, wir sind wie ein Fischschwarm immer alle gemeinsam in die eine oder andere Richtung geschwommen. Heute, nach über zwei Jahrzehnten, sitzen hier am Tisch sehr unterschiedliche Leute. Aber die Verbindung ist halt noch da.
Foto (c) Michael Halsband 1992 |
Naja, wir haben eigentlich immer den Vorsatz gehabt, die Stücke anders klingen zu lassen als im Aufnahmestudio – diesmal dachten wir tatsächlich ‚Hey, lasst uns doch einfach mal alles so spielen, wie es auf Platte ist!‘ Klar wird das irgendwie anders klingen, aber es ist nicht zu erwarten, dass „Julie Thru The Blinds“ jetzt mit drei Blockflöten und drei Tubas daherkommt.
Uns ging es mehr um den Geist der Songs, der sich ja mit der Zeit ändert…
Das stimmt, da kannst du eh nichts gegen tun. Es ist schon interessant, sich in die Stücke reinfallen zu lassen, in die Gemeinschaft, in die Umstände, unter denen sie damals entstanden sind. Natürlich habe ich, wenn ich die Band neben mir stehen sehe, so meine Flashbacks. Aber wir sind andere, als wir 1989 waren und da bekommen die Sachen automatisch einen anderen Twist. Und genau das ist auch ein Grund dafür, dass wir es noch mal versuchen wollen: Weil es uns nicht so vorkommt, als wären wir zusammen mit den alten Stücken aus der Zeit gefallen, sondern weil es sich einfach gut anfühlt.
22.11. München, Ampere
23.11. Berlin, Lido
24.11. Hamburg, Grünspan
26.11. Hannover, Musikzentrum
27.11. Bochum, Zeche
29.11. Köln, Stollwerck
30.11. Frankfurt, Zoom
01.12. Stuttgart, Wizemann
Das Interview sollte natürlich nicht irgendwer führen. Sondern Edgar Rodehack. Der ist nämlich nicht nur Fanboy, sondern selbst Musiker. Früher stimmgewaltiger Leadsänger der Münchner Formation Creme Planet 2000 und Schöpfer solch wunderbarer Songs wie "Desiree Winter". Heute spielt er bei der Folk-Kapelle Isarelites und hält sich sonst als Organisationsberater und Agile Coach über Wasser.
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