FKA twigs
„Magdalene“
(Young Turks)
Durfte man das so erwarten? Wohl schon. Seit Tahliah Barnett unter dem Pseudonym FKA twigs Musik macht, hat sie sich als außergewöhnliche und höchst ambitionierte Künstlerin ausgezeichnet. Ihre ersten Songs („EP1/2“) schon waren erstaunlich vielfältige, komplexe Mixturen aus klug verbastelter Elektronik, zartem RnB und cleverem Dancepop, das Debütalbum „LP1“ dann eine wahre Meisterleistung in ebenjenem Metier - multistrukturell, experimentell, anspruchsvoll. Und doch voller anrührender Herzenswärme und Zerbrechlichkeit, für die das gern und fast inflationär benutzte Wort ‚Hybrid‘ einfach zu technokratisch und kalt klingt. Und nun also ein Trennungsalbum? Schmerzverarbeitung, Selbsttherapie, solche Sachen? Natürlich war keine der Befürchtungen gerechtfertigt, es könnte vielleicht doch etwas platt, gewöhnlich oder gar kitschig werden. Nichts davon. Nirgends. Schon die erste Platte bot kein Stück, das man einfach so nebenbei mithören konnte – gespannte Nerven, geschärfte Sinne, Wachheit sind bei ihren Songs Voraussetzung. Barnett will es einem nicht leichtmachen, wenn es sich lohnen soll, muß man ihr folgen wollen.
Das Intro „Thousand Eyes“ eröffnet, ähnlich wie „Preface“ vom Erstling, als reduzierter, klassischer Choral, gedoppelte Stimmen, Pianoloops, sehr fragil. Mit „Home With You“ nimmt der Heartbreak dann seinen Lauf, disruptive, metallene Klänge und Störgeräusche wechseln mit dramatischen, liedhaften Momenten: „The more you burn away, the more the people earn from you. The more you pull away, the more that they depend on you”, Radiohead fallen einem dazu ein, die hochtönenende Stimme (wenn nicht gerade durch den digitalen Häcksler gejagt) erinnert hier und später immer wieder an: Kate Bush. Es folgen die beiden Tracks, die wohl am eingängisten geraten sind – „Sad Day“ als rührende LoFi-Ballade feat. bombastische Percussions, gleich darauf bei „Holy Terrain“ das Gastspiel von Rapper Future und somit ein paar griffige Trap-Rhymes und Afrobeats, da haben wir tatsächlich mal so etwas wie einen richtigen Hit.
Danach aber der interessanteste Teil: „Mary Magdalene“, als Song und natürlich als Albumtitel. Barnett verbindet hier gleichsam ihre Gefühlswelt mit der der historischen Gestalt. Zugleich betrachtet sie das offizielle, kirchengeschichtliche Bild der Maria Magdalena, Jesus‘ engster Gefährtin, von einem sehr kritischen und durchaus feministischen Standpunkt aus. Wie sie in zahlreichen Gesprächen betont, missfällt ihr vor allem, wie gezielt es die männlich dominierte Kurie über die Jahrhunderte verstanden hat, die Frau mit der vielleicht vertrautesten Verbindung zu Christus als Sünderin, Prostituierte und Geächtete zu verunglimpfen. Der Ansatz, eine Beziehung der beiden für möglich zu halten, diesem Gedanken zumindest Raum zu geben, ist ja auch literarisch schon öfters verarbeitet worden, hier spiegelt er sich in zärtlichen Lyrics, erotischen Fantasien und nicht zuletzt ausgeklügelter Klangkunst. Man tut FKA twigs sicher nicht unrecht, stellt man sie spätestens mit diesem Track in die unmittelbare Nähe einer anderen Ausnahmeerscheinung, der Isländerin Björk.
Was die vielen Co-Produzenten hier geleistet haben, ist wirklich sehr bemerkenswert – Nicolas Jaar, Skrillex, Jack Antonoff, Benny Blanco, Daniel Lopatin, Michael Uzowuru, Koreless, die Liste liest sich wie ein Auszug aus den Top 10 der Branche – sie alle für ein einziges Album zu versammeln gelingt nur wenigen. Barnett hat diese Reputation, denn bei ihr treffen sich außergewöhnliche Begabung und unbedingter künstlerischer Wille. Es wäre ihr sicherlich ein leichtes gewesen, mit einer Reihe von Kolleg*innen einen lässigen RnB-Chart-Topper aufzunehmen, allein, ihr Anspruch war und ist ein anderer. Die Extravaganz und Unverwechselbarkeit, die sie schon mit ihrem Erscheinungsbild für Videos und Coverart wählt, gilt in jedem Falle auch für ihre Musik. In einem Interview zu „Home With You“ hat sie letztens den schönen Satz gesagt: “You can take the girl out of the suburbs, but you can’t take the suburbs out of the girl.” Es scheint, als ob sie, die sie mit spanischen und jamaikanischen Wurzeln im dörflichen Gloucestershire aufgewachsen ist, ein unstillbarer Ehrgeiz antreibt, es dennoch zu versuchen. Und sich trotzdem selbst treu zu bleiben.
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