Freitag, 30. Juli 2021

Billie Eilish: Das Leben im Schnelldurchlauf

Billie Eilish
„Happier Than Ever“

(Interscope/Universal)

Je älter wir werden, desto größer ist die Versuchung, mit unseren Erfahrungen zu prahlen. Klar, womit sollen wir auch sonst so punkten, wenn die Haare schütter, die Knochen morsch und die Haut faltig werden. Also – alles schon gehört, alles schon gesehen? Zugegeben, Überraschungen sind rar gesät, aber als Billie Eilish vor zwei Jahren alle Welt verrückt machte, mussten wir doch anerkennen, dass das alles schon recht neu oder zumindest ziemlich clever war. Popstar und Gothkid, benahm sich so ganz anders, als wir es von den Postergirls und –boys unsrer Zeit gewohnt waren, angenehm unangepasst, die wichtigen Themen zur richtigen Zeit. Ganz ehrlich, es ist tatsächlich ein großes Geschenk, die eigenen Töchter mit dieser Billie Eilish aufwachsen zu sehen (denn sie hätten es weitaus schlimmer treffen können), sehnsüchtig, ausgeflippt, an den Lippen hängend, natürlich auch irritiert, verunsichert, zweifelnd. Aber das nur, um letztendlich noch fester zu ihr, zu ihren Ansichten, Kämpfen zu stehen. Zur Zufriedenheit und auch der Sorge mischt sich dann auch ein wenig Neid, dass diese Zeiten für uns unwiederbringlich vorbei sind und man muss nicht noch mal die Sache mit dem Bogen und den lebenden Pfeilen aufkochen, um zu wissen, dass es grundverschiedene Welten sind, in denen wir leben.



Nun also ein neues Album und natürlich hat man vorhersehen können, was das große Thema von „Happier Than Ever“ werden würde. Waren es zuerst die Ängste und Nöte der angehenden Musikerin, die sich nebenher von Kindheit und behütetem Elternhaus löste und mit Krankheit und Depression zunehmend allein konfrontiert war, kam nun das hinzu, was man Megastardom im Schnelldurchlauf nennen könnte. Nebenwirkungen eingeschlossen. Und davon gab und gibt es reichlich. Und weil sie den sehr offenen Umgang mit eben diesen Problemen quasi zu Kunstform erhoben hatte, ist diese Platte nun noch eine Spur dunkler, ist Billie Eilish zwangsläufig noch ernsthafter und auch verletzlicher geworden. Das klingt entsprechend. Die brüchige Stimme, die Nahbarkeit, der schonungslose Umgang vorrangig mit sich selbst, all das treibt sie auf „Happier Than Ever“ noch eine Spur weiter. Es ist die Unbeirrbarkeit, die verblüfft, die Respekt abnötigt, einen auch mal frösteln lässt. Welche Künstlerin macht sich schon derart angreifbar, geht vergleichsweise offensiv mit ihrem Körpergefühl, ihrer Weiblichkeit, ihren seelischen Enttäuschungen um wie Eilish bei „Not My Responsibility“, einer Art Spoken-Word-Performance, die schon, entsprechend visualisiert, auf ihren Konzerten für Erstaunen, Befremden, Bewunderung (je nach Standpunkt) sorgte.



Ebenso bemerkenswert: Ganz gegen alle Marktgesetze bietet das Doppelalbum keinen einzigen Hit, kein „Bad Guy“, ebenso wenig gibt es die branchenüblichen Kollaborationen zu hören (und sie könnte bestimmt reichlich davon bringen). Stattdessen bleibt es beim bewährten, gemeinsamen Songwriting mit Bruder Finneas. Zart gezupfte Akkustik hier, wuchtige, technoide Synthakkorde da, mal Bossa Nova, mal mit fettem Beat, mal ganz ohne, der Sound so wechselhaft wie ihre Stimmungen. Songs also vom Lieben und Entlieben, von den belastenden Erfahrungen als öffentliche Person („Getting Older“, „OverHeated“), wo Privates fast nicht mehr möglich ist („NDA“) und sich jede und jeder das Recht auf ein Bild und eine Meinung nimmt, nur man selbst diese besser verbergen sollte. Und dann die Mutmacher und Trostlieder, „My Future“ beispielsweise oder „Your Power“, die ein gewachsenes Selbstbewußtsein spüren lassen, das sich auch im grandiosen gegrölten Schlusschor des Titelsongs bahn bricht, gestärkt durch (siehe oben) eben jene Erfahrungen, die sie schneller als andere im Leben machen musste. Bei aller Inszenierung, die man ihrem Film vor einiger Zeit vorgeworfen hat, bei allen möglichen Marketingkniffs gewiefter Strategen, es kann nicht schaden, hier ab und an genauer hinzuhören, manchmal lernt man selbst in gesetzterem Alter noch etwas für’s Leben dazu.

19.06.  Frankfurt, Festhalle
21.06.  Köln, Lanxess Arena
30.06.  Berlin, Mercedes-Benz-Arena
02.07.  Zürich, Hallenstadion



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